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Cassiterit ist ein Konfliktmineral - Nathan Williams will die Gewaltspirale unterbrechen

© Philotheus Nisch

Das dunkle Geheimnis der Smartphones: Mit Blockchain gegen das dreckige Mineralien-Geschäft

Nathan Williams hat eine Firma gegründet, die den Handel mit Konfliktmineralien fair machen soll. Er ist wie ein moderner Indiana Jones – nur mit Blockchain.

An den Moment, an dem er entschied, die Welt zu retten, zumindest einen kleinen, aber wichtigen Teil von ihr, erinnert sich Nathan Williams genau: Er hatte die „Washington Post“ vor sich und war wütend. Und traurig. Und aufgeregt.

Donald Trump war wenige Wochen zuvor Präsident der Vereinigten Staaten geworden und hatte, so las Williams, gerade ein Gesetz kassiert, das Umwelt und Menschen schützen und Krieg und Verderben verhindern sollte.

Das kassierte Finanzmarktgesetz namens Dodd-Frank Act hatte durch ein paar ergänzende Abschnitte im Kleingedruckten auch dafür gesorgt, dass die großen Abnehmer von Mineralien wie Coltan, Zinn und Gold für die oft problematischen Produktionsbedingungen vor allem inmitten des Bürgerkriegs in der Demokratischen Republik Kongo haftbar gemacht werden konnten.

Ein moderner Indiana Jones

Das beendete Trump nun - gegen den erklärten Willen von Intel, Apple und weiteren Konzernen, denen das Gesetz geholfen hatte, die Zwischenhändler zu kontrollieren. Nathan Williams war angefixt: Wenn die Firmen die Kontrolle wollen, die Hersteller und Zwischenhändler aber undurchsichtig bleiben:

Wäre das Problem dann nicht zu lösen, indem man jede Charge digital zertifizierte - zum Beispiel mit einer Blockchain, dachte sich Williams damals, im Februar 2017.

Fast drei Jahre später stehen fünf Schreibtische dicht aneinandergereiht in einem vielleicht 20 Quadratmeter großen Glaskubus in einem Start-up-Gebäude namens Factory: Dort, wo früher Ost- an West-Berlin grenzte und heute Mitte an Gesundbrunnen, sitzen zwei bärtige junge Männer und eine Frau vor ihren Computern: der Technik-Chef, ein Policy-Experte und die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit. Daneben steht Nathan Williams, 41, ein großer, rotblonder Kanadier in Jeans, grünem Shirt und Jackett.

Nathan Williams
Nathan Williams

© Alena Schmick

Auch wenn Williams nicht direkt so aussieht: Er ist ein moderner Indiana Jones. Mit einer Blockchain statt mit Fedora und Peitsche. Über den ehemaligen Mauerstreifen blickend, erklärt er, wie er mit seinem noch kleinen Polit-Tech-Start-up Minespider Bürgerkriege beenden, moderne Sklavenhaltung unrentabel machen, Urwälder und vom Aussterben bedrohte Tiere retten will, alles auf einmal.

Es klingt so ambitioniert, dass es fast anmaßend, vielleicht verrückt klingt. Aber Williams meint es ernst. Und seine Idee ist keinesfalls wirr. Nur sehr komplex.

Eines der großen Probleme unserer Zeit

Tatsächlich ist der Handel mit Mineralien und Metallen wie Coltan, Zinn und Gold eines der großen ungelösten Probleme unserer Zeit: Das Geschäft ist 600 Milliarden Dollar schwer. Doch stammt ein beträchtlicher Teil der Rohstoffe, ohne die Smartphones, Computer, Batterien, eben alles, was digital betrieben werden soll, nicht produziert werden könnte, immer noch aus unregulierten Kleinstminen, in denen Tagelöhner mit mittelalterlichen Werkzeugen Erze aus dem Fels schlagen. Wie im Drogenhandel wandern die Mineralien dann von Zwischenhändler zu Zwischenhändler.

So verschwinden die Erze aus dem problematischen Kleinabbau zwischen den in großen, zertifizierten Minen abgebauten Erzen, weil irgendwann niemand mehr nachvollziehen kann, wer was abgebaut, gereinigt, gekauft und weiterverkauft hat. Es ist ein Problem globaler Lieferketten. Wie sollte ein einzelner Start-up-Gründer aus Berlin das lösen? Bloß mit einer Technologie namens Blockchain, die zwar mal in aller Munde war, von der aber damals niemand so richtig sagen konnte, wofür sie letztlich genau gut sein könnte?

Die Mine "San Rafael" in Peru kooperiert mit Minespider.
Die Mine "San Rafael" in Peru kooperiert mit Minespider.

