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Der Fischer Hani verdient weniger als einen Euro am Tag. Aber er hat Hoffnung. Sie heißt: Präsident al Sisi.

© Julia Nikschick

Vier Jahre nach der Revolution: Hoffnung und Resignation in Ägypten

Vor vier Jahren war überall im Land Aufbruch. Doch inzwischen ist die Lage in Ägypten schlimmer als vor der Revolution. Viele haben resigniert, manche haben Angst. Und die meisten sagen mittlerweile: Es ist ganz egal, wer uns regiert.

Ein früher Morgen in Kairo, auf dem Nil kreuzen die Boote der Fischer, sie ziehen handgeknüpfte Netze hinter sich her. Auch Hanis Boot ist darunter. Der 32 Jahre alte Fischer wohnt und arbeitet schon sein ganzes Leben auf dem Fluss.

In einem Café am Ufer der kleinen Nilinsel Zamalek mitten in Kairo sitzt nur wenige Tage später Noor Mourad. Die 31-Jährige blickt aufs Wasser, auf die Fischer – und überlegt, ob sie sich ihr letztes Tattoo nachstechen lassen soll.

Sie schiebt ihren Ärmel hoch und zeigt einen Hasen, eingebettet in ein Herz, umrankt von zarten Rosen. Es ist ihr drittes Tattoo. Vor Kurzem hat sie es sich auf den Unterarm stechen lassen. 3000 ägyptische Pfund hat sie dafür bezahlt, das sind rund 350 Euro. Fischer Hani muss für eine solche Summe ein halbes Jahr arbeiten. In guten Monaten verdient er mit dem Verkauf seiner Fische bis zu 500 Pfund.

Der Kampfgeist ist Geschichte

Vier Jahre liegt die Revolution in Ägypten nun zurück. Und noch immer warten die Menschen im Land – quer durch alle Gesellschaftsschichten – auf Veränderung, auf Verbesserung. Die steigende Arbeitslosenquote frustriert die Mittelschicht, während die Oberschicht mit Steuervergünstigungen gefügig gemacht wird. Allein die Unterschicht, die von einem sozialen Umbruch in Ägypten am meisten profitieren würde, scheint am weitesten von revolutionären Gedanken entfernt. Sie sind schon immer nur dann auf die Straßen gegangen, wenn ihre Existenz bedroht war. Das weiß der Präsident Abdel Fattah al Sisi mit Subventionen auf Grundnahrungsmittel zu kontrollieren.

Der Kampfgeist, der 2011 Husni Mubarak zu Fall brachte, ist Geschichte. Und so tut sich – nichts. Das Land verharrt in einem System, das repressiver ist als je zuvor. Mit Abdel Fatah al Sisi ist, wie einst Mubarak, wieder ein Mann aus dem Militär Staatsoberhaupt. Dass sich das Volk erneut gegen seinen Herrscher erhebt, will er mit allen Mitteln verhindern.

Al Sisi nutzt die Macht

Offiziell gibt sich al Sisi demokratisch. Noch als Armeechef hatte er im Sommer 2013 den islamistischen Präsidenten und Mubarak-Nachfolger Mohammed Mursi gestürzt. Die Ägypter wählten al Sisi zum Präsidenten und sollten mit einer Parlamentswahl Ende 2014 schließlich neue Abgeordnete bestimmen. Dann wurde die Wahl zunächst auf März 2015 verschoben – nun ist sie erneut ausgesetzt. Das Verfassungsgericht entschied, das Wahlgesetz sei nicht verfassungskonform, al Sisi ordnete eine Überarbeitung an. Frühestens nach dem Fastenmonat Ramadan Ende Juli rechnen Experten mit einem neuen Anlauf. Der Präsident wird bis dahin weiter per Dekret regieren.

Diese Macht nutzt er, verhaftet Aktivisten, zensiert die Medien, lässt Schwule und Atheisten verfolgen und hunderte Anhänger der islamistischen Muslimbruderschaft zum Tode verurteilen.

Für Noor Mourad macht es keinen Unterschied mehr, wer regiert, sie hat den Glauben in die Politik längst verloren. „Wahlen oder nicht, es ist ohnehin alles gefälscht“, sagt sie. Sie hat beschlossen, die Wahlen zu boykottieren. „Jetzt ist alles schlimmer, in jeder Beziehung.“ Optisch wirkt Noor wie eine linksalternative Rebellin. Eine Seite ihrer langen schwarzen Haare ist abrasiert, neben drei Tattoos trägt sie auch zwei Piercings, eines in der Nase, eines in der Unterlippe. „Ich steh auf die Nadeln“, sagt sie. „Ich mag die Schmerzen.“ Gerne möchte sie sich den ganzen linken Arm tätowieren lassen, „damit es dann aussieht wie ein Ärmel“.

