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Hallo, Nemo! Der Star des Disney-Films schwimmt auch im Becken des Seewasser-Aquarianers Roland Kiesinger: ein Clownfisch.

© Kitty Kleist-Heinrich

Seewasser-Aquarien: Pazifik hinterm Sofa

Seewasser-Aquarianer aus Berlin holen sich Lagunen ins Wohnzimmer – ein Hobby für Tüftler, denn die Technik ist kompliziert. Dafür gibt es täglich wechselndes Programm: Garnelen putzen Neonfische, Barsche flirten in Korallen, Seeigel gehen wandern.

Behutsam schließt Achim Tetzlaff die Tür zu seiner Wohnung an der Mariendorfer Bosporusstraße auf. „Schön leise sein“, sagt er, „Fische sind hochgradig sensibel.“ Fast bedächtig geht er um die Ecke ins Wohnzimmer zu seinem privaten kleinen Korallenriff. Tatsächlich, die Bewohner zeigen keine Scheu. Ein gelber Segelflossendoktorfisch huscht am Aquarienglas entlang, karminrote Flammenherzogfische und zebragestreifte Kardinalbarsche im Gefolge. „Achtung, jetzt machen sie fast Männchen“, sagt er und streut gehacktes Miesmuschelfleisch ins Becken. Das lockt selbst die scheuesten Kandidaten aus ihren Verstecken im Riff.

Achim Tetzlaff ist Meeresaquarianer. Sein sehr spezielles Hobby betreibt er seit 20 Jahren. Der Pensionär, früher Chemielaborant, hält ein tropisches Salzwasser-Biotop am Leben. Sein „Stückchen Pazifik“ ist 1,58 Meter lang, 60 Zentimeter breit, fasst 420 Liter Wasser und liegt direkt hinter seinem Sofa. Wenn er nicht gerade den Salzgehalt im Wasser, die Wassertemperatur, die Filter und Strömungspumpen kontrolliert, wenn er nicht Futter verabreicht oder sich um eine Schar von Winzlingen kümmert – etwa die Kardinalbarsche, die vor zwei Wochen zur Welt gekommen sind –, bleibt ihm manchmal etwas Zeit, sich davorzusetzen und die Wohnzimmer-Unterwasserwelt zu betrachten. Dann macht Achim Tetzlaff es sich bequem und fühlt sich wie ein Taucher in 50 Metern Tiefe. Ein Taucher in den Lagunen von Samoa oder Hawaii.

Wie eine riesige Schmuckvitrine ruht das Aquarium auf einem Unterbau im Raum und bewahrt Schätze in allen Regenbogenfarben: zartrosa Kupferanemonen, Strauch- und Lederkorallen oder die Steinkoralle, die Riffe bildet. Die Blumentiere formen die Kulisse. Sie bieten Verstecke, in denen sich „Chelmon Rostratus“, der gebänderte Pinzettfisch, gern verbirgt, eine Gattung mit spitzer Schnauze, der bläuliche Körper flach wie ein Diskus, bebändert mit gelb-schwarzen Streifen. Die Pupillen seiner kreisrunden Augen kullern hin und her wie bei einem Clown.

„Maritimes Kino“, sagt Tetzlaff. Ständig gibt’s hier ein neues Programm. Der Einsiedlerkrebs krabbelt über den Sand, vor ein paar Tagen hat er sein Häuschen gewechselt. Eine Putzergarnele hat Termine bei einem Zwergkaiserfisch, ihre Fühler tasten die Flossen nach Parasiten ab, er lässt das gerne zu. Da schieben sich grüngoldene Arme aus einer Höhle: der Schlangenseestern hat Ausgang.

Sein Nachbar, der Seeigel, wandert in Zeitlupe am Fels hinab. Zwischen Korallenzweigen wedelt wild ein Kardinalbarsch-Weibchen neben einem Artgenossen mit den Flossen. „Die macht gerade das Männchen an“, erklärt Tetzlaff. Links in der Ecke hat ein Kardinalbarsch die Backen voll. Die Männchen brüten befruchtete Eier vier Wochen im Maul aus, bevor sie die geschlüpften Winzlinge ausspucken. Während dieser Zeit bekommt Papa nichts zu fressen.

