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Monika Herrmann muss dauernd reden – mit wütenden Anwohnern, Linksradikalen, dem Senat – und der Polizei.

© picture alliance / dpa

Wahlkampf in Friedrichshain-Kreuzberg: Monika Herrmanns innere Sicherheit

Erst der Oranienplatz und die besetzte Schule. Nun der Kampf um die Rigaer Straße. Trotzdem wird Monika Herrmann Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg bleiben.

Sie hat die Nachricht eben erst bei Twitter gelesen, auf ihrem Smartphone, und jetzt steht Monika Herrmann am Rednerpult und ist ein wenig aufgebracht. Die Berliner Polizei will nicht am Runden Tisch teilnehmen, zu dem Herrmann geladen hat. Es war ihr Versuch, die Konfliktparteien zusammenzubringen, damit Ruhe einkehrt in der Rigaer Straße. Die Bürgermeisterin sagt, der Polizeipräsident persönlich habe ihr vor Tagen Zustimmung signalisiert. Und nun die plötzliche Absage, noch dazu über Twitter. „Die haben doch meine Telefonnummer“, sagt Monika Herrmann.

Es ist unangenehm heiß an diesem Mittwoch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg. Die Julisonne scheint durch Milchglasfenster. Ihren Cola-Limo-Mix hat die Bürgermeisterin längst ausgetrunken. Umhängetasche und Fahrradhelm, ihre ständigen Begleiter, liegen hinter Herrmann auf der Fensterbank.

Sie sagt, sie sei enttäuscht. Aber sie habe einen Verdacht, wer für die Absage der Polizei verantwortlich sein könnte: Frank Henkel. Der schon wieder.

Die Bezirksbürgermeisterin von den Grünen und der Innensenator von der CDU. Seit Herrmanns Amtsantritt vor drei Jahren beharken sie sich. Zanken, reden schlecht übereinander, geben sich die Schuld für alles Mögliche. Das war so beim Streit um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz und die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule, bei den Dealern im Görlitzer Park und den Raubüberfällen an der Revaler Straße - alles Orte in ihrem Bezirk.

Am Ende gibt es stets einen bedröppelten Verlierer

Herrmann wirft Henkel Profilierungssucht als Möchtegernhardliner vor, er ihr Komplettversagen durch Nichtstun. Gegen die beiden wirken Hillary Clinton und Donald Trump wie ein Paar in den Flitterwochen. Erstaunlich ist, dass am Ende jedes Gefechts Frank Henkel als bedröppelter Verlierer dasteht, während Monika Herrmann überraschend unbeschadet bleibt. In diesen Tagen, beim Ringen um das linke Wohnprojekt „Rigaer 94“, scheint es wieder so zu enden.

Seit das Landgericht festgestellt hat, dass die Teilräumung des Hauses illegal war, weil Räumungstitel und Gerichtsvollzieher fehlten, hat sich die Sicht der Henkel-Gegner durchgesetzt: Hier wollte ein wahlkämpfender Senator mit Law-and-Order-Symbolik glänzen - auf Kosten des Friedens im Viertel und des Rechtsstaats. Ein Glück, dass der wochenlange Belagerungszustand durch die Polizei in der Rigaer Straße nun beendet sei, sagt Herrmann in der BVV-Sitzung.

Es betraf doch nicht nur diese Straße, ruft der Linken-Abgeordnete Oliver Nöll. Weite Teile Friedrichshains seien durch Henkel kriminalisiert worden! Und Herrmann wieder: „Olli, das war ja nicht nur in Friedrichshain!“ Selbst im Bergmannkiez, am anderen Ende des Bezirks, hätten die Beamten verstärkt Präsenz gezeigt. „Keine Ahnung wieso.“ Wobei sie sich, sagt sie dann noch, durchaus erklären könne, warum so viele Polizeiwagen vor „Curry36“ oder dem „Hühnerhaus“ stünden. Schmeckt gut da. Kleiner Scherz auf Kosten der Staatsmacht, fraktionsübergreifendes Schmunzeln. Nur die CDU-Vertreter bleiben stumm. Vier Mandate haben sie in Friedrichshain-Kreuzberg, sie sind eine Kuriosität neben 22 Grünen, 13 Sozialdemokraten, sieben Linken und vier Piraten. Man erkennt die CDU-Leute leicht, weil niemand sonst im Saal Krawatte trägt. Und weil sie während der gesamten Debatte regungslos am Rand sitzen. Da ist keiner, der aufsteht und den Innensenator verteidigt. Als hätten sie unsichtbare Kopfhörer auf.