Großprojekte sollen die Bevölkerung hoffnungsvoll stimmen

Erst nach ihrer Rückkehr nach Kairo im November 2013 ist Noor Mourad in die Kairoer Tattoo-Szene eingetaucht. Sie studierte Informationsmanagement in Alexandria, dann ging sie mit der Familie nach Kuwait. Nach langen Diskussionen ließen ihre Eltern sie allein zurückkehren. Sie bezog das leerstehende Penthouse ihrer Großeltern und arbeitete für ein Online-Unternehmen, das landesweit Lieferdienste für Fast-Food-Restaurants anbietet. Die Stelle hat sie mittlerweile gekündigt – zu langweilig. Derzeit lebt sie von Ersparnissen und dem Geld ihrer Eltern. Sie müsste nicht dringend arbeiten. Jedenfalls nicht sofort. Mourad hat aber schon eine neue Idee: Sie möchte Ernährungskurse für Kinder geben, zum Beispiel im nahen Sport-Club, den vor allem Ausländer besuchen.

Dass ihr Aussehen dabei Probleme bereiten könnte, glaubt sie nicht. Schließlich hat sie bisher auch alles vor ihrem Vater verheimlichen können. „Die Piercings hat er schon mal gesehen, aber noch nie etwas gesagt. Aber wenn er von den Tattoos wüsste – oh mein Gott! Dann dürfte ich wahrscheinlich nicht länger allein hier in Kairo leben.“ Ihr Vater, erzählt Noor Mourad, gehöre zu jenen Konservativen, die Tattoos als Verstoß gegen das Gebot sehen, den gottgegebenen Körper nicht zu verändern. „Aber er ist kein Muslimbruder“, fügt sie schnell hinzu.

Froh über die "zweite Revolution"

Viele Ägypter, darunter vor allem Muslimbrüder, waren nach dem Sturz von Mursi im Juni 2013 nach Kuwait geflohen. Noor ist froh über diese „zweite Revolution“, wie der Putsch in Ägypten genannt wird. „Es war das Richtige“, sagt sie. Demonstriert habe sie jedoch nicht. „Ich habe gesagt: Ich bin im Geiste bei euch.“ Die Folgen dieser Ereignisse sind noch heute spürbar. So ließ al Sisi die Proteste der Mursi-Anhänger blutig niederschlagen. Nach Angaben von Menschenrechtlern kamen dabei bis zu 800 Menschen ums Leben. Bis heute geht der neugewählte Präsident brutal gegen Regimegegner vor. Kritiker sehen bereits die Entstehung eines Regimes, das schlimmer ist als zu Zeiten von Mubarak.

Hani hat die Revolution 2011 nur von seinem Boot aus beobachtet. Die Folgen aber meint er zu bemerken: „Die Belästigung durch die Polizei ist endlich geringer geworden.“ Früher hielten die Sicherheitskräfte die Fischer oft an, drohten mit Anzeigen und der Enteignung des Bootes. „Wir hatten kaum Geld für Bestechung übrig. Aber wovon sollten wir leben ohne unser Boot?“ Seinen Nachnamen will er lieber nicht nennen. Eine befreundete Familie habe einmal mit Journalisten gesprochen, ein paar Tage später kam der Geheimdienst zu Besuch.

Glaube an die Wahlversprechen

Hani ist einer von 22 Millionen Ägyptern, die unterhalb der Armutsgrenze leben, täglich weniger als einen Euro zur Verfügung haben. Er setzt auf al Sisi. Hani glaubt fest an dessen Wahlversprechen, die marode Wirtschaft zu sanieren und endlich wieder Touristen ins Land zu bringen. Und al Sisi versucht die Bevölkerung mit Großprojekten hoffnungsvoll zu stimmen. In Suez wird seit Sommer 2014 ein zweiter Kanal ausgehoben. Kürzlich wurde zudem der Bau einer neuen Hauptstadt verkündet, die auf halber Strecke zwischen Kairo und Suez entstehen soll. Kostenpunkt: 75 Milliarden Euro. Finanzexperten fürchten, dass der marode Staatshaushalt diese Investition nicht wird stemmen können.

Dass Hani seinen Präsidenten nicht gewählt hat, ist für ihn kein Grund für Bedenken. „Ich wollte wählen gehen, aber wer fängt dann die Fische? Der Nil ist unser Leben.“ Die Arbeit der Fischerfamilie beginnt vor Sonnenaufgang. Tiefe Schatten liegen unter den Augen des Fischers, seine Hände sind von Schwielen überzogen. „Wir sind die Schwächsten der Gesellschaft“, sagt Hani, aber er glaubt: „Sie haben uns nicht vergessen.“