© Minespider Promo

Eine Blockchain, muss man dazu wissen, ist im Grunde eigentlich nicht viel mehr als eine Art durch komplexe Mathematik fälschungssicher strukturierte digitale Umlaufmappe, in der alle Einträge durch einen digitalen Stempel beglaubigt werden. In einer Blockchain können etwa, wie im Fall von Minespider, allerlei Nachweise, Zertifikate und Siegel von Menschenrechts-, Antikorruptions- und Umweltschutzverbänden gespeichert werden, aber auch die Daten von Zwischenhändlern, Schmelzhütten und Spediteuren.

Diese Daten - und das ist der eigentliche Kniff - sind nicht nur gesichert, es können zudem auch sämtliche Änderungen nachvollziehbar dokumentiert werden. Maximale Transparenz, maximale Kontrolle - und maximale Verantwortlichkeit. Niemand sollte mehr behaupten können, es gäbe keinen Weg, sicher nachzuvollziehen, aus welcher Mine welche Charge an Zinn oder Coltan käme.

Erst mal: Fragen stellen

An jenem Tag im Februar 2017 begann Nathan Williams mit etwas Offensichtlichem: Er kontaktierte alle im Zeitungsartikel erwähnten Personen. „Ich habe dann einfach alle Experten angeschrieben, die in diesem Artikel erwähnt wurden, und versuchte, so viel wie irgendwie möglich über die Zusammenhänge zu erfahren“ sagt Williams. „Fast alle haben ernsthaft und ausführlich geantwortet.“

Auch wenn er noch keine konkrete Strategie hatte, erzählte er allen, mit denen er sprach, von seiner Idee, das Problem mit einer Blockchain zu lösen. Er stellte Fragen, bis er selbst bessere Fragen stellen konnte und Schritt für Schritt einen Überblick über die wichtigen Akteure und die großen Knackpunkte hatte.

Bald hatte Williams nicht nur ein Adressbuch voller Kontakte und eine recht genaue Vorstellung, welche Regulierungen es gab und welche Faktoren zu berücksichtigen waren - sondern auch eine Einladung zum OECD-Forum zu Konfliktmineralien.

Williams hatte Business Administration in Kanada studiert, hatte den Dot-Com-Boom in Montreal erlebt, 2013 zog er mit seiner Freundin nach Berlin. Er organisierte für den Bundesverband Deutsche Startups eine Silicon-Valley-Studienreise, entwickelte er für einen Öl- und Gas-Produzenten eine Software, um Betrug in komplexen Finanzdaten aufzudecken. Und schließlich eine Software namens Subvise, mit der Firmen die sich ständig ändernden EU-Verordnungen zu Chemikalien, Arbeits- und Umweltschutz nachvollziehen konnten.

Blockchain als Lösung?

Williams hatte also eine Ahnung von Start-ups, von der Erdöl- und Chemiebranche und von komplizierten Datensets sowie die vage Vermutung, dass sich das Problem, dem er sich gerade näherte, eventuell mit einer Blockchain lösen lassen würde. Bloß: Wie genau eine Blockchain funktioniert, davon hatte er so viel Ahnung, wie man als interessierter Zeitungsleser 2017 eben hatte. Aber Williams hatte eine Idee.

„Ich habe überlegt, wie ich möglichst schnell mit möglichst vielen Blockchain-Experten ins Gespräch kommen kann, um die Details zu verstehen“ erzählt er und grinst. „Meine Idee war: Ich starte einen Podcast. Damit hatte ich einen perfekten Vorwand, alle Leute zu kontaktieren.“

181 Folgen von „Analysis in Chains“ hat Williams seit Juli 2017 aufgenommen. Aber das so generierte Wissen reichte ihm nicht. Denn er wollte nicht die Lösung präsentieren, sondern das Problem verstehen. „Viele Start-ups machen diesen Fehler: Sie haben eine Idee, was die Lösung sein könnte und arbeiten daran. Und merken erst spät, dass das Problem komplizierter ist, als sie dachten. Und dass die Lösung deswegen nicht zum Problem passt“, sagt Williams. „Das wollte ich unbedingt vermeiden.“

300.000 Euro Startkapital

Mit einem Startkapital von 300.000 Euro aus eigenen Ersparnissen, Kleininvestitionen aus seinem persönlichen Umfeld und staatlicher Anschubfinanzierung sowie mit IT- und Datenbankexperten, die er von seinen Projekten in der Öl- und Finanzindustrie kannte, machte er sich ans Werk: Fand heraus, welche glaubwürdigen Siegel Menschenrechts- und Umweltorganisationen vor Ort an Minen vergaben. Welche Abbaufelder in Weltregionen lagen, in denen sie keinen Coup und keinen Bürgerkrieg begünstigten.