Darauf angesprochen wird der CDU-Fraktionschef später erklären, er habe sich „nicht auf so ein niedriges Niveau herablassen“ wollen, das sei doch alles Wahlkampf. Dabei hat Herrmann eigentlich gar keinen Wahlkampf nötig. Während die Zukunft Henkels wenige Wochen vor der Wahl ungewiss ist, kann Herrmann sich sicher sein, auch nach dem 18. September Bürgermeisterin zu bleiben. Fragt sich, ob das ihr Verdienst ist. Oder halt Friedrichshain-Kreuzberg.

Sie setzt sich auseinander, streitet viel

Wer sich umhört im Bezirk, bei Parteifreunden, Rivalen und Beobachtern, der erfährt, dass Herrmann das Amt anders versteht als ihr Vorgänger Franz Schulz. Der ewige Bürgermeister und Grüne, der seit 1996 Kreuzberg, nach der Bezirksreform ab 2006 auch Friedrichshain regiert hat. Ein wesentlicher Unterschied: Sie spricht mehr. Trifft Entscheidungen nicht allein, sondern setzt sich auseinander, streitet viel. Einer sagt, sie könne ganze Runden in die Bewusstlosigkeit diskutieren. Einig ist man sich darüber, dass Herrmann eine empathische Person ist. Kontaktsuchend und herzlich. Eine, die viel, laut und ziemlich dreckig lacht. Eine Parteifreundin sagt, das habe sie anfangs selbst nicht glauben wollen, weil sie Monika Herrmann für streng und spaßbefreit hielt: „So wurde sie in der Öffentlichkeit dargestellt. Als Kampflesbe.“

Es gibt weitere, nicht totzukriegende Gerüchte über Herrmann. Es heißt, sie sei als Schülerin in der Jungen Union gewesen. In Wahrheit hat sie, ihren Eltern zuliebe, einmal eine Feier der Nachwuchskonservativen besucht. Vater wie Mutter saßen für die CDU im Abgeordnetenhaus. Der Abend bei der Jungen Union war für Monika Herrmann die Bestätigung, dass sie ihre politische Heimat woanders suchen musste.

Ein Treffen in ihrem Büro

Im Clinch mit dem Innensenator Frank Henkel: Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann - hier im Bethanien Park.
Im Clinch mit dem Innensenator Frank Henkel: Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann - hier im Bethanien Park.

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Montagmorgen, Treffen in ihrem Büro in der Frankfurter Allee, 300 Meter vom umstrittenen Haus in der Rigaer entfernt. Vorbei an der langen Warteschlange vorm Bürgeramt, die Treppe hoch, erster Stock. Eigentlich ist es gar nicht das Büro des Bürgermeisters, das liegt zwei Etagen höher und ist deutlich größer. Als Herrmann im August 2013 den Posten übernahm, blieb sie lieber in ihrem alten Stadtratszimmer. Der Umzug ihrer Mitarbeiter wäre unnötig umständlich gewesen, sagt sie. An der Wand hängt eine Postkarte mit nur einem Wort drauf: „Schuld“. Die hat sie im Gratisständer vor einer Kneipentoilette entdeckt und mitgenommen, weil sie so gut passe. Was genau passt da? „Na weil ich doch ständig an allem schuld sein soll.“ Es stimmt, was die Leute sagen: Monika Herrmann lacht laut und ziemlich dreckig.

Haben Sie denn gar keine Fehler gemacht, Frau Herrmann?