„Diejenigen, die Veränderung wollen, landen im Gefängnis“

Sieben Meter lang und anderthalb Meter breit ist sein Boot – zugleich Schlafzimmer, Küche, Badezimmer für Hani, seine Frau Nadja und ihre drei Töchter. Während Nadja die Schlafmatten einrollt, stopft Asmaa, die älteste Tochter, die Kleider in abgenutzte Plastiktüten. Beides wird am Bug des Bootes verstaut. Am Heck liegen Lebensmittel, Kochgeschirr und in Flaschen abgefülltes Nilwasser. Der Nil ist ihre Lebensader und auch ihr Abfallbehälter. Alles was nicht zum Leben gebraucht wird, geht über Bord: Essensreste, Fäkalien, Müll. Hani beginnt zu rudern, Nadja kauert sich auf den Boden und gibt ihrer jüngsten Tochter die Brust. Abends vertäuen sie ihr Boot mit anderen Fischerbooten, die Kinder werden an Deck festgebunden. „Schon sieben Mal habe ich geholfen, ein Kind aus dem Wasser zu bergen, weil es ins Wasser fiel und ertrank“, sagt Hani.

Eigentlich hatte sich Nadja ein anderes Leben gewünscht. „Ich wollte keinen Fischer heiraten, aber meine Familie lebt schon seit Generationen auf dem Nil“, sagt sie. „Ich weiß gar nicht, wie man auf dem Land lebt.“ Für ihre Kinder aber wollen die Eltern so ein Leben, ein Leben an Land, denn die Fischbestände im Nil schrumpfen täglich. „Mir macht es nichts aus, hart zu arbeiten, wenn ich davon meine Familie ernähren kann“, sagt Hani. „Ich kann alles ertragen, wenn ich meinen Kindern nur eine Wohnung geben und eine Ausbildung ermöglichen könnte. Dafür bete ich jeden Tag zu Gott.“

Ungerechtes Schulsystem

Die zehnjährige Tochter Asmaa lächelt beim Gedanken an ein Leben an Land. Sie kämmt ihre wuscheligen Haare nach hinten, wirft einen Blick in eine Spiegelscherbe und wickelt das Kopftuch fest. „Ich hätte dann gern einen Fernseher“, sagt sie. Manchmal sei es auf dem Boot langweilig. Zur Schule geht sie nicht. Die Behörden würden es verbieten, da die Familie keinen festen Wohnsitz hat.

Seit 1952 gibt es Schulpflicht für die Sechs- bis Zwölfjährigen, konsequent durchgesetzt wird sie jedoch nicht. Laut Unicef sind ein Drittel der Ägypter Analphabeten, sie können weder lesen noch schreiben. Doch auch ein Schulbesuch verspricht nicht zwangsläufig Bildung. „Das Schulsystem ist sozial auf keinen Fall gerecht und produziert auch viele funktionelle Analphabeten“, sagt die Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink und meint damit Menschen, die trotz Schulbesuch nur unzureichend lesen und schreiben können. „Die staatlichen Schulen sind kostenlos, jedoch ist das Niveau der Lehrqualität sehr niedrig“, sagt Pink, „ein Schulabschluss bedeutet nicht auch berufliche Perspektive in einem Land, wo alles über Beziehungen und nicht über Leistung abgewickelt wird.“ Auch bei der Lehrerauswahl habe der Staat das letzte Wort, Propaganda beginne bereits im Klassenzimmer. „Man sieht an Schulen die Chance auf das Entstehen einer Opposition, und das soll unbedingt verhindert werden“, sagt Johanna Pink.

Festhalten an Hoffnungen

Dabei bräuchte man Regimekritiker sowieso nicht mehr zu fürchten, sagt Noor Mourad im Café am Nil. An der Wand hinter ihr liegen internationale Modemagazine im Regal. Der hauseigene Patissier legt frisches Gebäck in die Auslage. Zur Mittagszeit muss alles gerichtet sein, schließlich kommen dann aus den umliegenden Boutiquen und Juweliergeschäften die Mitarbeiter zum Essen. Schick ist, wer Englisch spricht. Die Nilinsel Zamalek ist ein Ort, wo Frauen ohne Kopftuch und in Miniröcken ebenso selbstverständlich sind wie Bier auf der Getränkekarte. „Die meisten wollen keine Veränderung. Denn diejenigen, die es wollen, landen im Gefängnis“, sagt Mourad. „Also erhält man doch lieber den Status quo.“ „Die Menschen haben keine Lust mehr auf Revolution“, sagt Noor Mourad. „Sie lassen ihren Frust lieber aneinander aus, als gegen die zu kämpfen, die für die Misere verantwortlich sind.“

Hani hält an seiner Hoffnung fest: „Wenn sich die Probleme in der Regierung gelegt haben, dann sind wir an der Reihe.“ Noch während der Fischer spricht, tauscht er mit Tochter Asmaa den Platz. Mit langen, kräftigen Zügen treibt sie das Boot den Nil hinauf. Schon ganz wie ihr Vater. Mitarbeit Hend Taher

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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