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Hinter dem "Hilfszentrum" steckt die "Universalkirche des Königreichs Gottes".

© Doris Spiekermann-Klaas

Exklusiv

Umstrittene Evangelikale im Wedding: Wie sich die „Universalkirche“ in Berlin einkaufen will

Gegen den Willen der Stadt möchte die „Universalkirche des Königreichs Gottes“ eine bekannte Immobilie übernehmen. Ein alter Vertrag könnte sie stoppen.

An diesem Sonntag braucht Pastor Ulices Vidal keine elf Minuten, um in seinem Gottesdienst auf das Geld zu sprechen zu kommen. Er fragt, ob alle Anwesenden den gelben Umschlag griffbereit haben, in dem sie gleich ihre Scheine nach vorn bringen sollen. Zehn Prozent von allem, was sie seit dem letzten Mal eingenommen haben. Die zehn Prozent seien „Pflicht, also nicht freiwillig“. Gott verlange es so.

Optisch würde Pastor Vidal mit der blauen Krawatte und weißem Hemd gut hinter den Schalter einer Bankfiliale passen. Minutenlang predigt er über die Notwendigkeit des Geldgebens, nennt es einen Akt der Treue gegenüber Gott, vergleichbar mit einer Ehe, in der man von seinem Partner doch ebenfalls Treue erwarte.

Damit keine Missverständnisse aufkommen, stellt Ulices Vidal noch einmal klar, dass die Spenden der zehn Prozent aber bitte nicht zu verwechseln sind mit jenen Geldspenden, die später noch als zusätzliche „Opfergaben“ eingesammelt werden. Für die Opfergaben sind dann die weißen Briefumschläge vorgesehen.

Mehr als hundert Menschen haben sich an diesem Sonntagvormittag in der Neuen Nazarethkirche auf dem Leopoldplatz im Wedding versammelt. Am Eingang des Backsteinbaus steht auf Schildern in großen Lettern „Hilfszentrum“. Unter diesem Namen firmiert in Deutschland die selbsternannte „Universalkirche des Königreichs Gottes“, kurz UKRG. Eine charismatische, evangelikale Freikirche, die ihren Ursprung in Brasilien hat und zunehmend auch in Deutschland aktiv ist.

Eheprobleme? Geld her!

Das Einsammeln von Spenden ist zentraler Bestandteil des gepredigten Glaubens. Für das Geld, so verspricht die Kirche, werde Gott die Spender von Krankheiten, Beziehungsproblemen, Schulden befreien – und verhelfe ihnen zu Wohlstand. Seit drei Jahren feiert die „Universalkirche“ am Leopoldplatz ihre Gottesdienste, nennt die Neue Nazarethkirche ihren „nationalen Hauptsitz“ – und hat große Pläne.

Nach Tagesspiegel-Informationen will sie das Gebäude jetzt kaufen. Der Bezirk Mitte ist alarmiert und möchte das verhindern. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) sagt, allein die Praxis des massiven Spendeneintreibens deute darauf hin, dass „eine solche Kirche weder für den Leopoldplatz noch den Bezirk eine positive Entwicklung befördern würde“.

Dabei legt sich die Stadt mit einem mächtigen Gegner an. Die „Universalkirche des Königreichs Gottes“ wurde 1977 von Edir Macedo gegründet, einem ehemaligen Lotterielosverkäufer aus Rio de Janeiro. Anhänger verehren ihn heute als den „größten Evangelisten des Jahrhunderts“, er selbst nennt sich „Bischof“. Neben der Kirche leitet Macedo mittlerweile auch ein gigantisches Firmenimperium, zu dem Dutzende Fernsehsender und Radiokanäle zählen. Mit „TV Record“ gehört ihm einer der wichtigsten Sender des Landes. Seit seiner Übernahme laufen dort nicht nur Telenovelas und Shoppingformate, sondern auch Macedos fromme Botschaften.

Der Gründer hofiert Jair Bolsonaro

Das Magazin „Forbes“ schätzte das Vermögen des Kirchengründers auf 820 Millionen Euro. Inzwischen nimmt Edir Macedo auch offen Einfluss auf die Politik. Bei der vergangenen Präsidentschaftswahl unterstützte er den extrem rechten Kandidaten Jair Bolsonaro, der seit Anfang dieses Jahres im Amt ist. Sein „TV Record“ hofiert Bolsonaro, wie es Fox News in den USA mit Donald Trump macht. Bolsonaro revanchiert sich mit Homestorys und Exklusivinterviews.

Edir Macedo bei der Eröffnung seiner Tempelkopie in Sao Paulo.
Edir Macedo bei der Eröffnung seiner Tempelkopie in Sao Paulo.

© imago/Fotoarena

Schätzungen zufolge hat die „Universalkirche“ heute acht Millionen Anhänger. Besonders schnell wächst sie in Teilen Afrikas, vor allem den portugiesischsprachigen Staaten wie Angola und Mosambik. In Deutschland unterhält sie Standorte in elf Städten, ist besonders bei Menschen mit brasilianischen oder portugiesischen Vorfahren beliebt.

