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Startup-Millionär: "Jetzt kannst du mir ja mal sagen, was ich mit meinem Leben anfangen soll"

Flix ist Mitte dreißig, er hat ein Startup aufgebaut und ist ausgestiegen - als reicher Mann. Jetzt findet er es überraschend schwer, nur noch machen zu müssen, was er will. Eine Geschichte von sehr viel Geld und zu viel Freiheit.

Wir treffen uns im Nieselregen und drehen Runde um Runde um den Teich im Park vor seiner Tür. Er hat den Kinderwagen dabei, ich zwei Bier. Wir stoßen an. Er sagt: Jo, und jetzt kannst du mir ja mal sagen, was ich mit meinem Leben anfangen soll.

Kannst ja endlich Bundeskanzler werden, sage ich. Weil das schon immer meine Idee für ihn war. Er hat eine echt seltene Mischung von Eigenschaften: Er ist uneitel und selbstbewusst. Er trägt gern Verantwortung, trifft gern Entscheidungen, aber muss nicht im Mittelpunkt stehen. Herausforderungen nimmt er spielerisch. Er hat immer Lust aufs nächste Level.

Also jetzt?

Er zuckt die Schultern. Keine Ahnung.

Wir latschen um den Teich, Runde um Runde, bis die Biere alle sind und wir klitschnass. Und ich kapiere erst nach und nach: Flix ist echt auf der Suche. Wie vielleicht noch nie in seinem Leben. Er wird ziemlich sicher nie wieder in seinem Leben finanzielle Sorgen haben - und genau das macht alles so schwierig.

Wir schütteln uns und treffen eine Abmachung: Nächsten Monat fahren wir zusammen in Urlaub, irgendwohin, wo es nicht regnet, Mallorca vielleicht. Feiern seinen Geburtstag und nehmen uns Zeit, um über seine Situation zusammen nachzudenken.

Flix und Finn. Finn und Flix. Zwei Männer, die sich schon kannten, als sie noch Jungs waren. Sie haben dabei zugeguckt, wie der andere einen Bart bekam, sind gemeinsam an Dreadlocks und der Liebe verzweifelt. Und immer schon hatten sie Ideen: Mit fünfzehn planten sie einen Kiosk im Carport von Flix‘ Eltern, mit sechzehn kauften sie sich einen CD-Brenner, als die Dinger noch unerschwinglich waren, und verdienten sich damit sechs Wochen Sommerurlaub mit Dosenbier zu viert im Dreimannzelt. Mit dreißig kauften sie zusammen ein Haus und ließen alle wichtigen Freunde einziehen.

Flix heißt nicht wirklich Flix, aber der Name passt eigentlich fast besser zu ihm als der, den seine Eltern ihm gegeben haben.

Der eine mischt sich ein beim anderen, seit die beiden sich kennen. Sie sind Freunde. Sie waren das erste Mal zusammen im Internet, da war es nur ein halber Scherz, wenn man sagte: Dieses Internetz, schon mal gehört? Nach zehn Minuten und einem gescheiterten Versuch zu chatten, beschlossen sie, dass das Internet nichts taugt. Finn schrieb seinen ersten Roman, während Flix im gleichen Zimmer für fünf Mark die Computer aller Eltern und Nachbarn reparierte. Ein halbes Jahr später beschloss Flix zusammen mit einem Schulfreund, dass das Internet doch etwas taugt, und die beiden gründeten ein Startup, auch wenn das damals noch nicht so hieß.

"Ich wollte einfach immer, dass was passiert. Das ist so geblieben, auch wenn die Dimensionen sich verändert haben. Ich will was machen, am besten zusammen mit anderen. Was aufbauen, beim Wachsen zusehen, zusammen den Erfolg genießen. Dabei ist Geld an sich nicht die Motivation, sondern nur das Messinstrument für den Erfolg. Ein Mittel, mit dem man das, was man macht, nach vorne bringen kann. Geld war für mich nie was, was gespart werden sollte. Kein Geld zu verdienen, war nur deswegen keine Option, weil man Geld braucht, um was zu machen. Das ist doch das Coole an Geld: dass es einem Möglichkeiten gibt."

