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Philipp Amthor vergisst uns nicht, sagen die Leute in Mecklenburg-Vorpommern. Das wiederum vergessen sie ihm nicht.

© Kitty Kleist-Heinrich

Umstrittene Lobbyarbeit, anrüchige Aktienoptionen: Eine Spurensuche in Philipp Amthors Heimat

Viele rätseln, warum der CDU-Jungstar seine Karriere aufs Spiel setzt. Wie konnte ihm das passieren? Er selbst sagte einmal: Wo wir groß werden, das prägt uns.

Ganz weit draußen, die Grenze nach Polen ist keinen Kilometer Feldweg mehr entfernt, schlägt zuverlässig der Hund im Zwinger an. Thomas Reim bittet in seinen Garten.

Reim, das Haar weiß, die Augen gegen die Sonne zusammengekniffen, ist Landwirt in Vorpommern, er ist Mitglied im Bauernverband und in der CDU. Zu Philipp Amthor, Bundestagsabgeordneter für den großen Wahlkreis 016 Mecklenburgische Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II, CDU-Innenpolitiker, sagt er „Du“. So lange kennt er ihn schon.

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Als Amthor im Wahlkampf schöne Bilder brauchte, standen Reims Kühe Modell. Er sagt: „Philipp ist ein ganz Besonderer.“ Und es wäre ein Verlust, wenn der nun über diese Sache stolpern sollte.

Diese Sache: Amthors Lobbyarbeit für die New Yorker Firma Augustus Intelligence, die der „Spiegel“ Mitte Juni offenlegte. Demnach machte Amthor sich persönlich und mit einem offiziellen Brief an Wirtschaftsminister Peter Altmaier für das Start-up stark, bei dem er zu diesem Zeitpunkt noch einen Direktorenposten innehatte. Im „Spiegel“ hieß es, Augustus Intelligence arbeite an Software zur Gesichts- und Objekterkennung. Das Unternehmen hat seinen Sitz im One World Trade Center in Manhattan.

Obwohl es Politikern grundsätzlich gestattet ist, sich für Unternehmen einzusetzen, sieht das anders aus, wenn sie sich dadurch eventuell bereichern. Bei Amthor, der auch Aktienoptionen des Startups hielt, war dies zumindest nicht ausgeschlossen. Aktienoptionen, Posten, das gibt es jetzt offenbar nicht mehr. Er habe die Nebentätigkeit beendet, sagte Amthor. Eine Erklärung, wer beispielsweise Reisen zu Treffen mit seinen Geschäftspartnern zahlte, ist er noch schuldig.

Unermüdlich bemüht

Mecklenburg-Vorpommern ist Philipp Amthors Heimat. 27 Jahre alt, aufgewachsen im Städtchen Torgelow, zur Schule gegangen im benachbarten Ueckermünde, in die CDU eingetreten als 16-jähriger Schüler. Seither unermüdlich bemüht – um die Region und das eigene Vorankommen.

Thomas Reim, Jahrgang 1962, gebürtig aus dem zwei Kilometer von seinem Wohnsitz entfernten Dorf Schwennenz, hat in Berlin studiert. Er weiß um die Entfernung vom Land zur Hauptstadt, vor allem die gedankliche. Für Landwirte ist es wichtig, dass sie einen in Berlin haben, der Kontakt zu den Wichtigen, Mächtigen hat. Der verbindlich auf ihre Interessen aufmerksam macht. Philipp Amthor sei so einer.

„Dem kann man mit jedem Thema kommen“, sagt Reim, „der arbeitet sich ein.“ Er betont, dass Amthor das von anderen Politikern unterscheide. „Spricht man mit Philipp, kann man sich sicher sein, dass er es weiterträgt“, sagt Reim. „Er ist eigentlich gut in Berlin aufgehoben.“

Der Wahlkreis als Resonanzboden

Loyal, so war Philipp Amthor in Gesprächen mit Landwirten schon zu erleben. Sie sind oft kein einfaches Klientel, Männer wie Thomas Reim zum Beispiel, Männer, die Amthors Väter sein könnten. Aber auch Männer, die produktive Arbeit schätzen. Die, wenn sie wollten, über die Jahre beobachten konnten, wie Amthor sich erst als Gymnasiast, später als Jurastudent an der Universität Greifswald, immer auch für andere in seiner Partei stark machte, sich – mehr als andere – einbrachte.