Die Neue Nazarethkirche am Leopoldplatz gilt als ihr prächtigster Versammlungsort: Der neogotische Bau mit spitzem Kirchturm wurde Ende des 19. Jahrhunderts errichtet und lange von der evangelischen Kirche genutzt, 1993 dann an die Freikirche „Gemeinde Gottes Deutschland“ verkauft. Die wiederum vermietet ihn seit drei Jahren an das „Hilfszentrum“ – und will die Immobilie jetzt abstoßen.

Bezirksbürgermeister von Dassel bestätigt auf Tagesspiegel-Nachfrage den Vorgang und versichert, dass der Bezirk dies verhindern möchte. Chancen dazu gibt es: Der Kaufvertrag zwischen dem Land Berlin und der Freikirche aus dem Jahr 1993 enthält einen Paragraphen, nach dem die Freikirche das Grundstück nur weiterverkaufen darf, wenn das Land Berlin schriftlich zustimmt.

Eine Klausel macht Hoffnung

Sollte der jetzige Besitzer des Grundstücks seine Ankündigung wahrmachen und gegen den Willen des Bezirks verkaufen, könnte das Land, auch dies ist im alten Vertrag festgeschrieben, von seinem damaligen Verkauf zurücktreten. Es müsste dann lediglich den einstigen Preis von umgerechnet 440 000 Euro zurückzahlen.

Am sonntäglichen Gottesdienst nimmt auch Klaus K. teil. Ein schlanker Mann Mitte 50, schütteres Haar. Unter den deutschen Anhängern der Universalkirche gilt K. als Vorzeigebeispiel für das, was Gott zu leisten imstande ist, wenn man der Kirche regelmäßig sein Geld gibt. Nach eigener Aussage war er früher vom „Dämon der Pornografie“ besessen, sah sich regelmäßig Sexfilme im Internet an.

Dank des Hilfszentrums, so erzählt er es in einem Werbevideo, habe K. realisiert, dass er von den Pornos nicht mehr lassen konnte. „Da habe ich gemerkt: Ich unterscheide mich gar nicht viel von einem Sexualstraftäter – von einem Mann, der nicht anders kann, als eine Frau zu vergewaltigen.“ Gott habe den Dämon der Pornografie schließlich aus ihm herausgerissen und ihn von seinem sexuellen Trieb befreit: „Seit damals weiß ich, dass es Gott hundertprozentig gibt.“

Auch andere Gemeindemitglieder berichten online, woran sie vor ihrem Kontakt mit der „Universalkirche“ litten: Depressionen, Mietschulden, kaputter Ehe, innerer Leere, wenig Selbstvertrauen, Drogensucht, Wutausbrüchen, Knieproblemen ... Was Ärzte, Psychiater und Schuldenberater nicht schaffen, ist für das Hilfszentrum und Gott kein Problem.

Wen die Kirche besonders anzieht

Der evangelische Theologe João Carlos Schmidt, Pfarrer in Karlsruhe, hat sich intensiv mit der „Universalkirche“ befasst. Am Telefon sagt er, es sei kein Zufall, dass ihre Lehre vor allem sozial Schwache anziehe. Eine Religion, die explizit Reichtum und Erfolg verspricht, sei logischerweise für jene attraktiv, bei denen die Verzweiflung und die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände besonders stark sei. „Ihnen geht es nicht primär um den Himmel im Jenseits. Sie wollen schon jetzt in den Himmel – oder wenigstens ihrer Hölle entkommen.“

João Carlos Schmidt ist selbst in Brasilien aufgewachsen. Er sagt, die „Universalkirche“ sei dort vor allem bei den Armen und in der verarmten Mittelschicht verankert. Sie sei straff organisiert, antiökumenisch und dulde intern keine Kritik. Vor allem sei sie extrem fantasievoll, neue Gründe zu finden, die ihre Gläubigen zu weiteren Spenden bewegen.

Bei Gottesdiensten beobachtete er, wie Gläubigen Gegenstände überreicht wurden, für die diese dann Geld gaben: angeblich gesegnetes Salz oder Senfkörner, Kopien von Geldscheinen für Wohlstand, gesegnete Seife, parfümierte Herzen aus Papier.

Evangelikale Kirchen, deren Angehörige die Bibel wörtlich auslegen und meist konservative bis dezidiert rechte Haltungen vertreten, gibt es in Brasilien viele. Aber keine macht so wenig Hehl aus ihren finanziellen Absichten – und ist dabei so erfolgreich. Ein Anhänger der „Universalkirche“ hat es inzwischen zum Bürgermeister von Rio de Janeiro gebracht. Er hat dem Karneval den Kampf angesagt.

Der Vorwurf der Geldwäsche

Andererseits mussten sich Kirchenobere immer wieder vor Gericht verantworten, etwa wegen Bandenbildung, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Veruntreuung von Gläubigenspenden. Gründer Edir Macedo verbrachte in den Neunzigern einige Tage im Gefängnis wegen des Vorwurfs der Scharlatanerie und Teufelsaustreibung, wurde aber freigesprochen.