Es war logisch, dass Flix eine Firma gründet. Schon mit zwölf hat er semiprofessionell mit Überraschungseierfiguren gehandelt. Im Familienurlaub in Dänemark hat er im Supermarkt so ein Angebot entdeckt: Ü-Eier im Dreierpack für umgerechnet drei Mark, Besonderheit: In jedem Dreierpack war mindestens eine Figur. Flix wusste, dass er die Figuren auf dem Flohmarkt für fünf Mark loswird, damals hat so ziemlich jeder die blöden Dinger gesammelt. Also hat er seine Eltern überredet, ihm zweihundert Mark zu leihen. Die fanden es zwar bescheuert, aber Flix konnte schon damals sehr überzeugend sein. Er hat alle Supermärkte abgeklappert und auf dem nächsten Flohmarkt die zweihundert Piepen knapp verdreifacht. Ich glaube wirklich: Für ihn war das ein Spiel. Die Kohle war zweitrangig.

Hier könnte man eine coole Erfolgsgeschichte aus dem westeuropäischen Startup-Kapitalismus des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts erzählen. Aber so wie Flix nicht Flix heißt und es darum auch nicht geht, können an dieser Stelle leider auch keine Details über dieses Startup stehen. Es ist aber auch nicht wichtig. Wesentlich ist: Flix hat ein Unternehmen gegründet, das Unternehmen ist durch die Decke gegangen und heute, keine zwanzig Jahre später, ist dieses Unternehmen Schätzungen zufolge mehr wert, als mehrere Generationen von Finns und Flix‘ Familie zusammengenommen jemals verdient haben.

Man muss sich das mal vorstellen: Flix hat diese Firma gegründet und aufgebaut, sie sich komplett ausgedacht. Ziemlich genau sein halbes Leben lang, ziemlich genau sein komplettes Erwachsenendasein hat er sich ungefähr jeden Tag damit beschäftigt, hat es ihn gefordert, angetrieben, sind seine Gedanken um diese Firma gekreist. Er hat Teams aufgebaut, Kommunikationsstrukturen geschaffen, eine Firmenphilosophie und das Produkt entwickelt. Ich war oft zu Besuch in der Firma, jedes Mal war sie größer und schöner. Diese Büro-Etagen sind herrlich. Es gibt eine Kantine, es gibt Kaffee-Ecken, Rückzugsräume, Duschen, eine Dachterrasse, Betten für den Mittagsschlaf, es sind überall Hunde unterwegs, die Leute lachen und sind freundlich und manchmal beschießen sie sich mit Schaumstoffpistolen. Und dann ist das alles, sein Ding, sein Baby, von einem Tag auf den anderen nicht mehr der Mittelpunkt seines Lebens. Ich stelle mir das vor wie das Ende einer ewig langen Beziehung, wie den Verlust des Glaubens. Das hinkt, ich weiß, aber: Flix hat sein halbes Leben lang immer eine übergeordnete Aufgabe gehabt. Und dann, von jetzt auf gleich, frei.

"Vielleicht denken Leute, meine jetzige Situation wäre perfekt: Mitte dreißig, erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, ausgestiegen, ausgesorgt. Aber das Ziel war nie, zu arbeiten, um nie wieder arbeiten zu müssen. Meine beiden Partner und ich haben uns den Arsch aufgerissen für unsere Idee, im Grunde seit ich 15 bin. Aber ich hatte eine super Zeit, hat tierisch Spaß gemacht. Dass so viel Geld dabei rumgekommen ist, ist einfach Glück. Wir haben zur richtigen Zeit am richtigen Ort das Richtige gemacht. Das Wunder ist ausnahmsweise mal passiert. Aber ich bin nicht am Ziel. Weil das nie mein Ziel war. Jetzt steh ich wirklich vor der Frage, was ich mit meinem Leben anfangen will."

Ein paar Wochen später, zwischen Nieselregenrunde um den Teich und dem Urlaub auf Mallorca, treffen wir uns auf einem Spielplatz und ich frage, wie es geht. Flix sagt, er geht sich selber auf den Sack. Er hat so wenig zu tun, dass er sich über Sachen aufregt, die ihm früher scheißegal waren. Irgendwer hat ihm den Spiegel abgefahren in der Nacht. Vor einem halben Jahr hätte er gar keine Zeit dafür gehabt, sich irgendwelche Gedanken dazu zu machen. Er hätte den Wagen bei der Werkstatt abgestellt und nach der Arbeit wieder abgeholt. Jetzt, sagt er und klopft sich auf die Schläfe, denk ich da immer noch dran und jedem, der mich fragt, wie's mir geht, erzähl ich von dem Scheiß. Ich brauch mal was in den Kopf.

