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Aktuell sind wieder drei Schiffe ziviler Retter vor Libyen im Einsatz.

© dpa/Olmo Calvo

Vor der Küste Libyens: Die Rückkehr der zivilen Seenotretter

Bedroht, drangsaliert, beschlagnahmt: 2018 war für die Helfer im Mittelmeer ein desaströses Jahr. Doch jetzt gibt es neue Hoffnung für die Flüchtlinge.

Am Montag vergangener Woche hat Klaus Vogel Abschied genommen. Ist nach Marseille geflogen, wo die Aquarius seit einem Vierteljahr im Hafen liegt. Der Schriftzug „SOS Méditerranée“ sei bereits überpinselt gewesen, der Schornstein des Schiffes wieder weiß. Im alten Technikraum fanden sie noch einmal zusammen: Kapitän und erster Offizier, Maschinist und Steward, der Koch plus viele ehemalige Freiwillige. Sie sprachen darüber, was sie in den beinahe drei Jahren an Bord erlebt hatten. Über die fast 30.000 geretteten Menschenleben. Da war viel Wehmut im Raum, sagt Vogel. „Aber eben auch: eine kämpferische Stimmung.“

Keiner von ihnen denke ans Aufgeben, sagt Klaus Vogel wenige Tage später beim Gespräch in einem Charlottenburger Café. Denn obwohl 2018 ein katastrophales Jahr für die zivilen Seenotretter im Mittelmeer war, ein Schiff nach dem anderen behindert, blockiert oder gleich ganz beschlagnahmt wurde und diverse Strafverfahren gegen Helfer eingeleitet wurden, trotz alledem gibt es sie noch. Vogel sagt: „Der Versuch, uns dauerhaft auszuschalten, ist gescheitert.“

Derzeit sind wieder drei Schiffe verschiedener Hilfsorganisationen im Einsatz. Vogels Organisation „SOS Méditerranée“ will ebenfalls bald zurückkehren – mit neuem Schiff. Man prüfe gerade mehrere konkrete Angebote. „Ich denke, es ist nur eine Frage von Wochen.“

Gibt es Anlass für Vogels Zuversicht? Oder sind das Durchhalteparolen in einer Schlacht, die nicht zu gewinnen ist?

Klaus Vogel, 62, gelernter Handelsschiffskapitän, lebt mit Familie in Berlin-Spandau. Jahrelang steuerte er Frachtschiffe. Bis er dachte: „Was im Mittelmeer passiert, kann ich nicht hinnehmen.“ Seine Freunde und Bekannten hätten es gleich verstanden und zu ihm gehalten. Der Sachverhalt sei ja auch nicht allzu kompliziert: „Wir machen keine Politik. Wir retten Menschen, die sonst ertrinken würden.“

Diverse Regierungen sehen das anders. Um die Abriegelung der EU-Außengrenzen voranzutreiben, versucht besonders die neue Rechtsregierung Italiens seit ihrem Amtsantritt im Juni, die zivilen Retter aus dem Mittelmeer zu verbannen. Dabei griff sie zu Mitteln, die Klaus Vogel „Repressionen und Schikanen“ nennt. „Sie haben alles dran gesetzt, uns zu kriminalisieren.“

Italien setzte Drittstaaten unter Druck

Der Aquarius, die „SOS Méditerranée“ zusammen mit „Ärzte ohne Grenzen“ betrieb und die 2018 zeitweise das einzig verbliebene private Rettungsschiff vor Libyens Küste war, wurde gleich mehrfach die Flagge entzogen. Italien drohte, Staaten zu bestrafen, die das Schiff unter ihrer Flagge fahren lassen. Zuletzt wollte ein italienischer Staatsanwalt die Aquarius beschlagnahmen lassen. Der Vorwurf: Die zivilen Retter hätten ihren Abfall nicht korrekt entsorgt, beispielsweise hätte die Kleidung der aus dem Meer Geretteten als „toxischer Müll“ deklariert werden müssen. Wegen der drohenden Beschlagnahme entschied die NGO, den Chartervertrag für die Aquarius aufzulösen und nach Ersatz zu suchen.

Klaus Vogel hat „SOS Méditerranée“ gegründet. 2016 startete die Aquarius zu ihrem ersten Rettungseinsatz.
Klaus Vogel hat „SOS Méditerranée“ gegründet. 2016 startete die Aquarius zu ihrem ersten Rettungseinsatz.

