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Senatorin Sandra Scheeres in ihrem Arbeitszimmer. Lange war offen, ob sie auch in der neuen Legislatur Senatorin bleiben würde.

© Foto: Doris Spiekermann-Klaas

Umstrittene Berliner Bildungssenatorin: Sandra Scheeres ist immer noch da

Sandra Scheeres gilt als wenig charismatisch, naiv, eine Fehlbesetzung im Berliner Bildungsressort. Doch die Senatorin hat hinter den Kulissen einiges durchgesetzt.

Anmutige Bewegungen, schwebende Körper im Takt der Musik. Ganz leicht wirkt, was Ergebnis harter Arbeit ist. Dazu ein strahlendes Lächeln der jungen Tänzer der Staatlichen Ballettschule in Pankow für die Bildungssenatorin. Für Sandra Scheeres in der ersten Zuschauerreihe ist dieser Besuch wie ein schöner Ferientag. Die mustergültig modernisierte Schule kann in der Frühlingssonne nicht vorteilhafter wirken. Und alle freuen sich über die Gründung des Landesjugendballetts.

Scheeres hat sich dafür eingesetzt - erst einmal kommen die Mittel aus ihrem laufenden Etat, alles Weitere, sagt sie, wird sich finden. Ich bin eine, die Dinge möglich macht, soll das heißen. Ein wenig ungelenk zwischen all den Bewegungstalenten wirkt sie, als für das Foto alle die Arme in die Luft werfen. Scheeres erzählt den Schülern davon, dass man nicht jeden Tag gut drauf ist, aber sich trotzdem überwinden und durchhalten muss, um Erfolg zu haben. Man könnte meinen, sie spreche in eigener Sache.

Sie wurde als Schulversagerin vom Dienst beschimpft

Für diese eine Stunde kann die 47-jährige Frau mit den offenen Haaren vergessen, dass Berlin gerade wieder bei den Vergleichsarbeiten schlecht abgeschnitten hat. Dass in anderen Schulen wütende Lehrer und Eltern gegen sanierungsreife Schulgebäude und kaputte Toiletten protestieren. Auch, dass die CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters sie gerade als Schulversagerin vom Dienst beschimpft hat: Es sei deshalb absolut unverständlich, dass Scheeres nach fünf Jahren in der SPD-CDU-Koalition bei Rot-Rot-Grün weitermachen dürfe.

Ein Besuch wie ein Ferientag. Das Geld für das neugegründete Landesjugendballett kommt aus ihrem Etat: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (Bildmitte).
Ein Besuch wie ein Ferientag. Das Geld für das neugegründete Landesjugendballett kommt aus ihrem Etat: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (Bildmitte).

© DAVIDS/Sven Darmer

Seit ihrem ersten Tag als Senatorin steckt Scheeres ein - und weg. Ob Scheeres die größte Fehlbesetzung dieses Ressorts ist - oder die erfolgreichste Bildungssenatorin der vergangenen 25 Jahre, wird sich am Ende ihrer zweiten Amtsperiode zeigen. Die Bedingungen jedenfalls könnten nicht besser sein. Ihr steht so viel Geld zur Verfügung wie keinem ihrer Vorgänger. Die Herausforderungen aber sind ebenfalls ohnegleichen.

Seit dem Start von Rot-Rot-Grün wirkt Sandra Scheeres befreiter, auch selbstbewusster als in der ersten Amtszeit. Den Bereich Wissenschaft, in dem sie sich nie richtig zu Hause zu fühlen schien, hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller übernommen. Sie kann sich nun auf Bildung, Jugend und Familie konzentrieren - auf die Kitas und die 800 allgemeinbildenden und beruflichen Schulen mit knapp 400.000 Schülern. Ihre zweite Chance. Denn im Herbst 2016 war lange unsicher, ob sie wieder dem Senat angehören würde. Aber weder Linke noch die Grünen wollten das Amt, das verlässlich schlechte Nachrichten produziert.

16.000 zusätzliche Lehrer müssen eingestellt werden

Als sie 2011 anfing, hätte sie noch Schulen schließen und Lehrerstellen abbauen sollen - weil die Schülerzahlen rückläufig waren. Von der Boomtown Berlin, wo seitdem die Bevölkerung um 240.000 Menschen gewachsen ist und weiter ansteigt, war nicht die Rede. Sie hat das ignoriert, trotz Kritik des Finanzsenators.