Und genau das meine ich. Wenn das Leben plötzlich kleiner wird. Flix ist knapp zwanzig Jahre lang super hochtourig gelaufen, er hat eine Menge Energie, er hat Kapazitäten, davon träumen die meisten. Und jetzt? Wohin damit? Wenn er nichts zu tun hat, wenn er sich selbst nichts zu tun gibt, dann beschäftigt sich sein Hirn mit Kleinscheiß. Und das nervt ihn. Er hat eine Krise. Eine kleine. Einfach, weil Flix kein Typ für große Krisen ist.

"Einfach mal überhaupt keine Verantwortung mehr zu haben, fand ich schon 'ne geile Vorstellung. Dass es mal niemanden interessiert, ob ich bis mittags im Bett bleibe, danach 17 Spiele durchzocke, aufhöre, mich zu rasieren, und mich mit Dosenbier volllaufen lasse. Ging leider nicht, hab ja Familie. Betrunken in die Kita war keine Option. So hab ich dann eben viel Zeit mit meiner kleinen Tochter verbracht. Auch ein Luxus: wenn der Kita-Winter mit den dauernden Erkältungen keinen Stress bedeutet."

Direkt nach dem Abi haben wir zusammen in einer WG gewohnt und Flix brachte jeden Abend neue Worte aus dem Büro an unseren Küchentisch: Controlling, CEO, board meeting. Er sprach von Investoren und Softskills und synchronisierte seine Kalender. Da draußen war er ein Chef, traf Entscheidungen, stellte Menschen ein, die doppelt so alt waren wie er, manchmal musste er sogar welche entlassen.

Mit fünfundzwanzig war ich Student in Hannover und mein bester Freund unterschrieb Mietverträge über 10.000 Quadratmeter Bürofläche. Investoren stiegen ein, schalteten Fernsehwerbung. Ich hatte damals Angst, was das mit ihm macht. Mit uns. Dass dieser Reichtum, diese fremde Businesswelt ihm irgendwie den Kopf verdrehen könnten. Dass er ein neureicher Schnösel werden könnte. Koks und Casino, würde Flix sagen.

"Im Grunde mache ich mir nichts aus Geld. Und Leute, die mich hofieren, weil ich scheißviel davon habe, interessieren mich nicht, deswegen interessieren solche Leute sich auch nicht für mich. Leute, die sich mit Leuten schmücken wollen, ziehen Leute an, die sich mit Leuten schmücken wollen. Das ist so eine Art Deal, den man dann eingeht, glaube ich.Natürlich ist es nicht angemessen, wie viel Geld ich habe. Nur sind die Summen in diesem System gar nicht mal übertrieben. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht und ich fühle mich auch nicht zu Dank verpflichtet, weil ich so viel habe."

Geld ist ein Magnet für Geld. Für alle, die kein Geld haben, bedeutet das, dass ihr kleiner Anteil am Gesamtvermögen immer kleiner wird. Das Vermögen der Millionäre auf der Welt hat sich seit 1996 vervierfacht. Seit 2016 besitzt das eine reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte des Gesamtwohlstandes. Auch in Deutschland ist die Zahl der Millionäre im vergangenen Jahr überdurchschnittlich stark gewachsen, um gut eine Million. Flix ist einer von ihnen. Zumindest faktisch. Wahrscheinlich ist er nicht der typische Superreiche, aber er gibt uns die Chance, ihn kennenzulernen und einen Blick in diese kaum erforschte, fast unsichtbare Gruppe der Reichen in Deutschland zu werfen.

"Koks und Casino? Keine Option."