Ob die Legende stimmt, dass Angela Merkel persönlich ihm riet, zum Studium nicht fortzuziehen, sondern in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben, niemand weiß es genau. Auch Thomas Reim lacht, als er davon erzählt. Fakt aber ist: Den vermeintlichen Rat zu befolgen, hat Philipp Amthor bislang nicht geschadet.

Lichtgestalt. Aufgewachsen im vorpommerschen Städtchen Torgelow, mit 16 eingetreten in die CDU und seither unermüdlich bemüht – um die Region und das eigene Vorankommen.
Lichtgestalt. Aufgewachsen im vorpommerschen Städtchen Torgelow, mit 16 eingetreten in die CDU und seither unermüdlich bemüht – um die Region und das eigene Vorankommen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Wahlkreis sei sein Resonanzboden, hat Amthor einmal gesagt. Weil die Termine in Mecklenburg-Vorpommern ihm zeigen würden, was die Menschen alltäglich beschäftigt; weil der Politbetrieb in Berlin eine Blase ist.

Im Wahlkampf 2017, in dem er vor der AfD schließlich das Direktmandat bekam und mit Mitte 20 in den Bundestag einzog, hat er laut eigener Aussage mit seinem Team an rund 15.000 Haustüren geklingelt. „Er vergisst seine Leute nicht“, sagen sie hier im Norden. Das wiederum vergessen sie ihm nicht.

Der Mensch im Politiker

Je weiter man Richtung Küste fährt, desto mehr scheint der Mensch im Politiker hervorzutreten. Philipp, Junge, musste das jetzt sein? Alles hier wirkt ruhig und friedlich, am wildesten scheint noch der Wind zu sein, der durch Felder und Wiesen streicht, dass die Köpfchen der Mohnblumen wackeln. Coronabedingt, würde man andernorts sagen. Hier ist das immer so.

Wo wir groß werden, das prägt uns, hat Amthor Ende Januar im Podcast „Zündfunk“ des Bayerischen Rundfunks gesagt. Und: „Deutschland ist mehr als Berlin-Prenzlauer Berg.“

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In Erzählungen über seine Kindheit im unscheinbaren Torgelow bei einer alleinerziehenden Mutter, weicht Amthor auf Floskeln aus: Kein Leben mit goldenem Löffel im Mund. Und jetzt New York?

Er hat schon einmal einen Fehler gemacht, der öffentlich diskutiert wurde. Damals, als er Ende 2018 mit Bürgern auf einem vorpommerschen Marktplatz die Nationalhymne sang und im Anschluss eine rassistische Bemerkung machte. Er hat sich gefühlt tausendfach entschuldigt – und irgendwann fragte niemand mehr danach.

Er muss sich an eigenen Standards messen lassen

Am Dienstagabend, die Sonne bestrahlt das Stettiner Haff schon aus der Schieflage, wird bekannt, dass Amthor sich aus dem Untersuchungsausschuss zum Berliner Breitscheidplatz-Attentat zurückzieht. Im Ausschuss hätte auch Hans-Georg Maaßen befragt werden müssen, der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes – und vermeintlicher Geschäftskollege.

Auch Maaßen hat offenbar Verbindungen zur New Yorker Firma Augustus Intelligence. So wie laut Wochenzeitung „Die Zeit“ auch der frühere Bundesnachrichtendienst-Chef August Hanning. Was treibt konservative, pensionierte und wohlbestallte Sicherheitsbehörden-Ex-Chefs und junge Politiker in die Hände dieser Firma?

Amthor, der Überkorrekte, der berühmt wurde durch seine zweite Rede im Bundestag, Februar 2018, in der er einen Antrag der AfD auf ein Burkaverbot wegen juristischer Ungenauigkeiten rhetorisch zerfetzte, muss sich nun an seinen eigenen Standards messen lassen.

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Bernfried Winkler hat sich alle Reden von Philipp Amthor angesehen, er sei stets angetan gewesen, sagt er, „wie cool und mit wie viel Fachwissen“ er sprach. Winkler, 63 Jahre alt und braun gebrannt, ist Autohändler im Dorf Mönkebude, wenige Kilometer von Ueckermünde entfernt.

