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Rosa ist die Hoffnung. Vielleicht wird dieses kleine Mädchen einmal frei darüber entscheiden können, ob es Kinder bekommt.

© Peter Turnley/Getty Images

Stimmen des Exils: Zum internationalen Frauentag: Gegen den Gebärzwang

Die Nation soll wachsen: In meiner Heimat kommen viele Kinder gegen den Willen ihrer Mütter zur Welt – so wie ich.

Lassen Sie mich die Geschichte von Anfang an erzählen: Da sie schon drei Kinder hatte und in finanziellen Schwierigkeiten steckte, war sich meine Mutter ganz sicher: Sie wollte mich nicht.

Sie probierte die traditionellen Methoden der Abtreibung durch. Ohne Erfolg. Als mein Vater dahinterkam wurde er zornig: „Wie kannst du so eine schlimme Sünde begehen?“

Dies war meine erste Erfahrung zum Thema Abtreibung. Mein Vater wollte mich damals retten als weiteren Zuwachs für die islamische Armee, was ich aber niemals wurde.

Eine Mutter zu sein, ist die wohl schwierigste und verantwortungsvollste Aufgabe, die es gibt, und wie soll man sie erfüllen, wenn man nicht bereit dazu ist?

Abtreibung bedeutet, dass eine Frau durch das Leiden geht, ein anderes Leben zu beenden. Sie tut es, um zu vermeiden, dass ihr eigenes Leben ein endloses Leiden wird.

In meiner Heimat, dem Iran, ist Abtreibung illegal nach islamischem Recht und gemäß der Verfassung. Selbst, wenn eine Frau vergewaltigt wird, muss sie das Baby austragen!

Du stellst fest, dass dein Körper nicht dir gehört. Dein Körper und deine Zukunft gehören dem System, der Nation. Die Nation will wachsen und deswegen benutzt sie deinen Körper als Reproduktionsmaschine!

Um im Iran eine Abtreibung zu bekommen, muss man viel Glück haben. Sahar hatte Glück und die Abtreibung wurde sogar bei ihr zuhause durchgeführt. Sie war 21 Jahre alt, Studentin an der Universität Teheran und war von ihrem Freund schwanger. Das allein war schon eine große Sünde. Sie ahnte nicht, dass sie schwanger war, und ging mit Bauchschmerzen zum Arzt. Der Arzt riet ihr zu einem Schwangerschaftstest und immer noch ahnte sie nichts.

Da Abtreibung im Iran ganz und gar verboten ist, gibt es keine Ärzte, die sie durchführen. Viele Frauen greifen daher zu Medikamenten, die sie hoch dosieren, bis Blutungen einsetzen. Dann beeilen sie sich zum nächsten Krankenhaus und geben an, dass die Blutung von alleine begonnen hat. Die Ärzte nehmen dann eine Ausschabung vor und niemand kann nachweisen, dass es Absicht war. So machte es auch Sahar. Auf Empfehlung einer Freundin besorgte sie das Medikament, nahm es ein und wartete auf die Blutung. Sie erreichte das Krankenhaus, alles lief nach Plan. Im Krankenhaus befiel sie Angst, würden sie kommen, um sie zu verhaften? Sie hatte Glück. Nicht selten schaffen es die Frauen nicht rechtzeitig ins Krankenhaus, verbluten auf dem Weg.

Das iranische Regime stellt Abtreibung unter hohe Strafe. Der Grund ist, dass sie Angst vor Geburtenrückgang haben. Vergangenen Monat wurden Verhütungsmittel in manchen ländlichen Gebieten aus dem Verkehr gezogen. Das Ziel ist: Die Bevölkerung soll wachsen.

Es geht um eine Gesellschaft, in der das Mindestheiratsalter für Mädchen bei 13 Jahren liegt. Wenn der Vater zustimmt, können sogar Neunjährige verheiratet werden. Diese Mädchen werden schwanger und schwanger und schwanger. Jedes Jahr ein Kind ist keine Seltenheit. Die Statistik zeigt eine Zunahme von Selbstmorden und Selbstverstümmelungen.

Hintergrund des Ganzen ist die Ideologie des Regimes. Der Iran, so wollen es die Führer, soll eine wachsende Nation sein. Der höchste Führer des Landes Ali Khamenei wiederholte kürzlich bei einer Ansprache sein Ziel: „Der Iran braucht eine Bevölkerung von 150 Millionen!“ Derzeit liegt die Bevölkerungszahl gerade einmal bei 82 Million.

In Deutschland ist alles anders. Hier ist es zwar immer noch verboten, dass Ärzte bekanntgeben, dass sie Abtreibungen durchführen, auch werden Abtreibungen in der Regel nicht von der Krankenkasse übernommen. Im Allgemeinen sind Abtreibungen jedoch in bestimmtem Rahmen erlaubt und es gibt Organisationen, die Frauen helfen, wenn ihnen das Geld zum Schwangerschaftsabbruch fehlt.

Eigentlich ist also für alle gesorgt. Eigentlich! Sadaf, 25, kam als Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland. Sie lebt in einer Unterkunft. Sie verpasste den richtigen Zeitpunkt. Ihre unsichere Situation, die mangelnden Sprachkenntnisse. Als sie endlich zum Arzt ging, war der fünfte Monat vorbei und es war für einen Abbruch zu spät. Nun hat sie ein ungewolltes Kind, obwohl sie keinen sicheren Aufenthalt hat und der Vater des Kindes aus Deutschland abgeschoben wurde, bevor Sadaf wusste, dass sie schwanger ist.

Angesichts der Schicksale im Iran und anderswo fragt man sich: Warum können Frauen nicht selber über ihre Körper entscheiden? Warum sind es zumeist männliche Politiker, die darüber bestimmen? Das Interesse der Frauen und ihr Wunsch Kinder zu haben oder auch nicht, sollten im Mittelpunkt stehen. Andere Gründe, Ideologien, nationaler Größenwahn oder der Wunsch von Männern, Frauen zu kontrollieren, dürfen keine Rolle spielen.

Dieser Text erscheint im Rahmen des Projekts "Stimmen des Exils" von Tagesspiegel und Körber-Stiftung. Der Tagesspiegel veröffentlicht seit 2016 regelmäßig Texte von Exiljournalist*innen unter dem Titel #jetztschreibenwir. Die Körber-Stiftung macht mit ihren Projekten im Programmbereich "Exil" die journalistischen, künstlerischen, politischen oder wissenschaftlichen Aktivitäten exilierter Menschen in Deutschland sichtbar. Dafür kooperiert sie z.B. mit den Nachrichtenplattformen „Amal, Berlin!“ und „Amal, Hamburg!“ oder organisiert Fachveranstaltungen (Exile Media Forum).

Aora Helmzadeh

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