"Man gewöhnt sich daran, freizuhaben. Urlaub ist nichts Besonderes mehr. Besseres Wetter, ja, aber ansonsten ist es mir fast egal, ob ich in Portugal oder in Deutschland sitze. Ich muss mich richtig daran erinnern zu genießen.Ich schlafe schlecht, wenn ich nichts geschafft hab. Das ist tief drin, dieses Gefühl. Deshalb nehme ich mir immer was vor, Joggen gehen, Wand streichen, Firma gründen, egal. Reich sein an sich ist nicht schwierig. Du darfst dich nicht stressen lassen. Klar widerspricht es dem Konzept von Geld, dass es einfach auf dem Konto liegt, aber inzwischen kriege ich das ganz gut hin. Hab ich's halt. Ist doch super. Wenn du denkst, Geld muss arbeiten, kannst du es zu einem Vollzeitjob machen, es zu verwalten. Ich hab keine Angst, dass irgendwann alles weg ist. Ich bau ja keinen Scheiß damit. Koks und Casino? Keine Option."

"Mir ist es wichtig, dass ich nicht verschwenderisch werde. Ich will nicht Geld ausgeben, bloß weil ich kann. Ich hab was gegen das Übertreiben. Gegen Luxus. Aber es ist schwierig zu sagen, wo Luxus anfängt, wo ein Bedürfnis aufhört. Definier mal deinen Bedarf, Alter! Man wird gut darin, sich in die Tasche zu lügen, warum man dies und das noch braucht. Ich hab 'ne riesige Wohnung gekauft. Ich hab ein noch riesigeres Ferienhaus gekauft. Brauch ich das? Nö. Ist es geil? Klar. Macht mich trotzdem fertig, dass eins von beiden immer leer steht."

"Ich will keine goldenen Wasserhähne oder drei Leute, die mir die Tür aufhalten. Ich brauche keinen Namen, der auf irgendwas draufgedruckt ist, deswegen würde ich mir auch nie ein Sofa von Prada kaufen, auch wenn ich es mir leisten könnte. Wenn es darum geht, anderen zu zeigen, was man sich leisten kann, hört es bei mir auf. Und trotzdem bin ich froh, dass ich immer offener damit umgehen kann, dass wir Geld haben. Nicht schamlos, aber ich versuche eben auch nicht, es zu verstecken. Wenn ich mich wirklich dafür schämen würde, dass ich einen riesigen Hof als Ferienhaus gekauft habe, dann hätte ich es nicht tun dürfen."

Der Hof ist riesig. Er kostet dreimal mehr, als mein Vater in fünfzig Berufsjahren verdient hat. Flix musste einen Hausmeister anstellen, der diesen Hof in Schuss hält. Ist das übertrieben? So was von. Aber Flix hat sich ein System ausgedacht, damit die Übertreibung in die Hosentasche passt: Alle Freunde machen mit, jeder kann ein Zimmer haben. Der Deal ist, dass man dafür ein paar Tage im Jahr mithilft: Rasen mähen, Wände streichen, Holz hacken. Er will, dass der Hof lebt und genutzt wird. Er übertreibt, aber nicht für sich, niemals blingbling.

"Mein Umgang mit Geld hat sich nicht grundsätzlich geändert. Ich guck noch immer nach den billigsten Flügen, obwohl ich nicht müsste. Krass ist aber natürlich, dass Geld im Alltag eigentlich kein Thema mehr ist. Dass ich nicht mehr darüber nachdenken muss, ob ich mir was leisten kann. Ansonsten macht mehr Geld ab einem gewissen Punkt gar keinen so großen Unterschied. Ich kann mir mehr leisten als früher, das schon, aber ich wollte sowieso noch nie was haben, was außerhalb meiner Reichweite liegt. Ich kann mir nicht einfach so eine Yacht kaufen, interessiert mich aber auch nicht. Und wenn man nur das haben will, was in der eigenen Reichweite liegt, dann erlebt man keinen Mangel."

Schuhe kaufen für Flix' kleine Tochter. Er verzieht das Gesicht, er hasst Shopping. Immer schon. Er hat schon mit sechzehn so eingekauft: Hat er eine gute Hose gefunden, kauft er gleich drei davon, dann hat man Ruhe für die nächsten Jahre. Erst neulich hat er sich vier Paar derselben Turnschuhe gekauft.

