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Fröhliche Kriegerin. Senatorin Kamala Harris beim Mittagessen mit Al Sharpton in Harlem.

© Bebeto Matthews/Reuters

Trump-Gegnerin: Kamala Harris – eine wie Obama

Sie will erst Kandidatin der Demokraten und dann US-Präsidentin werden. Für dieses Ziel überlässt Kamala Harris nichts dem Zufall. Ein Porträt.

An der einen Seite des Tisches sitzt Kamala Harris, ihr gegenüber Reverend Al Sharpton, die Ikone der Bürgerrechtsbewegung. Der Tisch steht am Fenster des Restaurants „Sylvia’s“ im New Yorker Stadtteil Harlem – und draußen hinter der Scheibe drängen sich Pressefotografen. Wer weiß, vielleicht lässt sich an diesem Donnerstag ein Bild machen, das später einmal als historisch gilt.

Das Mittagessen von Harris und Sharpton ist nicht geheim geblieben, zu bedeutungsschwanger ist die nur scheinbar unspektakuläre Lunch-Verabredung. Immerhin ist Harris derzeit doch eine, vielleicht die Hoffnungsträgerin der Demokratischen Partei, seit die 54-Jährige im Januar ihre Präsidentschaftskandidatur angekündigt hat. Und Harris wäre nicht Harris, wenn sie diese Ankündigung nicht an einem symbolischen Tag gemacht hätte: am Martin-Luther-King- Day, jenem Feiertag, der Jahr für Jahr an die wohl größte Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung erinnert. Kamala Harris überlässt wenig dem Zufall.

Zu Obama kamen 15.000 Menschen, bei ihr waren es 20.000

Harris wäre, würde sie Anfang kommenden Jahres von ihrer Partei gekürt, die erste afroamerikanische Präsidentschaftskandidatin der Demokraten und bei einem Wahlsieg die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten. Wie Barack Obama wäre sie außerdem eine politische Senkrechtstarterin, die erst vor Kurzem auf der nationalen Bühne angekommen ist, als sie 2016 zur US-Senatorin gewählt wurde.

Um die Vergleiche fortzusetzen: Mit ihrer aus Indien stammenden Mutter, einer Krebsforscherin, und dem in Jamaika geborenen Vater, einem Ökonom, hat auch Harris Eltern mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund. Obamas Vater stammte aus Kenia, seine Mutter aus dem US-Bundesstaat Kansas. Und bei ihrem Wahlkampfauftakt knapp eine Woche nach ihrer Kandidaturverkündung in ihrer kalifornischen Heimatstadt Oakland Ende Januar verglichen Kommentatoren die Besucherzahlen mit denen bei Obamas Kandidaturankündigung in Illinois im Jahr 2007: Ihn wollten 15.000 Menschen sehen und hören, sie 20.000.

Und nun hat sich Harris öffentlichkeitswirksam mit Al Sharpton getroffen, ganz so, wie es Obama im Jahr 2007 getan hatte, ein Jahr, bevor er erstmals zum Präsidenten gewählt wurde. Kamala Harris wird schon „weibliche Obama“ genannt.

Sechs Millionen Dollar Spenden nimmt Sanders ein – in 24 Stunden

So hätte das Mittagessen am Donnerstag eine perfekte Inszenierung sein können, der einen Durchmarsch der Kandidatin ankündigt, sie liegt in Umfragen unter demokratischen Anhängern weit vorne – wäre da nicht ein kleiner Schönheitsfehler. Vor drei Jahren hat der ehemalige Bürgerrechtler und heutige Fernsehmoderator Sharpton hier auch mit Bernie Sanders zu Mittag gegessen. Bernie Sanders, der 2016 Kandidat der Demokraten werden wollte, einen schier unglaublichen Hype auslöste, dann in der parteiinternen Vorauswahl knapp gegen Hillary Clinton verlor und nun gerade erklärt hat, noch einmal anzutreten. Trotz seiner 77 Jahre.