Doch, sagt sie, natürlich. Zum Beispiel beim Oranienplatz. Das Flüchtlingscamp dort hatte ihr Vorgänger zugelassen, zehn Monate, bevor er im Juli 2013 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt schied. Herrmann unterstützte ihn, hielt das Camp für ein wichtiges politisches Zeichen. „Das Problem war“, sagt die Bürgermeisterin jetzt, „dass wir lange nicht über die Infrastruktur, über die Versorgung der Menschen nachgedacht haben.“ Und keiner habe überlegt: Was passiert, wenn sich das Land Berlin nicht auf Diskussionen einlässt, keine Duldungen für die Menschen ausstellt? Wenn die Bundesregierung das Asylrecht nicht überarbeitet und weder Residenzpflicht noch Arbeitsverbot abschafft, was die Platzbewohner verlangten? Herrmann erinnert sich an einen ihrer Campbesuche im Herbst 2013. Sie war völlig überrascht, als die Flüchtlinge ihr erklärten, sie würden gern in Häuser ziehen.

Wenn sich heute in Bayern ein neuer Flüchtlingstreck aufmachte, um in Kreuzberg wieder ein Camp zu errichten, was würden Sie tun?

„Es nicht zulassen.“

Meinen Sie damit, Sie würden notfalls die Polizei rufen?

„Ich meine es, wie ich es sage: Ich würde kein neues Camp zulassen.“

Noch verheerender waren die Zustände in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule, die Flüchtlinge besetzt hatten. Es hieß, sie wollten dort selbstverwaltet wohnen. „Wir haben zu spät gemerkt, dass die Organisation nicht funktionierte“, sagt Herrmann. Vor allem, weil 80 Prozent der Flüchtlinge gar nicht an einer Selbstverwaltung interessiert gewesen seien. „Die wollten Matratzen, Wasser, Strom und Heizung.“ Im vermeintlich basisdemokratischen Plenum, wo alle Entscheidungen getroffen wurden, dominierten Leute, die gar nicht im Haus wohnten. Die Verwahrlosung nahm rasant zu. Immer wieder gab es Gewalt. „Ethnische Gruppen“, sagt Herrmann, „waren untereinander verfeindet.“ Und die sogenannten Supporter, deutsche Unterstützer mit eigener Agenda, verschwiegen es. Dann tötete ein Mann aus Gambia einen Bewohner aus Marokko mit neun Messerstichen. „Es wurde ja behauptet, da hätten sich zwei um die Dusche gestritten“, sagt Herrmann. „Das war ein Supporter-Märchen.“ Tatsächlich sei eine der vielen Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Schwarzafrikanern eskaliert.

Herrmann sagt, auch unter Supportern habe es Rassismus gegeben, bloß auf entgegengesetzte Art. Der sei heute noch in der Szene verbreitet. „Da werden Menschen nicht als Mahmut, sondern nur als Flüchtling wahrgenommen, und es geht völlig unter, dass Mahmut vielleicht auch mal nervt oder unmögliche Überzeugungen hat.“ Das Ausblenden und Schönreden helfe nicht dabei, die „Leute hier ankommen zu lassen und sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen“. Nur weil jemand Moslem sei, mache ihn das nicht zum unfehlbaren Menschen.

Als sie „emotional völlig durch“ war

Die schlimmsten Momente ihrer Amtszeit? Die Tage im Juni 2014, da sei sie „emotional völlig durch“ gewesen. Der Bezirk wollte die Schule schließen, doch die letzten 40 Bewohner weigerten sich, in eine alternative Unterkunft zu ziehen. Die Polizei hatte abgesperrt, hinter den Metallgittern demonstrierten Hunderte gegen den Senat und auch gegen Monika Herrmann, die vielen nun als Verräterin galt. Als typische Grüne, links blinken, rechts vorbeiziehen. Die Flüchtlinge drohten, sich bei einer Räumung vom Dach zu stürzen. „Unser oberstes Gebot war, dass keiner zu Tode kommt.“

Herrmann sagt, der Druck und die persönliche Verantwortung seien „hart an der Grenze dessen“ gewesen, was einer aushalten könne. Und dann sagt Monika Herrmann einen Satz, den man selten, eigentlich nie aus dem Mund eines Politikers hört: „Ich habe mich in dieser Situation überfordert gefühlt.“ Niemand habe wissen können, was in diesem Fall richtig und was falsch sein würde. Am Ende fanden sie einen Kompromiss, die Flüchtlinge durften auf einer Etage wohnen bleiben. Herrmann glaubt, es hätte ebenso anders ausgehen können. Und dass sie und alle Stadträte dann geschlossen zurückgetreten wären.

