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Schwätzkampagne. Bo Dietl will bei der Wahl am 7. November das New Yorker Rathaus erobern.

© Imago/Pacific Press Agency

Wahlkampf in New York: Das Donald-Prinzip

Er pöbelt, er prahlt, er protzt, er flucht – der ehemalige Polizist Bo Dietl will so Bürgermeister von New York werden. Schließlich hat ihm sein Vorbild Trump bewiesen, dass man in den USA so Wahlen gewinnt.

Bo Dietl präsentiert erst mal seine Pistole. Halbautomatisch, neun Millimeter, Firma Glock, schwarz und kompakt. „Nett, oder?“, fragt Dietl und zeigt dann auf ein golden gerahmtes Foto an der Wand. Er neben Donald Trump, beide haben ihre weißen Poloshirts in die Hosen gestopft, sie lächeln. „Oh Donald, oh Donald“, singt Dietl und setzt sich an seinen Schreibtisch. Eine Stunde lang wird er fluchen, prahlen, Pläne schmieden, und am Ende wird der 66 Jahre alte Dietl wollen, dass man seinen Bizeps fühlt. „70 Liegestütze, jeden Morgen!“

Sein Büro liegt am One Penn Plaza, 50. Stock, Midtown Manhattan. Atemberaubender Blick auf die Stadt, Sitz seiner Detektiv- und Sicherheitsfirma, Champagner im Kühlschrank, die Mächtigen an der Wand.

Bo Dietl will mehr. Zunächst: Bürgermeister von New York City werden. Warum? „Weil ich es nicht ertrage, dass diese Stadt zugrunde geht.“

In New York kennen sie Dietl als „One Tough Cop“

Dietl ist einer von sechs Kandidaten, die eine Wiederwahl des aktuellen Bürgermeisters Bill de Blasio verhindern wollen. Die Wahl ist direkt, es reicht eine einfache Mehrheit. Als unabhängiger Bewerber ist Dietl an kein Parteiprogramm gebunden. Auch an keine Stilregeln. Höchstens an sein Vorbild: Trump.

In New York kennen sie Dietl als „One Tough Cop“, so heißt die Biografie, die er 1988 veröffentlichte. Er schwärmt darin von all den wagemutigen Verhaftungen, gelösten Mordfällen und gewonnenen Medaillen, die er nach 16 Jahren bei der New Yorker Polizei vorweisen konnte. Zur Legende wurde Dietl, als er 1981 den Fall einer vergewaltigten und gefolterten Nonne löste. Das Buch über sein Leben wurde irgendwann zum Film, und Dietl wurde nach seiner Polizistenkarriere zum Unternehmer, Schauspieler und TV-Experten. Nicht genug für den Mann, der New York so „liebt wie niemand anderes“. Deshalb sollen sie ihn am 7. November zum Bürgermeister wählen.

Dietl ist wie besessen von der Idee, dass Bürgermeister de Blasio seine wertvolle Stadt ruiniert. New York sei unsicher, unproduktiv und korrupt geworden, ein großer „rottender Apfel“, wie Dietl wütend erklärt. Und so beschränkt sich seine Wahlkampftaktik auf zwei Punkte: Erstens: Bill de Blasio ist böse. Und zweitens: New York braucht einen Helden wie ihn, der die Stadt rettet. „Make New York City great again“ ist das unausgesprochene Motto der Kampagne.

Das Prinzip Trump reproduziert sich

Fast alles, was Dietl sagt und macht, erinnert dabei an Donald Trump. Die Wutanfälle, die Panikmache, das Reaktionäre, die Pöbeleien auf Twitter, Provokation als Programm. Anti Establishment! Anti Medien! Anti politische Korrektheit! Mit Kraft und Protz zurück zu altem Glanz. Das Prinzip Trump reproduziert sich.