Mit seiner Tochter im Kinderschuhladen um die Ecke: Die Verkäuferin lächelt gequält und gibt zu verstehen, dass die jetzigen Schuhe schon eine ganze Weile mindestens eine Nummer zu klein seien. Flix zuckt entschuldigend die Schultern und freut sich, dass die neuen Schuhe um siebzig Prozent reduziert sind, weil die Farbe aus irgendeinem Grund nicht ging. Ihm total egal: "Sind doch super Schuhe".

"Klar will ich nicht, dass meine Kinder Arschlöcher werden. Wie kriegt man sein Kind normal, wenn man reich ist? Keine Ahnung. Wenn nicht so viel Geld da ist, gibt es eine natürliche Grenze. Wenn diese Grenze wegfällt, ist es schwieriger, seinem Kind beizubringen, dass man nicht immer alles haben kann, was man will. Aber in eine kleinere Wohnung ziehen, schlechter essen gehen, weniger Urlaub machen, damit die Kinder keine verzogenen Mistkröten werden? Nö. Ja, wir haben scheißviel Geld, aber auch in dieser Situation kann man ein cooler Typ werden. Der Antrieb, etwas Eigenes zu schaffen, fällt nicht automatisch weg, wenn genug Geld da ist. Solange sie die Motivation haben, sich von ihren Eltern zu lösen, regelt sich alles andere von alleine. Zur Not muss man eben die Brechstange ansetzen und sie rausschmeißen. Kannst kommen, wenn du Hunger hast, kriegst was zu fressen, aber ansonsten: Sieh zu, wie du klarkommst. Dann lernen die das schon."

"Natürlich löst es etwas aus, wenn ich auf Menschen treffe, die gerade so überleben. Das fühlt sich nicht gut an. Aber das war vorher auch schon so. Der Unterschied ist extremer geworden, aber die Ungleichheit war vorher auch schon groß. Es war vorher schon ungerecht. Die Dimension ist eine andere, aber die Probleme sind die gleichen. Geld allein macht nicht glücklich und kein Geld macht nicht automatisch unglücklich. Aber damit will ich Ungleichheit nicht rechtfertigen."

In Deutschland haben die Reichsten der Reichen einen besonders großes Stück vom Kuchen. In China und den USA, den einzigen Ländern weltweit, in denen mehr Millionäre leben als in Deutschland, liegt deren Anteil am Gesamtvermögen bei 7,3 und 12,5 Prozent. Die deutschen Multimillionäre besitzen über 22 Prozent des Vermögens, mehr als ein Fünftel. Damit geht die Schere in Deutschland besonders weit auseinander.

Klar frag ich mich manchmal: Alter, Flix! Musst du jetzt echt business class nach Japan fliegen? Kannst du nicht wenigstens den gleichen Flug economy machen und die Differenz spenden? Damit kannst du soundsovielen Kindern Schulbildung ermöglichen oder wasweißich für Gesundheitspakete für x Leute schnüren. Das Ding ist aber: Das könnte ich selbst natürlich auch machen. Könnten wir alle hier in Europa. Du könntest immer sagen: Nee, das gönn ich mir nicht, da nehm ich jetzt das Beschwerlichere auf mich - und das, was ich dadurch spare, setze ich konkret ein, um die Welt ein bisschen zu heilen, um einen Ausgleich zu schaffen. Das hab ich ein Stück weit gelernt vom Flix-Betrachten. Es ist verflucht gut sichtbar bei ihm, bei seinen Dimensionen, aber es entbindet mich nicht davon, mich an die eigene Nase zu fassen.

Flix ist, dem wenigen zufolge, was man über Millionäre in Deutschland weiß, in vielem Durchschnitt. Männlich, risikofreudig, überdurchschnittlich zufrieden mit seinem Leben, mit Vermögen aus selbständiger Arbeit. Und hier endet seine Durchschnittlichkeit. Denn Flix ist nicht mehr erwerbstätig und etwa 24 Jahre zu jung. Zu jung für die Rente.