Dass seine Bewerbung nicht ungefährlich für die elf anderen Kandidaten ist, die schon erklärt haben, für die Demokraten ins Rennen gehen zu wollen, zeigt der Zuspruch, den Sanders erfährt: Sechs Millionen Dollar Spenden hat der Senator aus Vermont allein in den ersten 24 Stunden nach seiner Ankündigung bekommen. Das war vier Mal so viel, wie Harris am ersten Tag eingesammelt hatte – und deutlich mehr als alle anderen Bewerber.

Sanders ist ein Phänomen, von dem manche hoffen, dass es eines aus der Vergangenheit ist. Er ist parteilos, aber durch und durch links, er will Millionäre stärker besteuern, ein kostenloses Studium und eine staatliche Krankenversicherung für alle, er will den Klimawandel bekämpfen und Arbeitnehmerrechte stärken. Sanders ist alt und kann dennoch die Jungen begeistern. Bei seiner Kandidaturankündigung hat er erklärt, dies sei der Beginn einer „nie da gewesenen historischen Graswurzelbewegung“.

Seine Stärke: Er wirkt authentisch, gerade, wenn er wütend ist. Wie zum Beispiel bei einem Town-Hall-Meeting in Washington im Juli 2018, als er sich über Ungerechtigkeiten erregt, die die Angestellten von wirtschaftlich erfolgreichen Arbeitgebern erdulden müssen. Vorn auf der Bühne im Besucherzentrum des Kongressgebäude saß er im dunklen Anzug und Krawatte – auf einem durchsichtigen hohen Hocker, neben sich Angestellte von Amazon, Disney World, McDonald’s, American Airlines und Walmart. Auch die Konzernchefs hatte er geladen, für sie standen ebenfalls Hocker da, gekommen waren sie nicht: Wer will schon freiwillig auf der Anklagebank Platz nehmen?

Auf ein Neues. Auch mit 77 Jahren ist Sanders noch kampfeslustig.
Auf ein Neues. Auch mit 77 Jahren ist Sanders noch kampfeslustig.

© A. Edelman/AFP

Die Angestellten berichteten, mal ist es der geringe Lohn, der dazu führt, dass ein Arbeitnehmer sich keine Wohnung leisten kann, oder die fehlende Krankenversicherung. Ein Amazon-Angestellter, ein ehemaliger Soldat, erzählt, wie hart es sei, bei Zehn-Stunden-Schichten angehalten zu sein, sich nicht zu setzen und auch nicht mit anderen Kollegen zu sprechen.

Sanders stellt eine Frage nach der anderen, und dann verweist er wütend auf die Tatsache, dass just an jenem Tag der Amazon-Eigentümer Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt gekürt wurde. „Sieht so das Land aus, in dem wir uns wohlfühlen?“

Wütend wird Sanders auch, wenn er über Trump spricht, so wie am Dienstag, als er in gleich mehreren Interviews, in sozialen Netzwerken und E-Mails ankündigte, noch einmal für die Präsidentschaft kandidieren zu wollen. Und den Amtsinhaber dabei einen Lügner, Rassisten und Sexisten nannte. Donald Trump sei der gefährlichste Präsident in der jüngeren Geschichte der USA.

"Amerika, wir sind besser als das!"

Der Kontrast zu Kamala Harris ist in solchen Momenten besonders deutlich, sie erwähnt Trumps Namen bei ihren Auftritten fast nie. Auch wenn klar ist, wen sie meint, wenn sie vor ihren Anhängern in Oakland ausruft: „Wir sind hier, weil der amerikanische Traum und unsere amerikanische Demokratie attackiert werden und gefährdet sind wie nie zuvor.“ Und: „Amerika, wir sind besser als das!“

In ihrer Autobiografie, die kurz vor ihrer Kandidatur erschien, nennt sie sich eine „fröhliche Kriegerin“, und das mit dem fröhlich ist immer wieder zu sehen, sie lacht gerne und laut, es ist ein selbstbewusstes Lachen. Auch dem Attribut „Kriegerin“ macht sie immer wieder Ehre, zum Beispiel, als sie Brett Kavanaugh, Trumps umstrittenen Kandidaten für den Supreme Court, bei dessen Anhörung im Justizausschuss des Senats in die Mangel nahm, ihn ein ums andere Mal fragte, ob er mit Mitgliedern der Trump-Regierung beziehungsweise deren Anwälten über Robert Muellers Russlandermittlungen gesprochen habe – mit dem Ziel, ihm einen Interessenskonflikt nachzuweisen.