Das Problem dabei: In New York können sie Trump nicht ausstehen. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen November stimmten gerade mal 18 Prozent der New Yorker für den Republikaner, in Manhattan und der Bronx nur zehn Prozent. Bis heute demonstrieren Aktivisten vor dem Trump Tower an der Fifth Avenue und skandieren: „New York hates you!“

Wie also will Bo Dietl, dieser Mini-Trump mit Knarre am Gürtel, Bürgermeister New Yorks werden? Mit viel Lautstärke. Und noch mehr Drama.

Er mit Reagan, er mit Bush, er mit Clinton, er mit Gewehr

Dietl trägt Dreitagebart und eine blau- gelb gemusterte Krawatte an diesem Tag. An der linken Hand eine fette goldene Uhr, an der rechten einen goldenen Ring. Auch in seinem Büro gibt es von allem viel. Von der Decke baumeln rund 20 Spielzeug-Militärflieger, die Wände sind voller Polizeiabzeichen, Zeitungsartikel und Fotos. Er mit Reagan, er mit Bush, er mit Clinton, er mit Gewehr. Hinter Dietls Schreibtisch hängt eine große USA-Flagge.

Es ist der Tag nach dem Massaker in Las Vegas, bei dem 59 Menschen starben und mehr als 500 verletzt wurden. „Ich wäre da hochgerannt, hätte die Tür aufgebrochen und dann den Mann umgenietet“, sagt Dietl, und es wirkt so, als würde er sich sein Heldenversprechen selbst glauben.

„Und was hätte der Big Bird gemacht? Oooooohhhh, da schießt ja jemand, oooohhh“, verspottet Dietl seinen 1,96 Meter großen Konkurrenten de Blasio, den er seit Jahren Big Bird nennt, nach der Figur aus der Sesamstraße. Gelernt hat er das wohl von Trump, der seine Widersacherin ja auch konsequent als „crooked Hillary“ diffamierte, als korrupte Hillary.

Im Laufe des Gesprächs wird er de Blasio als „faulen Kommunisten“, „korrupten Lügner“, „Narzissten“, „Diktator“ und „Fan der Boston Red Sox“ verunglimpfen. Ihm gelingt es tatsächlich bei jedem Thema, bei seinem Konkurrenten zu landen. Ganz wie Trump, der seine politische Karriere mit der Lüge, Barack Obama sei nicht in den USA geboren, begann und seit einem Jahr versucht, jeden politischen Erfolg seines Vorgängers ins Gegenteil zu verkehren.

Obama? „Der pimmelt nur rum“

Von Obama, logisch, hält auch Dietl nichts. Der ehemalige Präsident habe das Land gespalten, sonst nichts. „He’s just dicking around“, sagt Dietl, „er pimmelt nur rum“. Und rumpimmeln, das ist nichts für Dietl. Er will die Ärmel hochkrempeln und „Sachen erledigen“.

Fragt man Dietl nach den Problemen der Stadt, glühen seine Augen. „Die Leute fühlen sich nicht sicher, die Kriminalität kommt zurück“, sagt er. Bo Dietl will Gesetz und Ordnung nach New York zurückbringen. Kleinere Delikte wie das Urinieren in der Öffentlichkeit sollen wieder härter bestraft werden.

Dietl sieht sich in einer Reihe mit den drei ehemaligen Bürgermeistern Ed Koch, Rudolph Giuliani und Michael Bloomberg. Was seine Vorbilder eint: Sie eroberten die Macht in Krisenzeiten. Bei Koch war es New Yorks drohender Bankrott in den späten 70er Jahren. Giuliani bekämpfte ab 1994 die Folgen der Crack- und Kriminalitätsepidemie aus den 80ern mit seiner Null-Toleranz-Strategie. Und Bloomberg kam ein paar Monate nach dem 11. September 2001 ins Amt. Es ist also kein Zufall, dass Bo Dietl das Bild einer Stadt malt, in der nichts funktioniert.

