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So sieht es im Grünen Band bei Duderstadt aus.

© Sielmann-Stiftung

Grüne Band: Vom Todesstreifen zur Lebenslinie

Das Grüne Band in Deutschland und entlang des Eisernen Vorhangs in ganz Europa ist ein einzigartiges Rückzugsgebiet für die Natur geworden.

Ein Gutes hat sogar die innerdeutsche Grenze gehabt: Der ehemalige Todesstreifen zwischen den beiden deutschen Staaten hat sich durch die Zwangsberuhigung zu einem Rückzugsraum für viele Tier- und Pflanzenarten entwickelt, zu einer Lebenslinie für rund 600 gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Seit nunmehr 21 Jahren verbindet das Grüne Band, entlang dessen sich 150 Naturschutzgebiete wie eine Perlenkette aneinanderreihen, 17 Naturräume und 109 verschiedene Lebensraumtypen miteinander.

Das Grüne Band hat eine Länge von 1393 Kilometern und ist zwischen 50 und 200 Metern breit, insgesamt sind es 17 671 Hektar Fläche entlang der früheren innerdeutschen Grenze. Es erstreckt sich von der Ostsee über Elbe, Harz, Rhön, Thüringer- und Frankenwald bis ins sächsisch-bayerische Vogtland. Rund 85 Prozent des Gebiets sind noch intakt, knapp 30 Prozent der Fläche stehen unter Naturschutz, weitere 38 Prozent der Fläche sind als Flora-Fauna-Habitat-Gebiete gemeldet. Das bedeutet, sie wurden der Kommission der Europäischen Union von den Bundesländern als bedeutende Regionen für das Vorkommen seltener Tier- und Pflanzenarten gemeldet. Doch der Rest ist bereits verloren, an Autobahnen, Straßen und eine ICE-Strecke der Bahn, die das Grüne Band direkt durchschneiden oder an die intensive Landwirtschaft, die der Natur mit ihrem Dünger- und Pestizideinsatz in Verbindung mit einer regelrechten Ausräumung der Landschaft auch überall sonst in Deutschland zusetzt.

Dass es das Grüne Band überhaupt gibt, ist vor allem einem engagierten Artenschützer aus Bayern zu verdanken. Kai Frobel, der für den Bund Naturschutz in Bayern arbeitet, hat schon in den Jahren 1979 und 1980 eine erste Kartierung des Grenzstreifens in Angriff genommen. Unter der Überschrift „Letzter Zufluchtsort: der Todesstreifen?“ stellte er seine Erkenntnisse in der Zeitschrift „Vogelschutz“ vor. Frobel war schon Ende der 70er Jahre aufgefallen, dass entlang der innerdeutschen Grenze Vögel anzutreffen waren, die es anderswo kaum noch oder gar nicht mehr zu sehen und zu hören gab. Er nahm lange vor dem Mauerfall Kontakt zu Naturschützern in der DDR auf.

Kurz vor dem Fall der Mauer griff der Naturfilmer Heinz Sielmann das Thema auf. 1988 drehte er seine Dokumentation „Tiere im Schatten der Grenze“. Damit wurde das Thema, dass die unmenschliche Mauer zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu einer Art Naturparadies geworden war, zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Kurz nach dem Fall der Mauer machte sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ans Werk, das Gebiet zu erhalten. Die Naturschützer vom Bund Naturschutz, dem bayerischen Landesverband des BUND, luden für den 9. Dezember 1989 nach Hof ein, um über das Grüne Band, das damals noch nicht so hieß, zu sprechen. Kai Frobel und seine Mitstreiter hatten mit vielleicht 30 Naturschützern gerechnet. „Tatsächlich kamen 400“, berichtet Frobel noch heute ziemlich beeindruckt. Die Resolution dieser 400 Naturschützer aus Ost und West war die Basis für das Grüne Band.