Bernfried Winkler war schon immer politisch aktiv – aktuell ist er es vor allem in der Gemeindevertretung – und doch aus Prinzip nie in eine Partei eingetreten. Wem er seine Sympathie schenke, mache er von anderen Kriterien abhängig. Ob jemand offen und ehrlich seine Meinung sagt, zum Beispiel. Ob jemand bürgernah ist, selbst wenn die Hälfte des beruflichen Lebens im Bundestag stattfindet. Für Philipp Amthor bejaht er beides.

„Man sollte solche Menschen nicht kaputtmachen“

„Man hört ihm zu“, sagt er und erzählt von seiner Tochter, die mit Amthor eine Klasse im geduckt an einem Feldrand liegenden Ueckermünder Greifen-Gymnasium besuchte. Wenn der Unterricht mal ausfiel, weil ein Lehrer fehlte, wer ging nach vorne? Philipp.

Winkler sagt, er habe Respekt vor der großen Verantwortung, die ein Bundestagsmandat mit sich bringt. „Damit muss man vorsichtig umgehen.“ Aber wiege es nicht schwerer, dass mit Amthor ein junger und kluger Mensch im Bundestag sei, dieser Versammlung der eher alten Volksvertreter?

„Man sollte solche Menschen nicht kaputtmachen“, sagt Winkler. Selbst dann nicht, wenn sie sich überaus unklug verhalten, so wie Amthor im Fall Augustus Intelligence. Nun, „er wird reifen und daraus lernen", sagt Winkler.

Vor ihm auf dem Tisch in seinem kleinen Büro liegt eine Ausgabe des „Nordkurier“. Philipp Amthor auf der ersten Seite, ausführlicher auf Seite fünf. Dort ist zu lesen, dass Amthor am Montag an einer Sitzung des Kreistags in Pasewalk teilnahm. Und dem Reporter zu den Vorwürfen gegen ihn nichts sagen wollte: „Ich habe alles dazu gesagt.“

Fehler machen - ist das erlaubt?

Alles, das war vor allem ein Beitrag, den Amthor in sozialen Netzwerken teilte, in dem er bekannte, dass seine Lobbyarbeit für Augustus Intelligence ein Fehler gewesen sei. Veröffentlicht am 12. Juni, seither herrscht Schweigen.

In der CDU Mecklenburg-Vorpommerns nicht. Der Kreisvorsitzende Franz-Robert Liskow hielt Amthor zugute, dass er sich sofort entschuldigt und den Fehler eingestanden habe. Fehler machen müsse auch für einen jungen Abgeordneten erlaubt sein. Der kommissarische Vorsitzende der Landes-CDU, Eckhardt Rehberg, sah das öffentlich anders: „Der Vertrauensverlust wiegt schwer.“

Er wiegt vielleicht umso schwerer, da Amthor sich selbst erst vor kurzer Zeit als Landesvorsitzender ins Spiel gebracht hat. Erst vor wenigen Tagen hatte seine Konkurrentin, die mecklenburg-vorpommersche Justizministerin Katy Hoffmeister, ihre Kandidatur zurückgezogen. Amthor dankte ihr zu einem Zeitpunkt, an dem er möglicherweise schon wusste, dass der „Spiegel“ Details seiner Lobbyarbeit öffentlich machen würde. Seine Partei hält bislang an seiner Kandidatur fest.

Katy Hoffmeister, Amthors Gegenkandidatin für den CDU-Landesparteivorsitz, zog ihre Kandidatur vergangene Woche zurück.
Katy Hoffmeister, Amthors Gegenkandidatin für den CDU-Landesparteivorsitz, zog ihre Kandidatur vergangene Woche zurück.

© Jens Büttner/dpa

Müsste man, könnte man diese ganzen Nebentätigkeiten, diesen Lobbyismus nicht generell verbieten? Dass gar kein Anschein von Käuflichkeit aufkommen kann? Das fragt sich Bernfried Winkler in Mönkebude.

Ein Balanceakt am rechten Rand der Partei

Winkler sieht es nüchtern: Für ein Amt wie das des Landesvorsitzenden sei Lebenserfahrung sicher von Vorteil. Vielleicht müsse es ja nicht gleich so hoch gegriffen sein, mit der Aussicht auf den nächsten Schritt: bei der Landtagswahl gegen die amtierende SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig anzutreten.