In einer Umfrage Anfang dieses Jahres gab die große Mehrheit der New Yorker allerdings an, in U-Bahnen, Parks und auf Spielplätzen sicher zu sein. Selbst nachts und alleine fühlten sich 70 Prozent der Befragten unbedroht. Auch die Kriminalitätsstatistik zeigt, dass die Stadt in vielen Bereichen so sicher ist wie noch nie. Weniger Morde, weniger Schießereien, weniger Einbrüche. Was Dietl betreibt, ist Angstmacherei. So wie Trump überall Bedrohungen herbeipöbelt: die Medien, die Mexikaner, die Muslime.

Dietl, der Mann der kleinen Leute?

Was aber beschäftigt die New Yorker tatsächlich? In derselben Umfrage wurden Verkehr, sozialer Wohnungsbau und die Situation der Obdachlosen als Hauptprobleme definiert. Mehr als 60 000 Menschen schlafen derzeit entweder in Massenunterkünften oder auf der Straße. Fragt man Hilfsorganisationen, wird deutlich, wer oft der größte Gegner der Obdachlosen ist: die Polizei. Doch auf seine Ex-Kollegen lässt Dietls nichts kommen. Polizeigewalt? „Kein Thema“, sagt Dietl, genauso wenig wie Rassismus. Er hat andere Prioritäten.

Dietl ist auch angetreten, um den New Yorker Klüngel zu zerschlagen. „Ich werde Korruption die Toilette herunterspülen“, verspricht er. Einer seiner Slogans lautet „#wewantourcityback“, wir wollen unsere Stadt zurück. Dietl, der Mann der kleinen Leute?

Seine Veranstaltungen fühlen sich vor allem elitär an. Ein paar Stunden nach dem Interview hat Dietl zur großen Benefizgala im noblen Nachtclub „The Cutting Room“ geladen. Für 200 US-Dollar darf man rein, für 500 US-Dollar sind Getränke und Speisen inklusive. Die Frauen, Durchschnittsalter vielleicht 45, tragen Cocktailkleider. Die Männer, Durchschnittsalter über 60, sehen ungefähr so aus wie Dietl selbst: braun gebrannt, kleiner Bauch, wenige Haare, aber geschickt gekämmt. Gekommen sind Anwälte, Eventveranstalter und C-Promis wie der Ex-Football-Profi Michel Faulkner. Er ist einer von zwei Schwarzen im Raum.

In den Umfragen liegt Dietl weit zurück

Dietl steigt auf die Bühne und verkündet: „Ich bin kein Politiker.“ Auch Trump hatte diesen Satz im Wahlkampf systematisch wiederholt. Trump war so lange kein Politiker, bis er plötzlich Präsident wurde. Und Dietl? Der liegt in den Umfragen noch bei unter zehn Prozent, Bill de Blasio ist weit vorne. Aber was bedeuten schon Umfragen, sagt Dietl, „das hat man ja bei Trump gesehen“.

Auch Dietl hat mitbekommen, dass der US-Präsident in seiner Heimatstadt verpönt ist. Und so ist das Verhältnis ambivalent. Einerseits legt Dietl Wert auf Differenzierung: „Donald Trump wurde mit goldenem Löffel im Mund geboren. Ich habe mein Leben lang gearbeitet.“ Andererseits verteidigt Dietl Trumps sexistische Aussagen: „Trump steht auf Muschis, was ist daran schlimm? Bist du etwa eifersüchtig auf ihn? Oder bist du schwul? Das wäre auch in Ordnung“, sagt Dietl und schaut ganz verständnisvoll. Aussagen wie diese sind keine Versehen, sie gehören zur Taktik. Dietls engster Berater hat öffentlich verkündet: „Wir sind ganz klar gegen politische Korrektheit.“

Ein paar Tage später stehen trotz Regen tausende Menschen entlang der Fifth Avenue und wedeln mit grün-weiß-roten Fähnchen. Columbus Day. Offiziell geht es bei der Parade um italienisch-amerikanische Kultur, doch weil Wahlkampf ist, geht es um viel mehr. Seit Monaten wird in den USA über die Bedeutung bestimmter Denkmäler gestritten. Eine von Bürgermeister de Blasio einberufene Kommission soll nun überprüfen, ob auch die berühmte Columbus-Statue am Central Park entfernt werden soll. Ist die Statue Ausdruck der brutalen Kolonialzeit? Oder nur Symbol eines harmlosen Patriotismus? De Blasio wird bei der Parade ausgebuht, Dietl bekommt Beifall. Bei den emotionalen Themen kann er punkten.

