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Außerhalb ihres Klosters Sant Benet de Montserrat bei Barcelona trägt Teresa Forcades i Vila keine Ordenstracht, um die Sphären zu trennen.

© Edu Bayer / Polaris / Studio X

Kommunistische Nonne: "Ich glaube nicht an einen Messias, der die Revolution für uns übernimmt"

Sie ist Nonne und Kommunistin, schreibt Bücher, hält Vorträge, betreibt sogar einen Youtube-Kanal. Wir haben mit Teresa Forcades i Vila über Reichtum, Revolution und das Leben im Kloster gesprochen.

Teresa Forcades i Vila, 1966 in Barcelona geboren, ist promovierte Medizinerin und Theologin. 2005 veröffentlichte sie das Buch »Verbrechen der Pharmaindustrie« und wurde als »rebellische Nonne« bekannt. Seitdem tritt sie im Fernsehen auf, spricht auf Demonstrationen, betreibt einen populären christlich-antikapitalistischen Youtube-Kanal. Mit ihrem »Procés Constituent«, der »Verfassungsgebenden Bewegung«, ist sie eine der lautesten katalanischen Separatistenführerinnen. Forcades i Vila lehrte mehrfach an der Humboldt Universität Berlin, zuletzt im Februar.

Frau Forcades, Sie sind Nonne und Kommunistin. Was sagt der Papst dazu?

Ich arbeite mit der Erlaubnis der Kirche, nicht zwangsläufig mit ihrem Wohlwollen.

Sie gelten als politisch aktivste Nonne der Welt. Sie schreiben Bücher, halten Vorträge, betreiben einen Youtube-Kanal. Zuletzt rügte Sie ein Kurienkardinal, Sie argumentierten gegen die katholische Doktrin. Wenn Sie vom Vatikan Ärger bekommen, wie fühlt sich das an?

Das Schlimmste war, als ich mich in einer Fernsehsendung für die Pille danach ausgesprochen habe. Ich erlebte zum ersten Mal die Beschimpfungen, in der Presse, im Internet. Sogar von Priestern. Sie schrieben, ich sei vom Teufel geschickt und solche Dinge. Ich fühlte mich sehr betroffen.

Und heute?

Habe ich mich daran gewöhnt. Von den Benediktinerinnen bekomme ich viel Unterstützung. Die Schwestern und mein Bischof stehen hinter mir. Um politisch zu arbeiten, brauche ich ihre Zustimmung. Im Moment kann ich besonders viel tun, weil ich vom Vatikan für drei Jahre eine so genannte Exklaustration bekommen habe. Ich muss ja das Kloster unter der Woche verlassen.

Wenn Sie jetzt gar nicht mehr so oft dort sind - warum sind Sie eigentlich ins Kloster gegangen?

Es fing in meinem Medizinstudium an. Ich war fasziniert von der Physiologie des Menschen. Die Organe, die Haut, die Muskeln, bis hin zur einzelnen Zelle. Und jeden Tag sah ich, wie diese Physiologie versagte. Man sieht als Arzt die nackte, ungeschönte Menschlichkeit. Jugendliche und Kinder sterben, während Alte jahrzehntelang in schwerer Krankheit leiden. Man fragt sich da schnell, was das soll.

Viele Ärzte werden durch diese Erfahrung zu Humanisten, manche auch zu Zynikern.

Das Leiden ist aber auch einer der Ursprünge religiöser Erfahrung. Und, in meinem Fall, auch der antikapitalistischen Haltung.

Wie das?

Ich habe als Ärztin in einem Krankenhaus in Buffalo, New York, gearbeitet. Jeden Tag sah ich, wie Kranke oder Verletzte durch die Eingangstür kamen und wieder weggeschickt wurden, weil sie keine Versicherung hatten. Ich ertrug das nicht. Also habe ich mich auf das Evangelium besonnen.

Um nach Antworten zu suchen?

Ja. Ich studierte dann Theologie. Und 1995 ging ich zurück nach Barcelona, um meine Abschlussprüfung in Medizin vorzubereiten. Ich suchte einen ruhigen Ort dafür, und eine Freundin sagte: Frag doch die Benediktinerinnen. Ich klopfte in ihrem Kloster an, und sie gaben mir ein Zimmer.

Da merkten Sie, dass Sie Nonne werden wollten?

Ich hatte vor, einen Monat zu bleiben. Ich hatte ja noch andere Pläne. Im Kloster aber spürte ich: Jesus ruft mich. Ich solle hier Schwester werden. Jeder Gläubige hat seine subjektive Erfahrung mit Gott. Ich erfuhr von ihm mit 15, mit 29 hat er mich gerufen, und nun teile ich die Erfahrung mit anderen.

Wie ist das Leben im Kloster?