Heute ist Kai Frobel Projektleiter Grünes Band beim BUND. Zur 20-Jahr-Feier sagte er 2009: „Das Grüne Band, als Tafelsilber der deutschen Einheit gefeiert, ist nicht nur das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt, es ist ein lebendiges Denkmal der jüngeren deutschen Zeitgeschichte.“ Dieses gemeinsame Naturerbe habe „historische Dimension“ und müsse „für kommende Generationen erhalten werden“. Der BUND hat mehr als 410 Hektar Flächen am Grünen Band gekauft, damit dort die wertvollen Biotope dauerhaft gesichert werden. Seit dem Jahr 2000 bietet der BUND für diesen Zweck einen „Grünes-Band-Anteilsschein“ an. Für 65 Euro bekommen Spender einen symbolischen Anteilsschein ausgestellt und haben fortan etwas mit dem früheren sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gemeinsam, der am 19. Juni 2002 bei der Einweihungsfeier des „West-Östlichen Tors“ dabei war und dort seinen Anteilsschein strahlend in die Höhe hielt. Das West-Östliche Tor ist ein Kunstprojekt im Eichsfeld, wo die Bundesländer Thüringen, Niedersachsen und Hessen zusammenstoßen. In der Nähe der Stadt Duderstadt hat der BUND federführend das erste Kunstprojekt entlang des Grünen Bandes initiiert. Das Tor, bestehend aus zwei hohen Eichenstämmen, die von jungen Eichen umgeben sind, steht auf einem Hügel und ist weithin sichtbar. Zur Einweihung kam nicht nur Gorbatschow, auch der damalige Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) war mit dabei. Das Gebiet rund um das Eichsfeld ist das wichtigste Projektgebiet der Heinz-Sielmann- Stiftung entlang des Grünen Bandes.

Seit einem guten Jahr wird das Naturschutzgroßprojekt „Grünes Band Eichsfeld-Werratal“ vom Bundesumweltministerium über das Bundesamt für Naturschutz (BfN), sowie drei Bundesländer gefördert. Die Sielmann-Stiftung trägt als Projektträger 90 000 Euro der Kosten für die drei ersten Projektjahre. Der Bund steuert 758 000 Euro bei, die drei Bundesländer Thüringen, Hessen und Niedersachsen bringen 162 000 Euro auf. Weitere 9,8 Millionen Euro sollen später in die weitere Entwicklung des Gebiets fließen. Die Chefin des BfN, Beate Jessel, betont vor allem die herausragende Bedeutung des Gebiets zwischen Harz, Hainich und Hessischem Bergland für den Schutz der Wildkatze und des Luchses. Das Projektgebiet umfasst immerhin 130 Kilometer und 31 000 Hektar entlang des Grünen Bandes. Das BfN hat seit den frühen 90er Jahren drei große Naturschutzprojekte entlang des Grünen Bandes gefördert: die Schaalsee-Landschaft, die Lenzener Elbtalaue sowie den Sachsen-Anhaltinischen und den Niedersächsischen Drömling. Zudem hat das BfN gleich nach der Wende eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme des Grünen Bands mitfinanziert. Inzwischen spielt das Amt auch bei der Umsetzung des Europäischen Grünen Bandes (European Green Belt) von der Barentsee bis zum Schwarzen Meer eine wichtige Rolle. Denn entlang des gesamten ehemaligen Eisernen Vorhangs haben sich Naturräume erhalten, die es anderswo in Europa kaum noch zu besichtigen gibt.

Obwohl die Idee des Grünen Bandes unmittelbar einleuchtet, war seine Umsetzung kein Selbstläufer – und steht auch weiterhin vor großen Schwierigkeiten. 1996 hat der Bundestag mit dem Mauergrundstücksgesetz beschlossen, Mauer- und Grenzgrundstücke ehemaligen Eigentümern zum Rückkauf anzubieten. Der Bund gab die Flächen zu 25 Prozent des Verkaufswertes an die ehemaligen Eigentümer ab, wenn der Bund die Grundstücke nicht für eigene öffentliche Zwecke verwenden wollte. Alle anderen Flächen sollten auf dem freien Grundstücksmarkt verkauft werden. Der BUND und andere Initiatoren des Grünen Bands waren alarmiert. Recht schnell reagierte das Land Sachsen auf das Gesetz und stellte den sächsischen Teil des Grünen Bandes schon 1996 unter Schutz. Allerdings hat Sachsen bis heute das Angebot des Bundes, die Flächen des Grünen Bandes kostenlos zu übernehmen, noch nicht angenommen. Denn zwar kosten die Flächen nichts, doch die Länder müssen teilweise Personalkosten für die Pflege der Gebiete übernehmen.

Denn die Auflage ist, dass der Naturschutzwert der Gebiete erhalten werden muss. Die kostenlose Übertragung hat der damalige Umweltminister Trittin schon 2003 angekündigt, im gleichen Jahr im Herbst haben alle betroffenen Länder, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Brandenburg sich grundsätzlich bereit erklärt, dieses Angebot anzunehmen, während Mecklenburg-Vorpommern sich eine abschließende Entscheidung noch vorbehielt.

