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Mit dem Satz "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn" wollte Piech den VW-Chef absägen. Doch das Präsidium des Aufsichtsrats ließ den Vorsitzenden auflaufen.

© REUTERS

VW nach Piëchs Entmachtung: Wie es bei dem Autokonzern weitergeht

„Psychopath“ wurde er genannt. Er selbst sah sich eher als „Hausschwein“. Eins, das sich in der Wildnis durchschlagen muss. Doch nun hat Ferdinand Piëch sich verhoben und den VW-Aufsichtsrat gegen sich aufgebracht. Dass er aufgibt, glaubt niemand in Wolfsburg.

Normale Menschen machen auf dem Weg nach oben immer mal Fehler. Sie überschätzen sich oder unterschätzen die Gegner. Wenn die Luft dünner wird, halten manche dem Druck nicht stand oder sie werden, sobald ihr Regime wackelt, gestürzt. Piëch aber war immer der Henker. „Ich guillotiniere erst, wenn ich weiß, wer es war“, beschreibt er den Umgang mit Verrätern.

Und so pflastern prominente Leichen seinen Weg, etwa die Manager Bernd Pischetsrieder und Wendelin Wiedeking. Aber auch Ex-Personalvorstand Peter Hartz ist im Piëch-Imperium ins Bodenlose gestürzt. Der Alte hat sie alle überlebt. Bis zum vergangenen Samstag, als das sechsköpfige Präsidium des VW-Aufsichtsrats den Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch und das Aufsichtsratsmitglied Ursula Piëch zum Rücktritt zwang. Ein unglaublicher Vorgang. Denn bis dato galt: Piëch gewinnt immer. Wer sich mit ihm anlegt, hat es bald hinter sich.

Ferdinand Karl Piëch wurde am 17. April 1937 als drittes Kind des Anwalts Anton Piëch und dessen Ehefrau Louise in Wien geboren. Louise war die Tochter von Ferdinand Porsche, der den VW-Käfer entwickelte und damit die Grundlage legte für das milliardenschwere Porsche- Piëch-Imperium. Er sei aufgewachsen wie ein Hausschwein, hat der Internatsschüler Ferdinand einmal über sich gesagt, und musste sich dann in der Wildnis durchschlagen. Vor allem auch gegen die hochnäsige Verwandtschaft der Porsches. Und im Job sowieso. Vom Ehrgeiz beherrscht und getrieben, ackerte sich Piëch bei Audi hoch. Er wurde Chef in Ingolstadt und brachte die Marke mit den Ringen auf das Niveau von Mercedes und BMW. Auch deshalb wurde er 1993 Vorstandsvorsitzender von VW.

Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder und IG-Metall-Chef Franz Steinkühler holten den kauzigen Technikfreak nach Wolfsburg, um Volkswagen zu sanieren. Andere favorisierten Daniel Goeudevert, der damals im VW-Vorstand saß und ein Image als Querdenker und Paradiesvogel mit grünem Touch pflegte. Piëch kam – und Goeudevert musste gehen. Viele andere Vorstands- und Führungskräfte überlebten die ersten Piëch-Jahre nicht. Kein Wunder, dass Manager an den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Liesen schrieben und sich darüber beschwerten, VW werde „von einem Mann mit psychopathischen Zügen geführt“.

Welche Skandale Piëch schon alle überlebt hat

Diverse Angriffe auf Piëch gingen schief. Besonders schlau wähnte sich einst Ministerpräsident Christian Wulff, der als Nachfolger Schröders den VW- Großaktionär Niedersachsen im Aufsichtsrat vertrat. Der Sportwagenhersteller Porsche, der mehrheitlich den Familien Piëch und Porsche gehört, war bei VW eingestiegen. 2005, Piëch war seit drei Jahren Aufsichtsratschef und den Vorstand leitete nun Bernd Pischetsrieder, versuchten Wulff und Pischetsrieder Piëch wegen eines angeblichen Interessenkonflikts aus dem Aufsichtsrat zu drängen. Piëch schlug trocken zurück und ersetzte ein paar Monate später Pischetsrieder durch seinen Vertrauten Martin Winterkorn. Und Wulff legte sich nie wieder mit Piëch an.