Das benediktinische Motto ist ora et labora. Bei uns heißt das fünf Stunden Gebet ...

Teresa Forcades i Vila gilt als politisch aktivste Nonne der Welt. Sie lehrte mehrmals an der HU Berlin.
Teresa Forcades i Vila gilt als politisch aktivste Nonne der Welt. Sie lehrte mehrmals an der HU Berlin.

© Daniel Gebhardt de Koekkoek

Fünf Stunden!?

Zwei Stunden am Tag beten wir gemeinsam die Psalmen, die tägliche Messe dauert fast eine Stunde. Und das Privatgebet, das jede für sich organisiert, dauert weitere zwei Stunden. Meist lese ich die Texte für die Eucharistie, bis mich ein Wort anspringt. Sagen wir: Nachbar. Dann meditiere ich über dieses Wort. Manchmal kommt dann das, was wir Contemplatio nennen: ein innerer und äußerer Friede, ein Dialog mit Gott. Das Gefühl dauert nur eine halbe Minute, aber das reicht schon. Es ist überwältigend.

Was passiert dabei?

Es ist wie in einer Liebesbeziehung: der Moment, in dem man sich küsst. Wenn du von der Liebe geführt wirst, denkst du nicht. Wir wachsen über unsere Grenzen hinaus, verbinden uns mit dem anderen. Aus einer Umarmung kommt man verändert heraus. Aber es gibt einen Unterschied: Gott zeigt sich nicht jedes Mal. Manchmal ist Beten auch langweilig.

Und den Rest des Tages?

Sechs Stunden Arbeit sind auch vorgeschrieben. Die wichtigste Aufgabe bei uns ist die Keramik, Schilder mit Bibelsprüchen, Vasen und Teller für den Klosterladen. Ich bekam vom Töpfern Rückenschmerzen, also bat ich darum, davon befreit zu werden. Ich arbeite dafür an meinen Büchern, schreibe Artikel, dazu kommen meine monatlichen Seminare zu feministischen und philosophischen Themen. Jetzt sagen mir die Schwestern: Du sitzt dauernd am Computer, kriegst du davon keine Rückenschmerzen?

"Es gibt Dinge, die nicht theoretisch zu lösen sind"

Teresa Forcades i Vila will beides: Die Welt interpretieren – und sie verändern. Hier steht sie im Foyer der Humboldt-Universität zu Berlin.
Teresa Forcades i Vila will beides: Die Welt interpretieren – und sie verändern. Hier steht sie im Foyer der Humboldt-Universität zu Berlin.

© Daniel Gebhardt de Koekkoek

Wer kommt in Ihre Seminare?

Mediziner, Künstler, Atheisten, Christen. Manche hoch gebildet, manche nicht. Das, was alle vereint, ist, dass sie Suchende sind.

Einer Ihrer letzten Kurse hieß „Die Revolution, heute“. Geben Sie da Anleitungen zum Umsturz?

Naja, zumindest waren die Teilnehmer danach immer bereit, zum Parlament zu marschieren! Im Kurs selbst geht es um Texte, um Begriffe, wir lesen Marx und andere Denker. Aber die Leute haben das auf ihren Alltag angewendet. Und alle sind zu dem Schluss gekommen: Wir müssen etwas ändern.

Kein Wunder, dass die Kirche das kritisch sieht.

Nicht unbedingt. Der katalanisch-brasilianische Bischof Pedro Casaldáliga meint, es gibt nur zwei absolute Kräfte in der Welt: Gott und den Hunger. Andererseits spreche ich mit den Seminaren Menschen an, die die Kirche sonst nicht erreichen würde.

Sie selbst fordern die Abschaffung des Privateigentums.

Das nicht, aber mir ist klar, dass Gerechtigkeit nur möglich ist, wenn wir den absoluten Charakter des Privateigentums ablehnen. Niemand will das Staatseigentum wie in der Sowjetunion. Ich auch nicht. Alles, was ich brauche, um mich in der Welt auszudrücken, soll mir gehören und darf mir nicht weggenommen werden. Also mein Zuhause, meine Transportmittel, ob Auto, Fahrrad oder Pferd. Jeder braucht außerdem ein Stück Land, wo man sich auf einen Stuhl setzen und die Sonne genießen kann. Das ist menschlich. Das ist wichtig.

Und der Rest des Reichtums?

Es ist illegitim, wenn jemand so viel besitzt, dass ein anderer nichts mehr davon hat. Wasser, Bodenschätze, solche Dinge müssen kommunal sein. Man darf natürlich einen Brunnen besitzen. Aber nicht tausend Brunnen. Ich bin sehr glücklich, dass ich in dieser Sache nicht in Konflikt mit meiner Kirche bin. Basilius, Gregorius, Augustinus, alle haben gesagt: Wenn du mehr hast, als du brauchst, bist du ein Dieb.