Beim Gottesdienst in der Neuen Nazarethkirche werden keine Lieder gesungen, die Musik kommt vom Band. Mehrfach erfüllt ein lautes Stimmengewirr den Raum, weil der Pastor die Gläubigen bittet, jeder möge für sich allein beten. Einige breiten ihre Arme aus, eine Frau zuckt mit dem ganzen Körper, ein Mann umschlingt sich selbst. Manche weinen vor Ergriffenheit.

Zwischendurch halten die Gläubigen ihre mitgebrachten Plastikflaschen in die Höhe. Sie enthalten Tropfen von heiligem Olivenöl, immerhin das ist hier kostenlos.

Die Neue Nazarethkirche am Leopoldplatz.
Die Neue Nazarethkirche am Leopoldplatz.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

In einer Ecke hat eine Mitarbeiterin einen Büchertisch aufgebaut. Sie bietet dort bloß ein einziges Werk an. Es heißt „Auf den Spuren von Jesus“, geschrieben von Kirchengründer Edir Macedo persönlich. In dem Buch, das seit diesem Jahr auf Deutsch erhältlich ist, erklärt Macedo ausführlich, warum das Zahlen der zehn Prozent für jeden Gläubigen Pflicht ist. Gott habe dies als eine „Art Steuer für seine Kreaturen“ vorgesehen. Die Zehn-Prozent-Regel stehe zwar nicht in den zehn Geboten, sei aber mindestens so wichtig.

Das Buch enthält Glaubenssätze wie „Das Geld ist der Grundstein im Werk Gottes“ oder „Gott wünscht sich, unser Geschäftspartner und Mitinhaber zu sein“. Durch das Spenden werde der Gläubige „Teilhaber von allem, was Gott gehört“.

Übrigens seien nicht nur zehn Prozent des Einkommens gemeint, sondern zehn Prozent von allem, auch Geschenken, auch Immobilien. Aber keine Angst, schreibt Macedo: „Ihr Geld wird niemals ausgehen, im Gegenteil, es wird sich auf eine Art und Weise multiplizieren ...“ Deshalb könne sich der zahlende Gläubige bald alles leisten, was er sich schon immer gewünscht habe.

In Gottesdiensten der „Universalkirche“ werden Teufelsaustreibungen und Wunderheilungen präsentiert. Gebrechliche werfen ihre Krücken weg, Krebs kann augenblicklich verschwinden.

An diesem Sonntag im Wedding passiert nichts dergleichen. Stattdessen bittet Pastor Ulices Vidal einen Helfer, die weißen Briefumschläge auszulegen. Jeder Gläubige darf sich einen nehmen, um seine „Opfergabe“ hineinzustecken, womit wiederum Geld gemeint ist.

Im Gegensatz zur Spende der zehn Prozent ist die genaue Menge diesmal nicht vorgeschrieben. Hauptsache, man sei nicht knauserig. Kirchengründer Macedo hat es in seinem Buch erklärt: Bei der „Opfergabe“ schaue Gott „nicht auf die Menge, sondern ob es das Beste ist, das die Person gibt“. Statt die Spende selbst kontrolliere der Schöpfer also mit kritischem Blick, was ein Mensch in seiner Hosentasche zurückbehält.

Dass die Gläubigen das viele Geld nicht Gott direkt, sondern dem „Hilfszentrum“ überlassen, sei auch logisch. Die Summen würden benötigt, um die gute Lehre zu verbreiten und mehr Menschen von ihren Dämonen zu befreien. Macedo formuliert es dramatisch: „Milliarden von Personen auf dieser Welt würden die Ewigkeit in der Hölle verbringen, nur weil niemand über die Errettung durch Jesus Christus spräche.“

Der Nachbau des Jerusalemer Tempels

Über welch bizarren Reichtum die „Universalkirche“ dank der ständigen Spenden ihrer Mitglieder inzwischen verfügt, lässt sich am besten in Sao Paulo beobachten. In der brasilianischen Wirtschaftsmetropole hat die Kirche vor fünf Jahren einen gigantischen Tempel errichtet. 10.000 Menschen passen rein, alleine das Taufbecken misst 100 Quadratmeter.

Der Bau ist eine Kopie des Jerusalemer Tempels von König Salomon, jenes legendären „ersten Tempels“, der im sechsten Jahrhundert vor Christus bei der Eroberung der Stadt durch die Neubabylonier zerstört wurde. Für die Fassade ließ Macedo extra Quader aus einem Steinbruch in Israel importieren. Auf dem Dach eines Nebengebäudes befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz. Der Olivenhain nebenan soll an den Garten Gethsemane erinnern.

Zu ihren Kaufplänen im Wedding äußern sich die Vertreter der „Universalkirche“ nicht, eine Anfrage des Tagesspiegels bleibt unbeantwortet.

Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel erklärt dagegen, die Neue Nazarethkirche solle nach einem geglückten Rückkauf durch die Stadt in öffentlicher Hand bleiben: „Nicht nur für den Leopoldplatz, sondern für den ganzen Wedding wäre es ein Riesengewinn, wenn wir dort beispielsweise ein sozio-kulturelles Zentrum einrichten könnten.“ Planungen dazu liefen bereits.

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