© REUTERS

Die Gegner der zivilen Seenotretter argumentieren seit Jahren, Helfer lockten durch ihre Aktivitäten bloß noch mehr Afrikaner an. Also müssten die Retter gestoppt werden, damit sich unter den Flüchtenden die Einsicht breit mache, die lebensbedrohliche Route übers Mittelmeer sei aussichtslos. „Das ist natürlich nichts anderes als die zynische Überlegung: Lasst viele ertrinken, um andere abzuschrecken“, sagt Vogel. Zumindest der erste Teil der Gleichung geht auf: Seit Amtsantritt der italienischen Rechtsregierung ist die Zahl der Ertrunkenen sprunghaft angestiegen, allein in den ersten zwei Monaten kamen 800 Menschen ums Leben, das UN-Flüchtlingswerk UNHCR spricht von einer „dramatischen und außergewöhnlichen Todesrate“.

Vom Weg abgekommen und verdurstet

Zum Gespräch im Café hat Klaus Vogel den Ausriss aus einer Zeitung mitgebracht. Es ist nur eine kurze Meldung von Anfang Dezember, zehn Zeilen einer Randspalte: „15 Flüchtlinge vor Libyens Küste gestorben.“ Die Gruppe war im Boot westlich von Tripolis Richtung Italien gestartet, dann abgedriftet, Wasser und Essen gingen aus, niemand half. Nach elf Tagen wurde das Boot mit den Leichen schließlich an die Küste Libyens zurückgespült. Klaus Vogel hat feuchte Augen. Er fragt: „Warum gibt es da keinen Aufschrei?“

Als Vogel seine Hilfsorganisation 2015 gründete, glaubte er, dieser Einsatz sei schnell vorüber. Sie waren ja nur eingesprungen, weil Italien seine Rettungsoperation „Mare Nostrum“ eingestellt hatte und die EU sie nicht fortführen wollte. „Wir waren uns sicher, dass die Regierungen ihren schrecklichen Fehler schnell einsehen und die Seenotrettung wieder aufnehmen würden.“ Er war fassungslos, als er begriff: Nein, die meinen das ernst, die nehmen bewusst Tote in Kauf. Vogel sagt: „Europas Spitzenpolitiker machen sich seit Jahren der tausendfachen unterlassenen Hilfeleistung schuldig.“

Vogel muss helfen. Er weiß, was es mit ihm anstellt, wenn er wegschaut. Als junger Nautiker fuhr er Anfang der 1980er Jahre an Bord eines Schiffes durchs südchinesische Meer, passierte die Küste Vietnams. Er wusste, dass dort tausende Boat-People auf offener See auf Rettung warteten. Vogel wollte helfen, sein Kapitän verbot es und befahl einen Umweg. Die Hilfebedürftigen verfolgten ihn später im Traum, sagt er.

Bei Pegida grölten sie "Absaufen! Absaufen!"

Vogel ist aber auch klar, dass andere diese Erfahrung nicht gemacht haben. Er hat die Fernsehbilder von der Pegida-Kundgebung Ende Juni in Dresden gesehen, wo Demonstranten hämisch „Absaufen! Absaufen!“ skandierten. Was hat er da gedacht? „Ich habe gedacht, dass dies nur sehr wenige sind.“ Kein Vergleich zu den riesigen Demonstrationen mit Zehntausenden, die dieses Jahr in Hamburg, München und Berlin, aber auch in Frankreich für die Seenotrettung auf die Straße gingen. Das habe ihn sehr ermutigt. Allerdings sagt er auch: „Wir müssen das, was wir draußen auf dem Meer erleben, noch besser vermitteln.“ Er verstehe inzwischen, dass sich sogar die unzweifelhaft gute Tat nicht von selbst erkläre. Gern würde er politische Entscheidungsträger auf Einsätze mitnehmen. Die würden dann begreifen, wie alternativlos diese Arbeit sei.

Die Szene zeigt die Rettungsaktion der "Open Arms" vor Heiligabend.
Die Szene zeigt die Rettungsaktion der "Open Arms" vor Heiligabend.