Ist die Revolution etwas, an das man glauben muss?

Ich glaube nicht an einen Messias, der die Revolution für uns übernimmt. Weder in der Kirche noch in der Gesellschaft. Jeder von uns kann etwas tun. Alle Kämpfer, die ich kenne, sind mit einer Art von Spiritualität in den Kampf gezogen. Sie waren nicht unbedingt Christen, nicht unbedingt religiös. Aber sie glaubten an etwas Größeres.

Wie machen Sie Menschen Mut, die am Zustand der Welt verzweifeln?

Bei Dostojewski sagt der Großinquisitor zu Jesus: Ein einziges Kind, das vergebens um Hilfe ruft, reicht aus, um alles in Frage zu stellen. Ich verstehe, dass man verzweifeln kann. Oft habe ich erlebt, dass Menschen so sprechen. Dann setzen wir uns und schweigen zusammen.

Große Frage: Was tun?

Es gibt Dinge, die nicht theoretisch zu lösen sind. Es ist wie im Gebet oder in der Liebe. Wenn du es nicht versuchst, verstehst du es nicht. Wenn du zusammen mit anderen auf ein Ziel hinarbeitest, dann löst das etwas aus. Es verändert deine Wahrnehmung. Das war bei mir auch so.

Wie denn?

In meinem Elternhaus wurde oft über das Proletariat geredet. Aber wo waren diese Leute? Mit 15, als ich gerade das Evangelium entdeckt hatte, wurde ich Mitglied in einer Pfarrei im Hafenviertel von Barcelona. Dort gab es viele Arme. Wir haben eine Initiative gegen Armut und Obdachlosigkeit gegründet, die heute die größte der Stadt ist. Das bedeutete aber, auf die Straße zu gehen und an Menschen heranzutreten. Zu sagen: Hallo, ich heiße Teresa, wie heißen Sie?

Nun ist ja heute das größte Problem nicht die Armut im Hafenviertel, sondern ein europaweiter Ruck nach rechts. Hilft Annäherung auch bei Rassisten?

Wir müssen zumindest gemeinsame Grundlagen finden. Den Respekt wiederfinden für Leute, die sich irgendwo zugehörig fühlen wollen. Das wird oft missverstanden - und von Nationalisten missbraucht. Aber nicht alle Nationalisten sind fremdenfeindlich. Wir alle brauchen Identitäten. Was nicht heißt, dass wir andere Identitäten ablehnen müssen. Mit den Rechten teile ich die Idee, verwurzelt zu sein. Ich gehe da mit der Philosophin Simone Weil: Die Wurzel muss nicht homogen sein, sie saugt verschiedene Einflüsse auf, und was daraus gedeiht, ist immer mestizo, vermischt.

Rechte Bewegungen würden dem widersprechen und sagen: Es gibt eine homogene christlich-jüdische oder abendländische Kultur.

Ach, die gab es seit der Geburt des Christentums nie. In einem Dokument aus dem 6. Jahrhundert bekommt Benedikt die Frage gestellt: Was passiert, wenn ein Barbar ins Kloster eintreten will, ein Mensch aus einer anderen Kultur also, meist ein Germane? Die Antwort: Er soll eintreten. Jeder neue Bewohner legt seinen Namen ab, ob hebräisch, griechisch oder germanisch. Und so ist er auch kein Barbar mehr. Wir sind eine Gemeinschaft vieler, mit verschiedenen Herkünften, aber den gleichen Hoffnungen.

Wie unterschiedlich sind die Frauen in Ihrem Kloster denn?

Auch wir denken nicht alle gleich. Wir sind alle Christen - das war's. Ich bin Feministin, die meisten Schwestern nicht. Ich bin für die Unabhängigkeit Kataloniens, nicht alle meine Schwestern sind das. Es gibt Frauen, die aus sehr reichen Familien ins Kloster gekommen sind. Manche sind sehr arm. Es gibt 40-Jährige und ältere, sogar zwei 100-Jährige, es gibt politische und unpolitische.

Fehlt Ihnen heute, als öffentliche Person und als politische Aktivistin, nicht manchmal das, weshalb Sie eigentlich Nonne geworden sind: der Rückzug?

Ja, das ist wirklich ein Widerspruch. Aber ich bete immer mindestens zwei Stunden täglich. Im Sommer war ich in Kenia. Auf dem Rückflug bemerkte ich, dass rechts von mir ein junger Mann ein muslimisches Gebet in meine Richtung sprach. Es war eine arabische Airline, es wurde angezeigt, in welche Richtung Mekka liegt. Links von mir saß eine Protestantin, mit der Bibel in der Hand. Also nahm ich auch meine Bibel, und wir hatten einen spontanen ökumenischen Gottesdienst.

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