Nun hat sich das Bild komplett gedreht: Bis 2025 müssen 76.000 zusätzliche Schulplätze geschaffen und 16.000 zusätzliche Lehrer eingestellt werden. Überall sehen sich die Schulen überfordert und haben Mühe, Fachlehrer zu finden. Insbesondere die Willkommensklassen für tausende Flüchtlingskinder sind ein Kraftakt. Wurden in den 90er Jahren Dutzende Schulen geschlossen, weil durch den Babyknick der Nachwendejahre die Kinder fehlten, kann jetzt nicht schnell genug gebaut - und eingestellt werden. Jeder dritte neue Lehrer ist inzwischen ein Quereinsteiger, der erst eine Zusatzausbildung benötigt, weil Berlin sonst den Schulbetrieb nicht aufrechterhalten könnte. Verheerend, meinen Lehrervertreter. Scheeres sieht das anders: „Quereinsteiger sind für Schüler oft eine Bereicherung“, sagt sie gelassen.

Diesem Druck standzuhalten, das haben ihr nur wenige zugetraut, als der jugendpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion von Klaus Wowereit überraschend das Amt angetragen wurde. Ausgerechnet als Nachfolgerin von Jürgen Zöllner, dem Grandseigneur der Bildungspolitik. Der hatte sich herumzuschlagen mit der Umsetzung einer Reformlawine, die vor seiner Zeit beschlossen wurde. Früheinschulung, jahrgangsübergreifendes Lernen, Inklusion oder Abitur nach zwölf Jahren. Lehrer wie Schüler waren überfordert. Dazu kam mit der Sekundarschule der Aufbau eines neuen Bildungsweges, in dem die Kinder der abgewickelten Hauptschule integriert werden mussten.

„Mein Auftrag war, Ruhe ins System zu bringen“, sagt Sandra Scheeres und findet: „Das habe ich geschafft.“ Entspannt hat sie das nicht. Selbst in ihrem Amtszimmer beim Gespräch auf der Couch, im Hintergrund leuchtend bunte Bilder an der Wand, verliert sie nie den wachsamen Blick. Über nichts werde so leidenschaftlich gestritten wie über Schule und das Wohl der Kinder - von Eltern, Lehrern, Wissenschaftlern.

Die Leidenschaft ihrer Jugend: Fußball spielen

Da kann man nur verlieren. Selbst der allseits anerkannte Vorgänger Jürgen Zöllner wurde ständig kritisiert. Es ist, als habe Scheeres daraus den Schluss gezogen, Anfechtungen einfach zu ignorieren. Die Senatorin, die einst aus Nordrhein- Westfalen kam, lebt mit ihrer Familie in einem Baugemeinschaftsprojekt in Pankow. An ihre zwei Jungen im Alter von 13 und 7 Jahren hat sie die Leidenschaft ihrer Jugend - Fußball spielen - weitergegeben.

„In diesem Ressort muss man Kämpferin sein“, sagt Scheeres, die nun neben Müller und Dilek Kolat das dienstälteste Senatsmitglied ist und den mit Abstand größten Etat aller Ressorts hat. Beobachter wie die frühere Bildungssenatorin Sybille Volkholz loben ihr Verhandlungsgeschick, wenn es um Finanzmittel geht, und die ruhige Beharrlichkeit, etwa die Inklusion umzusetzen. Das Bild in der Öffentlichkeit aber war lange verheerend. „Sie macht einen naiven Eindruck und redet furchtbar“, sagt jemand, der ihre Karriere begleitet hat, „dadurch werden ihre politischen Talente übersehen.“ Erst langsam wird anerkannt, dass sie unter schwierigen Bedingungen mit vielen kleinen Schritten das große Bild verändert. Nicht nur im Kita-Bereich, wo bis 2020 weitere 27000 Plätze geschaffen werden sollen, sondern auch bei der Qualitätsverbesserung des Unterrichts und dem beschleunigten Bau von Schulen.

"Warum wird das nur Frauen vorgeworfen, nie Männern?"

Sie hat auch gelernt, über Bande zu spielen. Aktuell kritisiert die Lehrergewerkschaft GEW etwa lautstark die niedrigen Referendargehälter, denn Berlin könne so mit anderen Bundesländern nicht mithalten. Scheeres ist das wohl ganz recht, obwohl sie sich nicht äußert. Sie war mit dem Wunsch schon 2016 beim CDU-Innensenator Frank Henkel gescheitert. Nun ist der SPD-Finanzsenator für Personal zuständig.

Dass sie inzwischen die Verwaltung in den Griff bekommen hat, wird auch ihren starken Staatssekretären zugeschrieben. Scheeres ärgert das. „Warum wird das nur Frauen vorgeworfen, nie Männern?“ Führungsstärke sei doch, sich gute Leute zu holen, um erfolgreich zu sein.