Im Gegenteil. Ein paar Jahre später spielten die beiden über Bande, um Porsche-Chef Wiedeking bei seinen Manövern zur VW-Übernahme auszubremsen. Porsche-Miteigentümer Piëch hatte Wiedeking viele Jahre machen lassen, die Firma wurde hochprofitabel und Piëch immer reicher. Als dann Wiedeking zu selbstbewusst wurde und es wagte, gegen Piëch zu agieren, schoss der ihn ab. „In meiner Karriere haben schon einige versucht, mich rauszudrängen, es ist noch keinem gelungen.“ Piëch hat in den 90er Jahren die Spionagekrise um den Manager José Ignacio López überlebt, den er von General Motors abgeworben hatte, um VW zu sanieren. López hatte Unterlagen mitgehen lassen und musste zurücktreten. VW zahlte 100 Millionen Dollar an GM  und verpflichtete sich, für rund eine Milliarde Dollar bei den Amerikanern einzukaufen.

Zehn Jahre später erschütterte ein Skandal um Scheinfirmen, Luxusreisen und Bestechung die biedere Autostadt am Mittellandkanal. Sex and crime im Reich des Asketen Ferdinand Piëch? Ja. Sein Vertrauter Peter Hartz war ebenso erledigt wie Betriebsratschef Klaus Volkert. Der Chef selbst hatte angeblich nichts mitbekommen von den Machenschaften. Piëch überlebte auch diese Erschütterung.

Einen letzten Angriff vor gut anderthalb Jahren parierte Piëch ebenfalls souverän. So schien es damals jedenfalls. Doch die Geschichte aus dem Herbst 2013 schwappte hinüber bis in diese Tage. Ohne das damalige Geschehen ist der Satz, „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, nicht zu verstehen.

Piëch, so wird seit Langem in Wolfsburg geraunt, soll gesundheitliche Probleme haben. Angeblich sieht er auf einem Auge kaum noch und lässt sich deshalb auf Messen und bei Empfängen von Ehefrau Ursula führen. Aufgrund der eingeschränkten Gesundheit des damals 76-jährigen Aufsichtsratsvorsitzenden spielte man in der Konzernspitze im Herbst 2013 ein Szenario durch, falls Piëch ausfallen sollte. Winterkorn würde dann an dessen Stelle rücken und der Winterkorn-Vertraute Hans Dieter Pötsch, VW-Finanzvorstand, übergangsweise den Vorstand führen. Piëch tobte und VW dementierte schleunigst. „Prof. Dr. Ferdinand K. Piëch ist bei bester Gesundheit und bleibt noch lange Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG.“ Piëch kommentierte das Ganze später schmallippig wie immer und vermutlich mit dem berühmten, eiskalten Lächeln: „Totgesagte leben länger.“

Aber er hat sich schwer geärgert, und da die Geschichte aus dem Umfeld Winterkorns in die Öffentlichkeit lanciert worden war, wollte er nun Satisfaktion. „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ Das bedeutet für Piëchologen: Winterkorn ist tot. Aber es kam anders.

"Uschigate". Welche Rolle Piëchs Ehefrau spielt

Martin Winterkorn führt den VW-Konzern seit 2007.
Martin Winterkorn führt den VW-Konzern seit 2007.

© dpa

Am Tag eins nach dem Rücktritt der Eheleute Piëch aus dem Aufsichtsrat des größten Autoherstellers Europas ist auf der Suche nach Erklärungen für das Unfassbare von „Uschigate“ die Rede. „Uschi“, das ist Ehefrau Ursula, und „gate“ soll an Watergate erinnern, den Skandal in Washington, der einst US-Präsident Richard Nixon das Genick brach. Ist Ursula schuld an Piëchs Sturz?