Technik sorgt für das richtige Unterwasserklima

Achim Tetzlaffs Pazifik im Wohnzimmer ist ziemlich zeitintensiv.
Achim Tetzlaffs Pazifik im Wohnzimmer ist ziemlich zeitintensiv.

© Davids (Gregor Fischer)

Wie kommen diese Exoten nach Berlin? Manche haben Achim Tetzlaff und seine Freunde vom „Verein für Meeresaquaristik“ selbst nachgezüchtet. Bestelllisten tauschen sie untereinander aus. Salzwasser-Aquarianer sind gut vernetzt. Im Osten der Stadt gibt es noch die Fachgruppe Meeresbiologie Berlin. Beide Gruppen wollen die natürlichen Bestände nicht durch übermäßige Wildfänge gefährden. Fisch-Kinderstuben erfordern aber viel Einsatz; außer Standardfutter wie Rogen oder Schwebegarnelen braucht man Babynahrung, Larven von Salinenkrebsen.

Ein kompliziertes Metier, da ist fachlicher Austausch wichtig. In beiden Vereinen der Berliner Salzwasser-Aquarianer haben sich etwa 70 Anhänger zusammengeschlossen. Frauen und Männer, jedes Alter, die Jüngsten sind 25. Ein zeitaufwendiges Hobby, das begeistern kann. Christian Schirrmeister, Vorsitzender des Vereins für Meeresaquaristik, ist „fasziniert von den Weltmeeren, von deren fantastischer Artenvielfalt“. In seinem Aquarium will er die Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen perfekt simulieren. „Das ist eine Herausforderung“, sagt er. Dazu braucht es Wissen aus Chemie und Physik und technischen Sachverstand. Vermutlich deshalb haben viele Salzwasser-Aquarianer naturwissenschaftliche Berufe oder sind Ingenieure wie Roland Kiesinger von der Fachgruppe Meeresbiologie.

Der 75-Jährige liebt es, die Verhaltensweisen von Lyra-Kaiserfischen oder Zylinderrosen im „Lagunen-Aquarium“ zu beobachten, das sein Wohnzimmer in Erkner dominiert. Ein Tierliebhaber und Technikfreak. Auf der Rückseite des Aquariums und in einem Nebenraum halten die unterschiedlichsten Apparaturen seine Unterwasserwelt biologisch in der Balance. Hier packt ihn die Bastellust. Sogar eine Zisterne für den Wasserkreislauf hat er eingebaut. Kiesinger kontrolliert an einem Display die Leistungen zweier Pumpen. Der eine vibrierende Kasten wälzt pro Stunde mehrere tausend Liter um, erzeugt Strömungen wie in den Meerestiefen, so dass die Seeanemonen hin- und herwedeln. Im Glasbehälter der anderen Pumpe schäumt und sprudelt es, das Wasser wird gefiltert. Nun aber hebt Kiesinger den Deckel des Aquariums an. Batterien von LED- Lampen in verschiedenen Spektralfarben simulieren dort die Lichtstärke und -brechung in 5 Metern Wassertiefe, leuchten elektronisch gesteuert im Tag-Nacht-Rhythmus. Fürs richtige Meeresmilieu löst er 35 Gramm einer Meersalzmischung in einem Liter entkalktem Wasser auf. Pro Monat erneuert Kiesinger ein Viertel des Beckeninhaltes. Nun muss noch die Heizung funktionieren. 25 Grad Celsius sind die optimale tropische Wassertemperatur.

Roland Kiesinger betreibt draußen im Gartenschuppen ein weiteres Aquarium mit sehr seltenem Besatz. Darin leben wirbellose Blumentiere aus der Nord- und Ostsee, schneeweiße Seenelken, purpurrote Seeanemonen. Das Wasser muss jetzt, zur Winterzeit, etwa sechs Grad kühl sein. Dass es bei diesem Limit bleibt, garantiert ein Frostwächter im Schuppen, ein kleiner Heizstrahler mit Thermostat.

Kürzlich haben die Seenelken Kiesinger überrascht. Als er morgens nach ihnen sah, hatten sie Sprösslinge bekommen. Fingerkuppenklein, von zarter Schönheit. In Aquarien eine Seltenheit. Nun hat er was Neues zu päppeln.

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