Zum New Yorker Promi wurde er in den 90ern

Allein Dietls Vita ist für manche New Yorker Grund genug, ihn zu wählen.

Von seinen Eltern – die Mutter aus Sizilien, der Vater aus Deutschland – wurde Dietl, der eigentlich Richard heißt, aber Bo gefiel ihm besser, zur Arbeitsmoral erzogen. Mit acht Jahren begann er Zeitungen auszutragen, als Teenager schuftete er auf der Baustelle des World Trade Center. 1969 wurde Dietl Polizist in East Harlem. Stolz ist er auf die mehr als 30 Krankenhausaufenthalte seiner Karriere. Weniger stolz ist er darauf, dass er sich bei einem Fallschirmsprung in seiner Freizeit so schwer am Knöchel verletzte, dass er seinen Dienst quittieren musste. 1985 war das. Im selben Jahr gründete Dietl dann seine Detektiv- und Sicherheitsfirma „Beau Dietl & Associates“.

Zum New Yorker Promi wurde er in den 90ern. Der Regisseur Abel Ferrara ließ sich für seinen Film „Bad Lieutenant“ von Dietl inspirieren. Im Scorsese-Blockbuster „The Wolf of Wall Street“ bekam er eine Nebenrolle. Von Fox News wurde er regelmäßig als Experte eingeladen. Seit Dietl im März dieses Jahres seine Kandidatur bekannt gegeben hat, sind die New Yorker Zeitungen glücklich. Sie haben was zu schreiben.

Am Tag nach der Columbus-Parade findet die TV-Debatte zur Wahl statt. Links auf der Bühne steht der riesige de Blasio, in der Mitte die Republikanerin Nicole Malliotakis, rechts der kleine Dietl. „Go Yankees!“, grölt Baseball-Fan Dietl und beschwört dann seine New-York-Liebe: „Mein Blut ist auf die ganze Stadt verteilt.“ Als sich de Blasio vorstellen will, buhen Dietls mitgebrachte Fans so laut, dass der Bürgermeister unterbrechen muss. Später wird einer von Dietls Anhängern sogar aus dem Studio abgeführt.

Der Kandidat schaut überfordert

Bo Dietl ist in diesen 90 Minuten ganz Bo Dietl. Er spricht nicht, er brüllt. Er schnauft, spuckt, empört sich. Mehr Polizisten! Den Obdachlosen helfen! Weniger Korruption! Konkret wird er dabei selten. Als sich de Blasio und Malliotakis in den Tiefen der U-Bahn-Krise verlieren, schaut der Kandidat ganz rechts überfordert. Zum Thema Bildung fällt ihm nur die Forderung ein, Handys aus den Klassenzimmern zu verbannen. Als es um einen Bericht der „New York Daily News“ geht, wonach er Steuern schulde, fragt Dietl die Moderatorin: „Was hast du letztes Jahr verdient? Ich hab 1,8 Millionen verdient.“

De Blasio dagegen wirkt mit seiner Routine, seinem Profilächeln und den tausendmal gleich formulierten Sätzen wie ein Politiker aus der Schablone. Wirklich bestechend ist das nicht. Die New Yorker dulden ihn mehr, als dass sie ihn lieben.

Nach einer Stunde muss der Moderator Bo Dietl zum ersten Mal das Mikrofon ausschalten, zu oft hat er seine Konkurrenten unterbrochen. „It’s Dietl Mania!“, wird eine New Yorker Zeitung am nächsten Morgen schreiben. Viel besser hätte der Abend für Bo Dietl kaum laufen können.

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