Dünnhäutig ist sie geblieben in diesem Amt, das ihr viele Gegner verschafft hat und manche offene Rechnung. Etwa mit der CDU, die in der Koalition mit der SPD durchsetzte, dass die höchst umstrittene Früheinschulung gestoppt wurde. Wie sehr das Scheeres ärgerte, konnte man bei einer der letzten Sitzungen des Abgeordnetenhauses ahnen, als Scheeres die CDU-Schulexpertin Hildegard Bentele anfuhr: „Ich bin froh, dass wir nicht mehr zusammen in einer Koalition sind.“

Es ist wie so oft bei ihr. Die Erfolge reklamieren Parteifreunde oder Gegner für sich - mit Scheeres Name verbinden sich die Niederlagen. Beispiel Kitas: In der vergangenen Wahlperiode wurden über 20 000 Plätze geschaffen, und seit Jahresbeginn sind Kitas völlig kostenfrei. Als Urheber gilt aber SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Oder das millionenschwere Sonderprogramm für die Brennpunktschulen, das ebenfalls Saleh durchsetzte. Scheeres wertet es auf ihre Art trotzdem als Erfolg. „Meine Stärke ist, zu wissen, wie Politik funktioniert“, sagt sie. Netzwerke zu knüpfen und Verbündete zu finden.

Moderne Smartboards, rostige Heizkörper

Kurz vor den Osterferien fährt ihr schwarzer Dienstwagen am Leibniz-Gymnasium in Kreuzberg vor. Hunderte Schulen hat Scheeres schon seit ihrem Amtsantritt besucht. Nun präsentiert sie in einem Klassenzimmer ihr Konzept zur Talent- und Begabungsförderung. Da kann man ahnen, warum sie unterschätzt wird. Mitreißend ist sie nicht, wirkt eher ein wenig unbeholfen. Eben so, wie sie ihr Amt versieht: glanzlos, pragmatisch.

Das Leibniz-Gymnasium steht vergleichsweise gut da. Die Schule hatte früher Probleme, profitiert nun von den Mittelschicht-Familien, die in den angesagten Bergmann-Kiez zogen, die Lehrer engagieren sich. Gelernt wird aber in einem denkmalgeschützten Gebäude, das dringend eine Sanierung braucht. Eltern renovieren beim jährlichen „Beauty Day“, wo es am nötigsten ist. Die Klassenzimmer haben zwar elektronische Smartboards, aber die rostigen Heizkörper zeugen von der Mangelverwaltung der Vergangenheit. In den Toiletten sind die Wände verschmiert, in den Deckenplatten klaffen Löcher. Doch in der Aula spielt das Schulorchester zum Start des neuen Projektes. Dann geht Scheeres, der nächste Termin wartet.

Regelmäßig wirft der Gymnasialverband ihr vor, das Gymnasium kaputtmachen zu wollen. „Totaler Quatsch“, sagt Scheeres. Die Koalition stelle die Gymnasien nicht infrage. Punkt. Ihr Verhältnis zu den organisierten Studienräten ist schlecht; anders als ihre Vorgänger meidet sie das Gespräch mit dem Verband. Das ist ihre Art, Kante zu zeigen. Und es ist durchaus als Angriff zu verstehen, wenn sie fragt, warum gerade die Gymnasien in Vergleichsarbeiten schlechter geworden seien, obwohl es dort keine belastenden Reformen gab.

Die schlechten Nachrichten werden sie weiter begleiten

Unvergleichbar findet Scheeres, dass Berlin beim Länderranking schlechter abschneidet als etwa Bayern: In Berlin hätten 60 Prozent der Kinder einen Förderbedarf, jedes dritte Kind lebe in Armut, der Migrantenanteil komme noch dazu. „Wer die Vorstellung hat, dass hier die Leistung durch die Decke schießt, ist unrealistisch“, sagt Scheeres.

Sie wird ihrer Art treu bleiben. Selbst Erfolge wie die vom Senat bewilligten 5,5 Milliarden Euro für Sanierung und Neubau von Schulen kann sie schlecht verkaufen. Die großen Linien sind ihre Sache nicht; in der Senatspressekonferenz im Roten Rathaus hält sie sich mit Spiegelstrich-Genauigkeit an der schriftlichen Vorlage fest.

Bis die Milliarden verbaut sind, werden einige Jahre vergehen. Die schlechten Nachrichten werden Scheeres also weiter begleiten. Sie wird trotzdem weitermachen. Bei Verhandlungen, sagt sie, sei sie es gewohnt, ihre Ziele durchzukämpfen und manchmal mehr zu erreichen, als ihre Staatssekretäre für möglich hielten. „Man braucht Gespür dafür, wann die Tür offen ist - oder wann man sie zuschlagen muss“, sagt sie.

Kürzlich traf sie Klaus Wowereit und Ex-Finanzsenator Ulrich Nußbaum. Zum Amtsantritt 2011 hatte sie fünf Stunden - eingeschlossen in einem Hotelzimmer - mit den beiden um ihren Etat gerungen. Beide sind Geschichte, sie ist noch da. Nußbaum wollte kein zusätzliches Geld für die Kitas rausrücken, am Ende setzte sie sich durch. Jetzt, erzählt Scheeres, habe Nußbaum sich entschuldigt. Er habe die Entwicklung falsch eingeschätzt.

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