Die Erzieherin Ursula Plasser, so der Geburtsname, meldete sich Anfang der 1980er-Jahre auf eine Stellenanzeige von Piëchs damaliger Lebensgefährtin Marlene Porsche, der Ex-Frau seines Cousins Gerd Porsche. In seiner Autobiografie schreibt Ferdinand Piëch, wie er zwei Tage nach Ursulas Dienstbeginn mit ihr in einem Geländewagen zu einer Berghütte fuhr: „Ich ließ die Probandin an der steilsten Stelle, immerhin 17 Prozent, anhalten und wieder anfahren.“ Sie hat sich offenbar ganz patent angestellt. 1984 heirateten Plasser und Piëch und bekamen in den folgenden Jahren drei Kinder. Insgesamt hat Piëch nun ein Dutzend Söhne und Töchter.

2012 holte Piëch seine Ehefrau in den VW-Aufsichtsrat. Ihm schwebte eine Lösung vor, wie sie bei Bertelsmann und Springer doch ganz prima funktioniert: Die Witwen Friede Springer und Liz Mohn haben einen dominierenden Einfluss auf das Lebenswerk ihrer Männer. Ursula drehte mächtig auf und nervte andere Aufsichtsratsmitglieder bisweilen mit Vorträgen über Antriebstechnik und Motorenentwicklung. Im Konzern hatten alle Angst vor ihr, selbst Winterkorn „macht Männchen“, wie es in VW-Kreisen hieß, wenn Ursula um die Ecke kam. Und sie hatte ihren Ehemann im Griff. „Rational ist das Ganze nicht mehr“, erzählte ein Aufsichtsrat vor zwei Wochen. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass er unter ihrer Fuchtel steht.“

Gesteuert von einer ausgebildeten Erzieherin?

Der erfolgreichste Automanager der letzten Jahrzehnte, das Mastermind eines Konzerns mit weltweit rund 600 000 Beschäftigten, wird gesteuert von einer ausgebildeten Erzieherin? Die meisten Aufsichtsräte hatten genug von den Eigenwilligkeiten der Eheleute, die Arbeitnehmerseite um den früheren IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber und Betriebsratschef Bernd Osterloh ebenso wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und Wolfgang Porsche, Piëchs Vetter. In früheren Auseinandersetzungen standen die Arbeitnehmer immer an Piëchs Seite. Nun hatten sie den Eindruck, es ginge um „Uschi“ oder Winterkorn. Da konnte Winterkorn nicht verlieren.

Und nun? Was wird aus VW, wenn der Riesenkonzern nur zu führen war unter dem totalitärem Regime Piëchs? „Was sagt der Alte dazu?“ Diese Frage war im Volkswagen-Vorstandshochhaus so geläufig wie eine Grußformel. Konnte VW in diese gigantischen Dimensionen nur vorstoßen, weil ein Diktator für Ordnung sorgte? Und was machen jetzt die Manager in Wolfsburg und in den Zentralen der vielen Konzerntöchter? „Es gibt unglaublich viele Menschen, die seit langer Zeit leiden, aber aus Angst vor dem Alten das Maul gehalten haben“, sagt ein Kenner der Wolfsburger Szene. Wer hat noch welche offene Rechnung? Wie schmutzig werden die Monate der Nach-Piëch-Ära? Und gibt der Alte einfach auf und zieht sich mit Ursula still und brav nach Salzburg zurück?

Einen ersten Hinweis auf das, was kommen kann, gibt es am 5. Mai. Dann treffen sich die VW-Aktionäre in Hannover zur diesjährigen Hauptversammlung, die vom kommissarischen Aufsichtratsvorsitzenden Berthold Huber geleitet wird und auf der Vorstandschef Winterkorn den Anteilseignern Rechenschaft abgibt. Ein großer Aktionär ist Ferdinand Piëch. Womöglich sitzt der Alte unten im Saal und hört zu, was seine Nachfolger da oben zu sagen haben. „Die werden gewaltig schwitzen“, sagt ein VW-Kenner. Und alle werden grübeln, was er jetzt macht. Denn dass Piëch tot ist, glaubt niemand in Wolfsburg.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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