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Unterricht an einer Schule in Gaza.

© imago

Skandalstudie zu palästinensischen Schulbüchern: Hass, der den Unesco-Richtlinien entspricht

Deutsche Forscher behaupten, palästinensische Schulbücher entsprächen den Unesco-Richtlinien. In Wahrheit wird Terror verherrlicht und Hass gesät.

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Plötzlich ging es ganz schnell. Nachdem die EU-Studie, die das Ausmaß von Judenhass und Gewaltaufrufen in palästinensischen Schulbüchern untersuchen sollte, wochenlang unter Verschluss gehalten wurde, ist sie am Freitag überraschend veröffentlicht worden.

Die gute Nachricht: Die beteiligten Forscher geben Entwarnung. Die untersuchten Bücher entsprächen den Unesco-Richtlinien. Die schlechte Nachricht: Es ist nach Lektüre der Studie schwer ersichtlich, wie die Forscher zu diesem Fazit gelangen konnten.

Dass palästinensische Schulbücher systematisch Gewaltaufrufe und Hass gegen Juden enthalten, ist seit Jahren bekannt. Das EU-Parlament sieht dringenden Handlungsbedarf, doch sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung wollten zunächst abwarten und gaben eine Studie beim Braunschweiger Georg-Eckert-Institut, dem Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, in Auftrag.

Ein Team um die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus untersuchte 190 Lehrbücher, die zwischen 2017 und 2020 vom palästinensischen Bildungsministerium herausgegeben wurden, in Fächern wie Arabisch, Sozialkunde, Geschichte und Naturwissenschaften.

Der Tagesspiegel ist vor einiger Zeit in den Besitz der Studie gelangt. Denn obwohl die EU versprochen hatte, das 194 Seiten lange Dokument der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, geschah dies zunächst nicht. Nachdem der Tagesspiegel dazu am Donnerstag mehrere Anfragen verschickte, stellte das GEI die Studie am Folgetag auf seine Homepage.

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Wer sie aufmerksam liest, stellt fest: Es gibt darin viele zweifelhafte Interpretationen, Auslassungen und andere Unregelmäßigkeiten. Zum Beispiel was die Verherrlichung von Terrorismus und Morden an Zivilisten betrifft. Es gebe hierzu positive Entwicklungen, betonen die Forscher. Etwa die Huldigung an Dalal al-Mughrabi im Arabischunterricht der fünften Klasse. Die Terroristin führte 1978 das sogenannte „Küstenstraßen-Massaker“ in der Nähe von Tel Aviv durch, bei dem 38 israelische Zivilisten ums Leben kamen, darunter 13 Kinder.

In der neuesten Ausgabe des Schulbuchs wird Dalal al-Mughrabi zwar weiterhin als „Märtyrerin“ verherrlicht, die ihr Leben für ihre Heimat geopfert habe. Die Frau habe „Heldentum“ bewiesen, die Erinnerung an sie sei in den Herzen und Köpfen des palästinensischen Volkes „unsterblich“. Jedoch gebe es einen Unterschied: Das Foto zur zugehörigen Lobeshymne wurde ausgetauscht. Jetzt trägt die Terroristin im Schulbuch keine Uniform mehr, sondern zivile Kleidung. Dadurch werde, analysieren die Studienmacher, „die Militanz in der Darstellung abgeschwächt“.

Das von den Forschern behauptete Ergebnis, wonach die untersuchten Bücher den „Unesco-Richtlinien“ entsprächen, deckt sich nicht mit den tatsächlich untersuchten Unterrichtsmaterialien. Wird die Bundesregierung dieses Fazit trotzdem als Entscheidungsgrundlage verwenden – und falls ja: Welche Konsequenzen erfolgen daraus?

Die „Unesco-Richtlinien“ sind klar definiert: So sollen die Schulmaterialien eine „ausgewogene und respektvolle Darstellung verschiedener sozialer, kultureller und religiöser Gruppen“ sicherstellen, auch Positivbeispiele aufzeigen, wie diese Gruppen „harmonisch und zum allseitigen Vorteil zusammen leben“ können. Sie sollen, so fordern es die „Unesco-Richtlinien“ weiter, sich auf Werte fokussieren, die eine „friedliche Koexistenz unterstützen“, zudem sollen „Fähigkeiten zur Konfliktprävention und Friedensbildung“ gefördert werden. All dies wird laut Fazit der GEI-Studie erfüllt.

Tatsächlich finden sich in den untersuchten Büchern etliche Beispiele für Verstöße gegen diese Richtlinien. Manche davon haben die deutschen Forscher schlicht übersehen oder ignoriert. Etwa die Stelle im Geschichtsbuch der elften Klasse, die das Münchner Olympia-Attentat von 1972 als Angriff auf „zionistische Interessen im Ausland“ verherrlicht.