„Ich bin der Meinung, junge Leute brauchen Entwicklungsraum“, sagt Winkler, bei dem die Sorge mitschwingt, ein Sturz Philipp Amthors könnte der lauernden und sich dieser Tage geradezu seltsam bedeckt haltenden Opposition in die Hände spielen. Die AfD scheint nur darauf zu warten. Die NPD ist in Mecklenburg-Vorpommern sehr aktiv.

Philipp Amthor gelingt – bislang – ein Balanceakt am sehr rechten Rand seiner Partei. Bei Veranstaltungen in seinem Wahlkreis war es schon zu beobachten, wie er mit beinhartem Konservativismus und gelegentlich als grenzwertig empfundener Rhetorik jene festhalten kann, die, gäbe es ihn nicht, ihr Kreuz bei den Rechten machten.

Bernfried Winkler sagt, es wäre das Schlimmste, wenn die eigene Partei ihn jetzt nicht unterstützte. Vielleicht wäre es auch das Dümmste?

Hier oben in Nordostdeutschland, im so genannten strukturschwachen Gebiet, werfen sie in die eine Waagschale, was er für sie getan hat und tun kann – und sei es, sie vor den Rechtsextremen zu bewahren. In der anderen liegt dieser Vorwurf der Käuflichkeit, der vielen irgendwie abstrakt erscheint, weit weg sowieso, Übersee, hallo?

Nahbar, interessiert und informiert

Es war nicht klug, was er gemacht hat, sagen die wenigen, die überhaupt etwas sagen wollen – und schieben vielmals „aber“ nach. Aber er hat sich doch entschuldigt. Aber es kann ihm nicht ums Geld gegangen sein, er verdient doch gut als Abgeordneter. Aber er ist doch noch jung. Aber er setzt sich für uns ein.

Philipp Amthor hat stets versucht, im großen politischen Berlin anzukommen und dennoch in seinem Wahlkreis verwurzelt zu bleiben. Zumindest Letzeres scheint ihm gelungen zu sein.

Eine Dame in Ueckermünde beschreibt ihn als nahbar, interessiert und bei offiziellen Terminen, wo sie ihn erleben durfte, immer gut informiert. „Er erinnert sich“, sagt sie und meint: an sie selber. Meint aber auch ihre Kinder, die Mitschüler von Amthor waren, nach denen er sich bei Gelegenheit erkundigt.

Seine Beharrlichkeit, was sein schon so frühes politisches Engagement betrifft, erfüllt jene, die seinen Weg beobachten, auch mit Stolz. Seine ehemalige Lehrerin Stefanie Peters, nebenbei freie Mitarbeiterin des „Nordkurier“, veröffentlichte dort im November einen langen Bericht über gleich drei ihrer Schüler, die von der „Zeit“ unter die „100 wichtigsten Ostdeutschen unter 40“ gewählt wurden. Einer von ihnen: Philipp Amthor.

Einer von hier, der auffällt in Berlin

„Philipp war damals schon ein stockkonservativer Typ, den Modeerscheinungen, Zeitgeist oder jugendliche Leichtigkeit kaum tangierten“, schreibt sie. „Die Politik war und ist sein Leben. So streitbar seine Ansichten und sein Habitus auch sein mögen, er ist authentisch. Der war schon immer so, damals vielleicht ein bisschen pausbäckiger.“

Auch Landwirt Thomas Reim muss lachen, wenn er darüber spricht, dass ausgerechnet die Universität Greifswald, für ihre juristische Fakultät nicht unbedingt deutschlandweit bekannt, zum „politischen Sprungbrett“ wurde.

Seither holt Amthor auch immer wieder Politprominenz in die Provinz, zuletzt im Februar Friedrich Merz zum traditionellen Heringsessen der CDU in der Ueckermünder Strandhalle. Thomas Reim war zugegen, seine Erinnerung daran zeigt sich in anerkennendem Nicken. Jemand von hier, der auffällt in Berlin, das hilft.

Der Bundestag will am Freitag in einer Aktuellen Stunde über Lobbyismus beraten. Just an dem Tag, an dem Philipp Amthor in einer nichtöffentlichen Sitzung des mecklenburg-vorpommerschen CDU-Landesvorstands Rede und Antwort stehen muss, in Güstrow, zu Hause.

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