"Mein Grundthema ist: was in die Welt setzen. Könnte schon sein, dass ich noch mal eine Firma gründe, aber ich muss mir nichts mehr beweisen. Und kein Geld damit verdienen. Und klar gibt es da noch Herausforderungen. Aber ich will nicht sofort wieder was gründen, was machen, was ich schon kann. Das Bedürfnis, die Welt zu retten, habe ich nicht. Wahrscheinlich weil ich weiß, dass ich das eh nicht kann. Trotzdem fühle ich den Druck, mit meiner privilegierten Situation etwas Sinnvolles anzufangen. Leider weiß ich noch nicht mal, was genau 'sinnvoll' für mich bedeutet. Ich will nicht mehr vom Gleichen, ich brauche etwas anderes und ich weiß noch immer nicht, was das ist. In gewisser Weise hat mich die Arbeit bisher davon abgehalten, wirklich über diese Frage nachzudenken."

Da steht er also, mein bester Freund, noch immer unverbogen. Vom big business, vom Chefsein, von viel, viel Geld. Übertreiben und Sich-Gönnen im Blick behalten, keinen Scheiß bauen, verantwortungsvoll mit der Kohle umgehen, nicht langsam und schleichend verschnöseln, es sich nicht immer einfacher und angenehmer zu machen, nicht irgendwann doch die goldenen Wasserhähne ganz geil zu finden oder economy class eine Zumutung, das sind die Aufgaben, die bleiben. Und dann ist da die große persönliche Herausforderung, vor der er steht. Ich finde es bemerkenswert, wie er da steht und auch dieser Herausforderung mitten in die Visage blickt. Gelassen und frei von Angst. Nicht, dass es ihn nicht auch mal unruhig macht und er sich nicht morgen doch eine Beschäftigung suchen könnte, die ihn erlöst. Aber jetzt, hier im Urlaub auf der Dachterrasse mit Meerblick, steht er da und will wirklich wissen, worum es im Leben geht.

Das können wir uns immer alle und zu jedem Zeitpunkt fragen. Du fragst es dich vielleicht, wenn du einem schlimmen Unfall gerade entkommen bist oder bei deinem besten Freund Krebs diagnostiziert wurde. Oder eben aus der Luxussituation heraus, wenn du überraschend geerbt hast. Flix ist so frei, wie man nur frei sein kann, mal abgesehen davon, dass er bald zwei Kinder hat. Flix ist so frei, dass die Freiheit fast ins Gegenteil umschlägt. So frei, dass er machen muss, was er will. Und das bedeutet, dass er wollen muss. Wissen muss, was er wirklich will. Und das ist gar nicht so einfach.

Flix ist ein Level aufgestiegen, irgendwie ist das Spiel jetzt zu Ende. Und natürlich könnte er einfach das nächste anfangen. Könnte sich eine Burg in Italien kaufen, davon hat er schon als Fünfzehnjähriger geredet. Er könnte ein Dorf in Portugal kaufen und eine Aussteigerkolonie nach seinen Vorstellungen aufziehen. Er könnte eine Stiftung gründen, die Waldgebiete aufkauft und schützt, schlage ich ihm vor, oder Geflüchteten helfen. Er könnte eine Firma gründen, die eine Lösung für das Problem von zu viel Plastik in der Welt sucht. Darüber hat er wirklich schon nachgedacht. Eigentlich will er den Mars besiedeln und das ist kein Scheiß, das ist so die Liga, in der er denkt. Wie gesagt: Flix kennt eigentlich keine Krisen. Auch wenn er sich grad viele Fragen stellt - er kann über das alles auch lachen, er nimmt sich immer noch nicht zu wichtig. Die Kohle nicht und auch nicht die Verantwortung. Das ist sein bester Trick, glaube ich und auch ein bisschen schade. Bundeskanzler wird man so nicht. Ich würde ihn so gerne wählen.

***

Das Schriftstellerpaar Dita Zipfel und Finn-Ole Heinrich lebt in Südfrankreich und Norddeutschland. Zuletzt erschien von ihnen das Kinderbuch "Trecker kommt mit" im Mairisch Verlag. Zipfel hat sich zu einer Art Fachfrau für deutsche Millionäre entwickelt, als sie mehrere Sommer lang in einer Strandbar auf Sylt gearbeitet hat. Heinrich kennt sich mit Geld nicht besonders aus. Aber weil er als Kind das Gefühl hatte, seine Eltern hätten zu wenig, kriegt er noch heute einen verspannten Nacken beim Ausgeben größerer Summen.

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Dita Zipfel, Finn-Ole Heinrich

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