© dpa/Olmo Calvo

Er hat das selbst erlebt, bei seinen eigenen Leuten. Als er damals die Aquarius charterte, übernahm er auch die zehnköpfige Besatzung. Das Schiff war zuvor zur Versorgung von Bohrinseln und Windparks eingesetzt worden. Der russische Kapitän Yaroslav und Alex, der erste Offizier aus der Ukraine, waren besorgt: Warum denn ausgerechnet Flüchtlinge retten? Die könnten doch Terroristen sein, vielleicht haben sie Waffen oder ansteckende Krankheiten. „Mit unserem ersten Einsatz hat sich das komplett gewandelt“, sagt Vogel. „In dem Moment, in dem sie gesehen haben, in welcher Notlage diese Menschen sind.“ Heute zählten Yaroslav und Alex zu seinen engsten Verbündeten, auch sie waren letzte Woche in Marseille beim Abschiednehmen dabei.

Auch die deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye ist zurück

Eines der Schiffe, das jetzt wieder vor Libyens Küste operiert, ist die „Professor Albrecht Penck“ der deutschen NGO Sea-Eye. Vergangenen Freitag ist sie vom spanischen Algeciras aus gestartet. Sprecher Gorden Isler berichtet am Telefon Überraschendes: Es seien ausgerechnet die deutschen Behörden gewesen, die ihr Auslaufen ermöglicht hätten. Denn nachdem ihr altes Schiff lahmgelegt worden war, entschieden sie sich, kein neues Boot zu chartern, sondern gleich eines zu kaufen. Und zwar ein Schiff, das unter deutscher Flagge fährt. 400 000 Euro haben Kauf und Umbau gekostet.

Bei der Routinekontrolle in Algeciras habe ein Hafenmitarbeiter die „Professor Albrecht Penck“ jedoch irrtümlich als „staatliches Forschungsschiff“ eingetragen, es drohte eine lange Sperre. Isler sagt, nur weil sich Mitarbeiter im Auswärtigen Amt und im Bundesamt für Seeschifffahrt kurz vor Weihnachten noch um das Problem gekümmert hätten, sei das Schiff freigekommen. „Das hat uns beeindruckt. Ohne deren beherztes Eingreifen hätte es Wochen dauern können.“ Womöglich, sagt Isler, sei das eine Strategie, mit der auch andere drangsalierte Hilfsorganisationen bald aufs Mittelmeer zurückkehren könnten: ein Schiff unter deutscher Flagge kaufen und auf die hiesige Rechtsstaatlichkeit vertrauen. Trotzdem bleibt das Problem, dass für aufgenommene Schiffsbrüchige ein sicherer Hafen gefunden werden muss. Die 310 Flüchtlinge, die das Boot der NGO „Open Arms“ kurz vor Weihnachten rettete, dürfen nach Spanien. Dessen sozialistische Regierung lehnt Italiens rigide Politik gegenüber Flüchtlingen ab. Die Sea-Watch 3, die weitere 33 Gerettete an Bord hat, sucht zur Stunde einen sicheren Hafen.

Die „Professor Albrecht Penck“ von Sea-Eye auf ihrem Weg zum Einsatz.
Die „Professor Albrecht Penck“ von Sea-Eye auf ihrem Weg zum Einsatz.

© privat

Klaus Vogel, der Gründer von „SOS Méditerranée“, hofft, dass die rechte italienische Regierung bald zerbricht. Er sagt, auch die Mitarbeiter der italienischen Seenotleitstelle, die bis zum Regierungswechsel mit den zivilen Rettern zusammengearbeitet haben, stünden weiter auf ihrer Seite. „Es ist nur die Leitung der Behörde, die ausgetauscht wurde. Alle anderen wissen, dass man Ertrinkende nicht sich selbst überlassen darf.“ Und dass es auch keine Lösung sei, abgefangene Flüchtlinge nach Libyen zurückzubringen. Dort werden sie in Lagern interniert, NGOs haben Fälle von Folter, Vergewaltigungen und Verstümmelungen dokumentiert. Überlebende berichten, dass Insassen gezwungen wurden, sich zur Unterhaltung der Wärter gegenseitig umzubringen. Vermutlich gibt es auch Lager, in denen solche Gewalttaten nicht vorkommen, sagt Klaus Vogel. „Trotzdem ist diese europäische Grenzpolitik in ihrer Konsequenz inhuman, denn sie nimmt den Tod von Menschen in Libyen und auf dem Mittelmeer bewusst in Kauf.“

Und sollte seine Organisation nun tatsächlich ein neues Schiff chartern und wieder losfahren, was will er machen, wenn es seinen Gegnern trotzdem wieder gelingt, es festzusetzen, gar zu beschlagnahmen?

Vogel sagt: „Aufgeben kommt nicht infrage.“

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