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Oft unterschätzt. Seit zwei Jahren führt Jan Stöß (rechts) die Regierungspartei, die in den Meinungsumfragen bei 23 Prozent herumdümpelt. Er wird jetzt als Nachfolger Wowereits gehandelt.

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Wird Jan Stöß Wowereits Nachfolger?: Auf dem Weg ins Rote Rathaus

Breite Brust, feines Lächeln – SPD-Landeschef Jan Stöß ist bereit. Bereit für die Zeit nach Wowereit. Die Konkurrenz ist vorerst geschlagen. Jetzt sieht es so aus, als wenn Berlin schon vor der nächsten Wahl einen neuen Bürgermeister bekommt.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Seine Größe erkennt man erst auf den zweiten Blick. Erst als Jan Stöß in der Eisenacher Straße in Schöneberg vom Rad steigt, fällt auf, wie bullig er ist. Kein sportlicher Typ, aber 1,96 Meter lang. Einen knallroten Schal hat sich der Berliner SPD-Chef um den Hals geknotet, weil er abends ein Grußwort hält, wenn der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper in der SPD-Zentrale aus seinen Erinnerungen an den Mauerfall liest.

Mompers Markenzeichen, das macht sich Stöß jetzt gern zu eigen. Auch wenn er Fragen, ob er Regierender Bürgermeister werden will, immer noch ausweicht, schmückt er sich schon mal gerne mit den Insignien der Macht. Selbst wenn sie von gestern sind.

Seit zwei Jahren führt Stöß die einst große Regierungspartei, die in den Meinungsumfragen seit Monaten bei 23 Prozent herumdümpelt. Mit einem müden Regierungschef, der sich zunehmend auf Grußworte und Premierenbesuche konzentriert. Am vorigen Sonntag war Klaus Wowereit im Renaissance-Theater. Das Stück hieß „Nackter Wahnsinn“. Wie passend.

In einem internen Pamphlet spottete jetzt ein Genosse, der aus Nordrhein-Westfalen stammt, über den „alternden Monarchen“. Wowereit sei „so durch, wie man es nur sein kann“. Die Frage, wer ihm nachfolgt und wann, sollte also bald beantwortet werden. Und seit Ostern sieht es so aus, als wenn der SPD-Landeschef Stöß im innerparteilichen Machtkampf um das Rote Rathaus vorerst die Oberhand gewonnen hat.

Der 40-jährige Verwaltungsrichter hat kein Auto, bewegt sich mit Fahrrad, Bus, U-Bahn oder Taxi durch die Stadt. Noch kommt er ohne Dienstwagen aus. Stöß mag das Schöneberger Quartier mit den Altbaufassaden, den Cafés, Restaurants und Kneipen. Er setzt sich, es ist ein sonniger Morgen, in seinem Lieblingscafé „Salt & Sweet“ draußen an den Tisch.

Grüner Schulz gegen roten Stöß

Nicht weit von hier wohnt Stöß mit seinem Lebensgefährten. Früher lebte er in Kreuzberg und erzählt gern, wie ihm der frühere Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, zugesetzt hat, als sie gemeinsam im Bezirksamt saßen. Ein Jahr, bis zu den Wahlen im Herbst 2011, war Stöß Finanzstadtrat. Da hat er die Kosten- und Leistungsrechnung gelernt, aber vor allem die Kunst, sich eisern zu behaupten. Der grüne Schulz saß in den Sitzungen auf der einen Seite des Tischs, der rote Stöß auf der anderen, dann haben sie sich gegenseitig zur Weißglut getrieben. „Ein so harter Gegner ist mir in der SPD nie begegnet“, sagt Stöß.

Das will etwas heißen. Hat ihm doch gerade erst Raed Saleh, der Genosse Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, ordentlich eingeheizt. Denn auch Saleh will Regierender Bürgermeister werden. Ihn hätten wichtige Parteikreise gedrängt, bei der Neuwahl des SPD-Landesvorstands am 17. Mai für den Vorsitz zu kandidieren, wurde vor Ostern kolportiert. Der bisherige Mitkämpfer Stöß sollte kurzerhand aus dem Weg geräumt werden.

Wer die wichtigen Parteikreise waren? Manche Genossen glauben, dass der Ex-Parteichef Müller noch eine Rechnung mit Stöß offen hat, der ihm vor zwei Jahren die Parteiführung entriss.

Wowereit dementiert, er habe Saleh gegen Stöß aufgehetzt

Auch ging das Gerücht um, dass der Regierende Bürgermeister Wowereit den Fraktionschef ermuntert habe, Stöß den Landesvorsitz wieder abzunehmen, weil dieser in der Steueraffäre um André Schmitz den Kulturstaatssekretär und engen Freund Wowereits kaltblütig zum Rücktritt gezwungen hatte. Danach war das Tischtuch zerschnitten. Als Stöß beide Genossen nach Schmitz’ Abgang in der Oper traf, wurde ihm sofort klar, dass er den Pausensekt allein trinken musste. Trotzdem dementierte Wowereit jetzt parteiintern, dass er Saleh gegen Stöß aufgehetzt habe.