Was sie von den Autonomen der Rigaer hält

Monika Herrmann muss dauernd reden – mit wütenden Anwohnern, Linksradikalen, dem Senat – und der Polizei.
Monika Herrmann muss dauernd reden – mit wütenden Anwohnern, Linksradikalen, dem Senat – und der Polizei.

© picture alliance / dpa

Einen Kompromiss wünscht sich Herrmann auch für die Rigaer 94. Kaum vorstellbar angesichts der Eskalation. Die behelmten Hundertschaften sind weg, die Transparente an der Fassade hängen noch. „Unsere Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jede Autorität“, hat einer über den Eingang gesprüht.

Herrmanns Runder Tisch hat sich nun konstituiert, ohne Polizei und ohne Henkel, dafür mit Bewohnern, lärmgeplagten Anwohnern und Gewerbetreibenden. Ist nichts bei rausgekommen, sagen Teilnehmer, aber es war ein Anfang.

Ist Monika Herrmann Teil der linksextremen Gewalt?

Die CDU erklärt unbeirrt, die Bürgermeisterin paktiere mit den Autonomen. Der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner etwa sagt: „Monika Herrmann ist Teil der linksextremen Gewalt.“ Dieser Vorwurf wirkt ziemlich albern, wenn man die Bürgermeisterin einmal über die Bewohner der Rigaer 94 sprechen hört. Die profitierten vom Nimbus der Anarchie, sagt Herrmann.

Einige Bürger hätten Sympathien, weil sie ihre eigenen Sehnsüchte auf die jungen Menschen projizierten. Wünsche, sich Vorschriften und Regeln zu widersetzen, alternative Lebensentwürfe zu pflegen. Eine einheitliche autonome Szene gebe es zwar nicht, doch leider gefielen sich ausgerechnet die Bewohner der Rigaer sehr in ihrer Robin-Hood-Pose, sagt Herrmann. Und man merke, dass ihnen, höflich gesprochen, der „ideologische Unterbau“ fehle.

In den 1980er Jahren hat Herrmann am Otto-Suhr-Institut Politik studiert. Sie zählte sich selbst zu den Autonomen, genauer gesagt: zu den autonomen Lesben. „Aber ich bin da raus, das war mir zu eng“, sagt sie. „Ich lasse mir ungern vorschreiben, was ich zu denken habe.“ Was sie ärgere, seien Autonome, „die sehr autoritär agieren, die sich durch Schwarz-Weiß-Denken und verbale Härte auszeichnen“. Die keine andere Sicht gelten lassen.

Herrmann hat das selbst erlebt. Im November 2014 drangen Unbekannte in ihr Wohnhaus ein, plakatierten die Wände im Flur mit Fotos überfüllter Flüchtlingsboote, sprühten Slogans und türmten leere Umzugskartons auf. Dafür bekam die Bürgermeisterin prompt eine Solidaritätsnote von Henkel. Im Bekennerschreiben zur Tat hieß es, Herrmann sei eine „Charaktermaske des Systems“ und „Teil der bürgerlichen Wohlstandselite“. Liest man Herrmann heute den Text des Flugblatts vor, lacht sie. „Nichts als Floskeln“, sagt sie. „Die immer gleichen Textbausteine mit den immer gleichen Sätzen.“

Montagabend, die Bezirksgrünen feiern Sommerfest auf einem Zirkusgelände nahe der Spree. Am Bierstand erzählt jemand, gerade hätten zwei Mitglieder die Partei verlassen, weil sie Herrmanns Kurs in der Rigaer Straße zu lasch fänden. Offizielle Begründung im Austrittsschreiben: „autonome Hundescheiße“. Die Umstehenden feixen. Keiner hier bezweifelt, dass die Grünen ihre gewaltige Mehrheit behalten werden. Die einzige Angst ist, dass es die AfD in die Bezirksversammlung schafft. Wobei Monika Herrmann dann immerhin jemand Neues zum Abarbeiten hätte. Falls Frank Henkel bald nicht mehr da ist.

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