Es sollte noch Jahre dauern, bis die ersten Flächen tatsächlich übertragen wurden: Am 9. November 2008 übernahm Thüringen die Bundesflächen. Der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und der damalige Ministerpräsident Thüringens, Dieter Althaus (CDU) unterzeichneten den Vertrag zur Flächenübertragung im Grenzlandmuseum Eichsfeld/Teistungen. 763 Kilometer des Grünen Bandes, und damit mehr als die Hälfte, befinden sich in Thüringen. Damit war der wichtigste Schritt eigentlich getan. Thüringen hat die 3600 Hektar entlang des Grünen Bandes direkt an die Stiftung Naturschutz Thüringen übertragen. Für die Leistungen des Bundesforstes muss das Land Thüringen insgesamt 520 000 Euro aufbringen.

Erst im Juni 2010 folgte mit dem Land Sachsen-Anhalt das zweite Land. Es übernahm rund 1690 Hektar entlang der ehemaligen Grenze. Auch in diesem Fall hatten der Bund und das Land lange über die Personalkosten zur Pflege der Flächen gestritten. In Sachsen-Anhalt fallen rund 250 000 Euro in den kommenden drei Jahren an. Das Land will diese Kosten über Pachteinnahmen, rund 73 000 Euro jährlich, senken. Verwaltet wird das Gebiet von der Stiftung Umwelt, Naturschutz und Klimaschutz Sachsen-Anhalt (Sunk). Über die sogenannte Öko-Konto- Verordnung sollen die Flächen naturschutzfachlich aufgewertet werden. Das bedeutet, dass entlang des Grünen Bandes auch Eingriffe in die Natur anderswo in Sachsen-Anhalt ausgeglichen werden dürfen.

Mit der Föderalismusreform haben die Länder die Möglichkeit bekommen, in einem gewissen Rahmen abweichend vom Bundesnaturschutzgesetz eigene Regelungen zu finden. Der Punkt Kompensation für Eingriffe in den Naturhaushalt ist dabei immer besonders umstritten gewesen. Viele Länder würden sich diese Eingriffe in die Natur gerne mit Geld entschädigen lassen. Bisher gilt aber die Regel, dass für die Degradierung von Gebieten an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen werden muss. In Sachsen-Anhalt soll dieser Ausgleich künftig offenbar vor allem entlang des Grünen Bandes geschaffen werden. Mit den anderen Bundesländern laufen die Verhandlungen noch. Wann sie abgeschlossen sein werden, ist jedoch derzeit noch nicht absehbar.

Der Bund hat über das Grüne Band hinaus im Jahr 2008 entschieden, dass insgesamt 125 000 Hektar wertvoller Naturschutzflächen kostenlos an die Länder oder an Umweltstiftungen übertragen werden sollten. Im Mai 2008 übertrug der Bund bereits 46 000 Hektar an die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU). Dabei handelt es sich vor allem um Flächen ehemaliger militärischer Gelände. Neben der DBU haben auch die Stiftung Naturschutz des Bund Naturschutz und die Umweltstiftung WWF Flächen aus dem nationalen Naturerbe übernommen. Der BUND wiederum spielt entlang des Grünen Bandes mit die wichtigste Rolle. Das Projektbüro in Nürnberg um Liana Geidezis und Melanie Kreutz koordiniert das gesamte Grüne Band in Deutschland.

Seit der ersten europäischen Konferenz zum European Green Belt in Bonn hat auch das europäische Projekt an Schwung gewonnen. Das europäische Grüne Band schlängelt sich auf einer Strecke von 8500 Kilometern durch ganz Europa. Schon jetzt grenzen entlang dieser Strecke wichtige Nationalparke aneinander, wie etwa der Bayerische Wald auf deutscher und Sumava auf tschechischer Seite, oder Thayatal-Podyji in Österreich und Tschechien, oder der Neusiedler-See und Fertö-Hansag in Österreich und Ungarn. Viele Gebiete beispielsweise entlang der Donau sind wichtige Rast- und Brutgebiete für Zugvögel. Und Arten wie der Luchs, der Wolf, der Bär oder der Fischotter haben entlang des Eisernen Vorhangs den Rückzugsraum gefunden, den sie brauchten, um bis heute in Europa zu überleben.

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