Welche Minen bereits so arbeiteten, wie Williams und die großen Konzerne sich das vorstellten und was die Einhaltung der US- und EU-Regularien die Minen kostete. Welche Informationen in Lieferketten von global gehandelten Gütern üblicherweise weitergegeben werden - und welche Betriebsgeheimnis bleiben. Dann schrieb er ein Konzeptpapier: „Protocol for Due Diligence in the Raw Material Supply Chain“ - ein Protokoll zur Sorgfaltspflicht in Rohstofflieferketten.

Die Idee war im Grunde simpel: In einer Blockhain sollen alle verfügbaren Qualitätskriterien sowie Zwischenhändler so gespeichert werden, dass manche Informationen für alle, manche sensiblen Preisangaben aber nur für die Verkäufer und Käufer selbst sichtbar werden. Alles so, dass der Endkunde nachvollziehen kann, woher die Erze stammen, über welche Stationen sie gehandelt und wo sie weiterverarbeitet wurden. Eine fälschungssichere Umlaufmappe mit vertrauenswürdigen Stempeln. Abgerufen werden können die von Minespider gesammelten Informationen über einen etwa an den verschifften Zinn-Barren angebrachten QR-Code.

Das Problem wurde immer komplexer

In der Praxis war Williams Idee wahnsinnig kompliziert. „Der erste Schritt war, den Weg nachzuvollziehen: Welche Parteien gibt, es welche Daten können bei jedem Schritt gesammelt werden? Welche Daten wünschen sich die nachgelagerten Unternehmen und wie können wir sie an ein Zertifikat anhängen?“ sagt Williams.

Die Mine "San Rafael" in Peru
Die Mine "San Rafael" in Peru

© Minespider Promo

Je mehr er sich dem Problem näherte, desto komplexer wurde es. Es wäre, erzählt er, nicht schwer gewesen, Minen aus Konfliktregionen einfach grundsätzlich aus dem Markt auszuschließen - dann aber hätte man diejenigen Akteure vor Ort bestraft, die sich trotz widriger Umstände an die Regeln gehalten hatten, und den Markt den Ganoven überlassen.

„Eines der großen Probleme war, dass die Konfliktmineralien teurer wurden, wenn man die Regeln einhielt. Es gab also auf dem Weltmarkt einen Anreiz, illegale Erze zu kaufen. Wir wollten das Spielfeld fair gestalten. Den Mehraufwand derjenigen sichtbar machen, die keinen Wald niederbrennen, keine Menschen ausbeuten und keine Warlords finanzieren. Und alle vom Markt ausschließen, die das tun.“

Williams ackerte sich so tief in das Problem, sprach immer wieder mit Experten, Politikern und der Wirtschaft, bis er selbst ein veritabler Experte war. Im Sommer 2018 erarbeitete die Responsible Minerals Initiative, eine Industriegruppe mit 350 Unternehmen, eigene Richtlinien für eine Blockchain-Lösung für die Mineralindustrie - und zitierte darin Williams' Paper.

VW und Google kooperieren

Ein Etappensieg. Im November 2018 präsentierte Williams seine Idee schließlich bei einem „Hackathon for Supply Chain Transparency“, einer Art IT-Wettbewerb für neue Ideen, den Volkswagen gemeinsam mit dem Onlinemodehändler Zalando ins Leben gerufen hatte, um - im Falle von VW - bei deutlich mehr als 40.000 direkten Lieferanten die Kontrolle über die Herkunft der Rohstoffe zu wahren.

Ein erster Durchbruch: Seit April arbeitet Williams' kleines Start-up mit Volkswagen daran, die Lieferketten des Automobilherstellers transparent zu gestalten. Und trotzdem nur der Anfang: Gerade hat Williams Google als Kooperationspartner gewonnen - und die drittgrößte Zinnmine der Welt in Peru.

Schon bald könnte die Idee von vor drei Jahren Wirklichkeit werden. Könnte die Minespider-Blockchain dafür sorgen, dass alle verfügbaren Dokumente zu Menschenrechten und Umweltschutz als PDF an jede Mineralienlieferung angehängt werden müssen - und dass die Auto- und Computerhersteller sie nur noch kaufen, wenn Informationen und Lieferketten wirklich vertrauenswürdig sind.

Aber noch steht Nathan Williams in diesem kleinen Büro am ehemaligen Mauerstreifen und sagt: „Es ist schon seltsam. Es fühlt sich die ganze Zeit an, als würden wir nur immer neue Ideen ausprobieren und schauen, ob irgendetwas funktioniert“ sagt er.

„Und dann kommt dieser Moment, wenn man merkt: Ich probiere das nicht einfach nur. Ich mache das wirklich!“

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes wurden die Erze und Metalle Coltan, Zinn und Gold als "Seltene Erden" bezeichnet. Diese Bezeichnung ist unzutreffend und wurde von uns korrigiert.

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