Der Terroristin Dalal al-Mughrabi wird jetzt nicht mehr in Uniform gehuldigt (rechts). Das GEI sieht das als Fortschritt.
Der Terroristin Dalal al-Mughrabi wird jetzt nicht mehr in Uniform gehuldigt (rechts). Das GEI sieht das als Fortschritt.

© GEI

Andere Verstöße werden von den Forschern im Mittelteil der Studie durchaus benannt, spielen später jedoch keine Rolle fürs Gesamturteil. So erwähnt das GEI zwischendurch, wie Israelis „entmenschlicht“ werden, findet auch „antisemitische Motive“. Ein ganzes Kapitel eines Buches vermittle „die Botschaft, dass die Juden als Kollektiv gefährlich und betrügerisch sind“, was zu einer Dämonisierung von Juden führe. Das Institut erkennt auch, dass Abschnitte über Friedensverhandlungen aus früheren Schulbuchausgaben mittlerweile gestrichen wurden.

Wie kam das Fazit zustande? Die Sprecherin schweigt

Die Frage des Tagesspiegels, wie es sein kann, dass das GEI trotz aller aufgeführten Beispiele von Antisemitismus, Verherrlichung von Terrorismus und anderen Verstößen zu dem Urteil kommt, die untersuchten Bücher entsprächen den Unesco-Richtlinien, beantwortet die Sprecherin des Instituts nicht. Ob die verschwiegenen Verstöße in den untersuchten Büchern wie etwa die Rechtfertigung des Olympia-Attentats von den Forschern übersehen oder schlicht ignoriert wurden, sagt die Sprecherin ebenfalls nicht.

Im Gesamturteil des GEI finden sich etliche Formulierungen, die das eigentliche Problem nur beiläufig benennen. So wird etwa ausführlich gelobt, wie viel Wert die palästinensischen Bücher auf das Vermitteln von Menschenrechten legen. Einschränkend heißt es dann, in den Büchern werde nicht diskutiert, inwiefern diese Rechte auch für Israelis gelten.

Deutschland zahlt viele Millionen

An anderer Stelle hebt das GEI heraus, wie sehr sich die Bücher prinzipiell für friedliches Miteinander einsetzten. So heißt es etwa, das Material rufe in vielen Fällen zu Toleranz, Gnade, Vergebung und Gerechtigkeit auf (Einschränkung; Das gelte jedoch nicht in Bezug auf Israel). Oder: „Die Bücher betonen kulturelle, soziale und religiöse Werte, die verschiedene Formen der Koexistenz unterstützen.“ Mit der religiösen Koexistenz sei aber vor allem die zwischen Christen und Muslimen gemeint: „Andere Religionen werden selten angesprochen“.

In den vergangenen zwei Jahren hat Deutschland allein über den Haushaltstitel „Bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit“ insgesamt 19 Millionen Euro für den Bereich Grundbildung in den Palästinensischen Gebieten ausgezahlt. Hinzu kommen Deutschlands mittelbare Zahlungen, etwa über die EU und das Flüchtlingshilfswerk UNWRA. Die Bundesregierung argumentiert, mit dem Geld würden gar keine Bücher finanziert. Sehr wohl allerdings die Lehrkräfte, die mit diesen Büchern unterrichten. Und die Gebäude, in denen dies geschieht. Und der Transport der Schüler zum Unterricht.

Das Münchner Olympia-Attentat von 1972 wird in Schulbüchern gerechtfertigt.
Das Münchner Olympia-Attentat von 1972 wird in Schulbüchern gerechtfertigt.

© Imago/Horstmüller

Im Bericht des GEI stößt man auf weitere Ungereimtheiten. So erklären die Forscher an einer Stelle, die Studie sei eigentlich bereits abgeschlossen gewesen. Dann jedoch sei die Entscheidung gefallen, 18 weitere Bücher aufzunehmen, an denen sich vermeintlich positive Veränderungen aufzeigen ließen. Etwa der Austausch des Fotos der Terroristin Dalal al-Mughrabi unter dem gleichgebliebenen Text.

Diese Inhalte habe man von der EU erhalten, heißt es. Allerdings finden sich manche dieser Inhalte weder in den neuen palästinensischen Schulbüchern noch auf der Webseite des palästinensischen Bildungsministeriums, obwohl dort alle verwendeten Unterrichtsmaterialien abrufbar sind.

Welche Hinweise hat das GEI darauf, dass diese Inhalte überhaupt jemals eingesetzt wurden oder werden? Das Institut erklärt dazu gegenüber dem Tagesspiegel: „Eine Untersuchung zum Einsatz und zur Verwendung der Schulbücher war nicht Gegenstand unseres Auftrags.“

In den falschen Büchern nachgeschaut

Schon bei der Entstehung der Studie war es mehrfach zu Pannen und falschen Auskünften des Instituts gekommen. Vergangenen Sommer wurde etwa ein 177-seitiges Dokument öffentlich, ausgewiesen als Zwischenbericht des GEI. Darin behaupteten die Autoren, sie hätten in den Schulbüchern diverse Stellen entdeckt, die für „Frieden werben oder Toleranz gegenüber Israelis zeigen“. Gewertet wurde dies als Zeichen für „sorgfältige Überlegung und Differenzierung“ gegenüber Israelis.