Wie auch immer. Der SPD-Fraktionschef hat es nicht geschafft, für den Wahlparteitag die Mehrheit der Delegierten hinter sich zu scharen, um zusätzlich den Parteivorsitz zu übernehmen. Ausgestattet mit einer solchen Machtfülle hätte sich Saleh als Nachfolger Wowereits in Position bringen können.

Größenwahn und Realitätsverlust, heißt es fast mitleidig in SPD-Kreisen, hätten den Fraktionschef Saleh zu einer schweren Fehleinschätzung verleitet. Die Mehrheit habe Saleh auf dem Parteitag nie hinter sich gehabt. Stattdessen triumphierte Stöß, der nun damit rechnen kann, am 17. Mai als SPD-Landeschef bestätigt zu werden. Sicher nicht mit einem glänzenden Ergebnis. Aber Mehrheit ist Mehrheit.

Saleh wird nicht einmal mehr in seiner Funktion als Spandauer SPD-Kreischef der Parteiführung angehören. Er verzichtete am Montag im Landesvorstand freiwillig darauf, zu kandidieren. Ein demütigendes Wahlergebnis wollte er sich wohl ersparen, denn viele seiner Anhänger haben sich nun von ihm abgewandt. Wer kurz vor der Europawahl und einem wichtigen Volksentscheid die eigene Karriere befördern will, dabei alle Gremien umgeht und die Partei ins Chaos stürzt, der wird nun mal abgestraft.

Auch SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel fragte um Ostern herum besorgt nach, was denn los sei in Berlin, ob er helfen könne. Als die Berliner SPD-Fraktion am Dienstag tagte, kam Stöß zu Besuch – und appellierte an die Geschlossenheit in Partei und Fraktion. Die Abgeordneten schwiegen, haben aber verstanden. Da saß der vorläufige Gewinner des Kampfes um die Macht.

Wo Stöß herkommt und wie er aufwuchs

Oft unterschätzt. Seit zwei Jahren führt Jan Stöß (rechts) die Regierungspartei, die in den Meinungsumfragen bei 23 Prozent herumdümpelt. Er wird jetzt als Nachfolger Wowereits gehandelt.
Seit zwei Jahren führt Jan Stöß (rechts) die Regierungspartei. Jetzt wird er als Nachfolger Wowereits gehandelt.

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Breite Brust, Kopf hoch, ein feines Lächeln spielt um die Lippen. Der SPD-Landeschef ist ein Siegertyp. Die sonore Stimme klingt fest, ab und zu lacht er kehlig. Ein fröhlicher Mensch mit robustem Humor, der gelegentlich in Sarkasmus umkippt. Vor dem Café in Schöneberg hängt ein SPD-Plakat, das für die Bebauung des Tempelhofer Feldes wirbt. Grafisch schlecht gemacht, mit einer in rosa Soße ertränkten Stadtlandschaft. Auf dem Plakat sitzt eine fette Krähe, die an der bedruckten Pappe pickt und unentwegt krächzt. „Sehen Sie“, sagt Stöß. „Der gefällt das Plakat.“

Das Berliner Nachtleben lockt

Bis vor zehn Jahren deutete nichts darauf hin, dass der promovierte Verwaltungsjurist Chancen hat, ab nächstem Jahr im Roten Rathaus zu sitzen. 1973 wurde Stöß in Hildesheim geboren. Der Vater Lehrer, sozialdemokratisch geprägt, die Mutter Hausfrau. Der Großvater war Bürgermeister einer kleinen Gemeinde, aber CDU-Mitglied. Stöß wurde Schülersprecher. Der erste Irakkrieg und der Wechsel vom niedersächsischen CDU-Regierungschef Ernst Albrecht zum Sozialdemokraten Gerhard Schröder politisierten den Gymnasiasten. Oskar Lafontaine wurde gerade Spitzenkandidat der Bundes-SPD. Stöß sah die Zeit reif für etwas Neues in der Politik – und wurde Jungsozialist.

1996 zog Stöß als Jurastudent nach Berlin, vergaß die Politik und kümmerte sich intensiv um das Nachtleben. Er promovierte beim Staatsrechtler Ulrich Battis und wurde Rechtsanwalt. Erst 2005, als Kanzler Schröder vorzeitige Neuwahlen ausrief, erinnerte sich Stöß wieder an das SPD-Parteibuch. „Es war ein irrer Wahlkampf, da bin ich voll eingestiegen.“ Danach ging es schnell: Vorsitz im Ortsverband rund um die Kreuzberger Bergmannstraße, SPD-Kreischef in Friedrichshain-Kreuzberg, Landesvorsitzender.

