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Promovierte Umweltwissenschaftlerin: Samira Mobaied.

© privat

Stimmen des Exils: Kann man aus dem Exil für die Demokratie in Syrien kämpfen?

Ein Interview mit Samira Mobaied, Vertreterin der syrischen Zivilgesellschaft in der Verfassungsversammlung.

Vor fast genau einem Jahr trat die Verfassungsversammlung für Syrien erstmals zusammen. Jeweils 50 Vertreter und Vertreterinnen der Regierung, der Oppositionskoalitionen und der Zivilgesellschaft tagen dort und ringen um eine neue Verfassung, die den Weg für ein Ende des Konfliktes in Syrien ebnen soll. Die Teilnehmerliste wurde von der UN in Zusammenarbeit mit Russland, des Irans und der Türkei zusammengestellt. Wie weit sind die Verhandlungen gediehen? Gibt es Grund zu Hoffnung, dass Syrien doch eines Tages ein freies, demokratisches und multiethnisches Land wird? Fragen an Samira Al Mobaied. Die Umweltwissenschaftlerin und politische Aktivistin lebt in Paris und nimmt als Vertreterin der syrischen Zivilgesellschaft an den Verhandlungen in Genf teil. Das Interview führte Samer Masouh, Redakteur bei Amal, Berlin!

Frau Al Mobaied, Sie leben im Exil, kann man von hier aus überhaupt für die Demokratie kämpfen?

Natürlich wäre die Arbeit aus Syrien, wenn sie denn möglich wäre, effektiver. Gerade, wenn man einen radikalen Wandel bewirken möchte, muss man mit der Zivilgesellschaft arbeiten und auf der Bildungs-, Erziehungs- und Kulturebene ansetzen. So könnte man dann auch das politische System ändern. Allerdings ist diese Arbeit in Syrien im Moment nicht möglich. Die sichere Position aus dem Exil gibt uns zudem die Möglichkeit, die Welt immer wieder darauf zu stoßen, was in Syrien los ist.

Ist der Kampf aus dem Exil effektiver als aus dem Inneren des Landes?

Das Ziel ist, neue Generationen zu schaffen. Die meisten politischen Konzepte wurden verunstaltet oder ausgenutzt, um dem autoritären Regime zu dienen, das Syrien seit einem halben Jahrhundert regiert. Daher ist heute jeder Raum für zivile und politische Arbeit von größter Bedeutung – egal ob aus dem Exil oder aus Syrien. Beide sollten sich ergänzen.

Und können Sie uns die neuesten Ergebnisse der Genfer Gespräche vorstellen?

Der Verfassungsausschuss stellt einen Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung des politischen Übergangs in Syrien dar und ist somit eine wichtige Grundlage für Veränderungen. Bisher gab es keine wirklichen Fortschritte, wenn es um die Verfassungsarbeit geht, da das Regime einerseits versucht, den Fortschritt zu sabotieren, andererseits werden die positiven Ansätze durch die inneren Konflikte zunichte gemacht. Bei der letzten Verhandlungsrunde wurden wichtige Themen besprochen, wie zum Beispiel die Frage der Identität. Bislang wurde die Identität von der totalitären Herrschaft definiert, aber wer sind wir wirklich? Es ist sehr wichtig, den Dialog darüber zu führen.

Wieso beteiligen Sie sich an dem Verfassungsausschuss? Haben Sie Hoffnung, dass Syrien dadurch demokratisch wird?

Dieser Verfassungsausschuss ist heute die repräsentativste aller syrischen Versammlungen, da alle Teile des syrischen Volkes repräsentiert werden. Das war in den politischen Gremien und Versammlungen der letzten zehn Jahren nicht der Fall. Daher ist es eine wichtige Plattform, die zudem internationalen Konsens erhielt. Eine Plattform, um einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer notwendigen radikalen Veränderung zu gehen, um einen modernen Staat zu bilden und auch, um die legitimen Forderungen der Syrer nach Menschenwürde, Stabilität und Wohlstand zu erfüllen.

Sie haben einen Doktortitel in Umweltwissenschaft und sind Vertreterin einer syrischen politischen Umweltbewegung. Wie kommen Sie dazu, wo doch in Syrien und der ganzen Region grüne Parteien keine so große Rolle spielen?

Umweltströmungen bieten praktische und faire Lösungen für die meisten Probleme, unter denen die politischen Systeme heute leiden. Dabei geht es sowohl um die Umweltproblematik und den Schutz von Ressourcen, als auch um ein politisches Verständnis, das Diversität und Nachhaltigkeit berücksichtigt.  Gerade jetzt könnte ein guter Moment sein, auf grüne Konzepte zu setzen, wo die Region im Umbruch ist und auf eine Phase sektiererischer, rassistischer und nationalistischer Kräfte zurückblickt. Bislang ist die Wirtschaft auf die Ölwirtschaft und ein nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Profitverhalten ausgerichtet. Ein Umdenken ist die Grundlage für den Aufbau von Stabilität und Frieden.

Übersetzung aus dem Arabischen: Karin El Minawi. Samer Masouh, 41, ist vor sechs Jahren aus Syrien gekommen. Dort hat er unter anderem für Reuters gearbeitet. Heute ist er Redakteur bei Amal, Berlin! Dieser Text erscheint im Rahmen des Projekts "Stimmen des Exil" in Kooperation mit der Körber-Stiftung und Amal, Berlin!

Samer Masouh

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