In Wirklichkeit hatten die Wissenschaftler lediglich in den falschen Schulbüchern nachgeguckt. Nämlich in solchen, mit denen arabische Schüler in Ostjerusalem unterrichtet werden. Diese werden jedoch vom Staat Israel bezahlt und gestellt. Die Forscher des GEI hatten dies nicht erkannt und die Stellen fälschlicherweise als lobenswerte Reformschritte der Palästinenser deklariert.

Es habe sich bloß um eine „für die interne Kommunikation bestimmte Präsentation” gehandelt, verteidigte sich das GEI.

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Dass sie in die falschen Bücher geschaut hatten, gehöre „zum Arbeitsprozess in der Wissenschaft“, sagte Studienleiterin Riem Spielhaus damals gegenüber dem Tagesspiegel. Und sie versprach: „Wir werden das auch transparent in unserem Bericht aufschlüsseln.“

Dies haben die Forscher allerdings nicht getan. In der finalen Studie wird die Panne verschwiegen. Stattdessen werden die zunächst versehentlich für palästinensische Bücher gehaltenen Bände nun - ganz ohne die von Spielhaus vesprochene Transparenz - vorgestellt und analysiert, als gehörten sie selbstverständlich zum Auftrag der Studie. 

Mit dem jetzigen Wissen, dass es sich dabei um von Israel gestellte Bücher handelt, werden sie allerdings deutlich negativ konnotiert. Es handle sich um Versuche einer „Idealisierung“ der Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern, ohne die existierenden Spannungen zu erwähnen. Kulturelles Gedenken fehle ebenso wie Erwähnungen der palästinensischen Identität.

Die Studie des GEI habe „gravierende Mängel“, sagt Marcus Sheff von der israelischen NGO Impact-se, die seit Jahren systematisch palästinensische Lehrbücher analysiert. Die deutschen Forscher hätten in einigen der untersuchten Bücher Aufhetzung und Antisemitismus ignoriert. Die Autoren seien sichtbar um eine „Balance“ bemüht und hätten daher nach Entschuldigungen für hasserfülltes Material gesucht. Dass etwa in Landkarten der Schulbücher sowohl der Staat Israel als auch Städte wie Tel Aviv fehlen, werde vom GEI als „wichtiges vereinigendes Symbol palästinensischer Identität“ gerechtfertigt.

Besonders seltsam sei, dass das GEI im Report reihenweise offensichtliche Verstöße gegen die Unesco-Richtlinien aufzähle, aber dennoch zum Fazit gelange, die Bücher hielten sich an genau diese Richtlinien.

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Noch deutlicher äußert sich Jörg Rensmann, Programmdirektor beim Mideast Freedom Forum Berlin. Die Schlussfolgerung der Studie, die Inhalte palästinensischer Schulbücher erfüllten Unesco-Kriterien, sei „ein Skandal für die Schulbuchforschung und widerspricht sowohl den Untersuchungsergebnissen der Studie selbst wie auch denen anderer, umfassenderer wissenschaftlicher Studien“. Judenhass und offene Aufforderungen zur Gewalt würden so „im Ergebnis kleingeredet“.

Als das GEI die Studie am Freitag online stellte, gab es als Ende der Studiendauer „Februar 2021“ an. Das ist einerseits plausibel und deckt sich mit früheren Aussagen des Instituts und auch der norwegischen Regierung. Es bedeutet aber auch, dass die Studie anschließend vier Monate lang unter Verschluss gehalten wurde. Nach wenigen Minuten änderte das GEI diesen Eintrag und behauptet jetzt, die Studie sei erst im „Juni 2021“ beendet worden. Weshalb es zu der Umdatierung kam, sagt die Sprecherin des Instituts nicht.

In der Vergangenheit hat das Institut nach Pannen wiederholt falsche Angaben gemacht. Zum Beispiel bei der Erklärung, wie das als Zwischenbericht des GEI ausgewiesene Dokument, das laut Institut nur eine „für die interne Kommunikation bestimmte Präsentation” war, im Sommer 2020 an die Öffentlichkeit gelangt war: Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte die Studienleiterin Riem Spielhaus damals, die fragliche Präsentation sei von „externer Seite“  öffentlich gemacht worden. Auch diese Behauptung erwies sich als unwahr.

Tatsächlich wurde das Dokument von der damaligen Projektkoordinatorin des GEI selbst im Internet veröffentlicht. Mittlerweile hat das Georg-Eckert-Institut sämtliche Hinweise auf die betreffende Mitarbeiterin von seiner Internetseite gelöscht. Einer weiteren Beteiligten wurde - mitten im laufenden Arbeitsprozess - eine andere Aufgabe zugeteilt. Zu den Gründen für diese Maßnahmen wollte sich das GEI ebenfalls nicht äußern.

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