Er ist ein strammer Linker. Ein Idealist, aber sehr pragmatisch. „Mir ist es suspekt, wenn von großen Männern geredet wird, die Geschichte machen“, sagt Stöß. Willy Brandt ist für ihn „wichtig“, aber keine Ikone. Helmut Schmidt findet er passabel, aber dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz kann der Berliner SPD-Chef mehr abgewinnen. Einer, der im Thalia-Theater eine programmatische Rede zur Flüchtlingspolitik hält, für die die Leute sogar Eintritt zahlen, den findet Stöß gut. Scholz hat sich übrigens erfolgreich dafür verwendet, dass Stöß seit April die Metropolenkommission der Bundes-SPD leitet. Auch zum Parteichef Gabriel hat Stöß inzwischen einen guten Draht.

Welche Rolle Klaus Wowereit spielt

Oft unterschätzt. Seit zwei Jahren führt Jan Stöß (rechts) die Regierungspartei, die in den Meinungsumfragen bei 23 Prozent herumdümpelt. Er wird jetzt als Nachfolger Wowereits gehandelt.
Seit zwei Jahren führt Jan Stöß (rechts) die Regierungspartei. Jetzt wird er als Nachfolger Wowereits gehandelt.

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Jetzt muss er aber erst einmal sehen, ob und wie der Karren in Berlin aus dem Dreck zu ziehen ist. Der SPD-Landesverband ist verunsichert und teilweise zerstritten, die Wähler halten nicht viel vom sozialdemokratischen Führungspersonal. Das gilt nicht nur für Wowereit, sondern auch für die anderen SPD-Senatsmitglieder, für Saleh und auch für Stöß.

Das größte Problem aber ist der Regierende. Den Machtkampf um seine Nachfolge hat er angeblich amüsiert, aber teilnahmslos verfolgt. Vor zwei Jahren, als ihm die neue Mehrheit um Saleh und Stöß den treuen Helfer Müller wegwählte, hatte Wowereit den Delegierten bereits zugerufen: „Ihr wisst ja, ich bin flexibel!“ Vielleicht muss er bald schon zeigen, wie geschmeidig er wirklich ist. Einiges spricht dafür, dass sich der Ablösungsprozess von Wowereit nach der Neuwahl des SPD-Landesvorstands beschleunigen könnte. Der Zeitplan Wowereits, erst Ende 2015 selbst zu entscheiden, was aus ihm wird, ist kaum noch kompatibel mit der Stimmung in der eigenen Partei.

Den Königsmörder wird er nicht spielen

Es gibt Szenarien. Klar ist nur, dass es nicht so kommt, wie es der Berliner Politologe Gero Neugebauer empfohlen hat. Dass nämlich der SPD-Landeschef den Königsmörder spielt, der auf der Rathaustreppe die Genossen um sich schart, „um dann den Regierenden zu erdolchen“. Ohne die Zustimmung Wowereits soll es keine Nachfolgelösung geben. Also wird es, nach der Wiederwahl von Stöß, Gespräche geben. Die Variante, die in Parteikreisen zunehmend bevorzugt wird, ist der fliegende Wechsel. Wie in Rheinland-Pfalz, wo der sozialdemokratische Regierungschef Kurt Beck 2012 zurücktrat und den Weg frei machte für die SPD-Frau Malu Dreyer, die seitdem regiert. Beck wurde in allen Ehren verabschiedet, damit kann auch Wowereit rechnen. Der Koalitionspartner CDU müsste natürlich mitziehen, wofür vieles spricht. „Wir haben einen Koalitionsvertrag mit der SPD geschlossen, nicht mit Wowereit“, sagte der CDU-Landeschef Frank Henkel – nicht von ungefähr.

Stöß lässt, nachdem Saleh seine Chance vertan hat, keinen Zweifel daran aufkommen, dass er das Heft nicht mehr aus der Hand geben will. Nach dem Wahlparteitag soll der neue Vorstand zu einem „strategischen Zentrum“ ausgebaut werden. Seine Zielstrebigkeit und Härte sollte niemand unterschätzen. Auch wenn er ein angenehmer Gesprächspartner ist. Ein geselliger Genussmensch dazu, der mit seinem Schwulsein seit Jahren offen umgeht und im Urlaub am Liebsten nach Spanien reist.

Vor ein paar Wochen flog Stöß mal wieder nach Frankreich, um den Sozialisten bei der Kommunalwahl zu helfen. Der Genossin Anne Hidalgo, die als erste Frau Pariser Bürgermeisterin wurde, gratulierte er begeistert zum Sieg. Mit schwarzem Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Als sei er der Amtskollege aus Berlin.

Der Text erschien auf der Dritten Seite.

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