Die Szenen gingen im Internet viral, ihre Partei war begeistert. Attackieren kann sie, das hat sie jahrelang geübt: Bevor sie Senatorin in Washington wurde, war Harris Staatsanwältin und Justizministerin in Kalifornien. Eine Juristin mit teilweise konservativem Ruf war sie damals, die sich für die Todesstrafe aussprach und gegen die Legalisierung von Marihuana.

Aber sie will nicht richtig links sein

Als konservativ will sie nun nicht mehr wahrgenommen werden, denn auch sie weiß, dass die Dynamik in ihrer Partei derzeit eher am linken Rand zu verorten ist und die einst als revolutionär geltenden Ideen von Bernie Sanders schon fast zum Mainstream der Demokraten geworden sind. Aber sie will auch nicht richtig links sein, so wie der neue Jungstar der Parteilinken, die gerade in den Kongress gewählte Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die sich wie Sanders als „demokratische Sozialistin“ bezeichnet.

Im Grunde versucht Harris einen Balanceakt, um progressive und moderate Politikansätze zu kombinieren und so eine möglichst große Wählerschaft zu erreichen. Da gibt sie im Radio-Interview lachend zu, natürlich schon mal gekifft zu haben – immerhin stamme ihr Vater ja aus Jamaika –, ein andermal verurteilt sie Polizeigewalt gegen Schwarze und Sexismus und fordert eine staatliche Krankenversicherung für alle.

Offenbar gibt es bei den Demokraten noch welche unter 75, die als Hoffnungsträger gelten können. Ob es allerdings reicht, einen Balanceakt über alle Flügel hinweg zu versuchen, ist fraglich. Sanders erscheint mit seinem Programm überzeugender und [...] authentischer.

schreibt NutzerIn Gophi

Aber bei der derzeitigen Gretchenfrage der Demokratischen Partei – Wie hältst du’s mit dem Sozialismus? – distanziert sich Harris deutlich, auch von Bernie Sanders. Am Dienstag bei einem Wahlkampfauftritt in New Hampshire sagt sie: „Ich bin keine demokratische Sozialistin.“ Und nachdem der texanische Hoffnungsträger Beto O’Rourke – der zwar die Senatswahl im November verlor, von dem aber erwartet wird, dass auch er bald seine Präsidentschaftskandidatur verkünden könnte – in der TV-Sendung „The Daily Show“ dazu aufgerufen hat, die bereits bestehenden 700 Meilen Grenzbefestigung niederzureißen, kontert Harris: „Wir können keine offenen Grenzen haben.“

Ob ihr der Spagat gelingt? Das „Wall Street Journal“, das einen eher kritischen Meinungsbeitrag seiner Chefredaktion zu ihrer Kandidatur publizierte, in dem zum Beispiel behauptet wurde, dass sie ihre Karriere ihrer früheren Beziehung zu dem 30 Jahre älteren Fraktionschef im kalifornischen Parlaments, Willie Brown, verdanke, stellte fest: „Was Harris herausragend macht, ist, dass sie alle Spielarten der derzeitigen demokratischen Politik in sich vereint.“ Und manche Beobachter finden, alleine schon die Tatsache, dass konservative Kreise sich ausführlich mit ihr beschäftigen, zeige, dass die Republikaner damit rechnen, dass sie die Vorauswahl ihrer Partei gewinnen könnte.

Harris setzt ihre Wahlkampftour derweil fort. Nach dem Auftakt im heimatlichen Oakland und anschließenden Auftritten in South Carolina und New Hampshire wird sie am Wochenende in Iowa für sich werben. Das sind drei der vier Staaten, in denen 2020 die ersten demokratischen Vorwahlen stattfinden. Wer hier gut abschneidet, geht gestärkt in den „Super Tuesday“ am 3. März, bei dem gleichzeitig in Kalifornien, Texas und sieben weiteren Staaten abgestimmt wird. Der „Super Tuesday“ kann zur Vorentscheidung werden in der Frage, wer für die Demokraten gegen Trump antreten wird. Kamala Harris weiß das. Darum ist sie hier früh am Start. Dem Zufall überlässt sie wenig.

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