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Prof. Dr. Norbert Palz, Präsident der UdK Berlin.

© Daniel Nartschick

Präsidentenkolumne: Die entmaterialisierte Kunstuniversität

Die Coronakrise hat die UdK Berlin vor Herausforderungen gestellt. Doch die letzten Wochen markieren auch den Beginn von neuen Entwicklungen.

Prof. Dr. Norbert Palz ist seit 1. April 2020 Präsident der UdK Berlin. Seine ersten Monate im Amt waren und sind geprägt von der Pandemie und ihren Auswirkungen.

Für die Universität der Künste Berlin endet in diesen Tagen mit dem Sommersemester eine historisch bemerkenswerte Vorlesungszeit. Wie bei allen öffentlichen Institutionen hat die Covid-19-Pandemie viele Einschränkungen im Studien- und Forschungsbetrieb und in der Hochschulverwaltung nach sich gezogen, die uns als Ausbildungsstätte für die Künste sehr getroffen haben.

So musste das Studium an den Fakultäten der Bildenden Kunst, der Gestaltung, der Musik und der Darstellenden Kunst über Wochen außerhalb der Universitätsgebäude als digitaler Unterricht stattfinden. 

Das Jazz-Institut, das Hochschulübergreifende Zentrum Tanz und das Zentralinstitut für Weiterbildung blieben noch bis vor Kurzem geschlossen, die Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter vielerorts im Homeoffice. Die Identität einer Kunstuniversität dekonstruiert in ihre molekularen Bestandteile – und dies quasi über Nacht.

Geht man derzeit durch die Universitätsgebäude, ist die Absenz der üblichen Spuren des Studienbetriebs auffällig: Keine architektonischen Modelle liegen im Gang, keine Leinwände lehnen an den Flurwänden, keine sich im Aufbau befindlichen Ausstellungen sind zu besichtigen und kein Probenklang, der zu vernehmen ist. Hülle ohne Inhalt.

Die historische Identität rückt in den Vordergrund

Beim Besuch dieser Universitätsarchitektur in- absentia-ihrer-Bestimmung schiebt sich die historische Identität stärker in den Vordergrund, sie ist Zeugin der Vergangenheit und erscheint museal. 

Bei dieser geschichtlichen Betrachtung stellt man alsbald fest, dass die Vorkommnisse der letzten Wochen Deutschland schon einmal in ähnlicher Form heimgesucht hatten. So breitete sich vor fast genau hundert Jahren die Spanische Grippe weltweit aus, auch die Stadt Berlin war schwer betroffen.

Knapp eine halbe Million Menschen in Deutschland, vornehmlich in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren, fielen dem Influenzavirus zum Opfer. Wir wissen wenig über diese Toten, eigentümlich dünn ist die historische Faktenlage. 

Auch wissen wir nicht, wie die Vorgängerinstitutionen der UdK Berlin – die Hochschule für Musik, die Hochschule für Bildende Kunst, die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums und andere – auf diese Pandemie reagiert und wie sie ihre gefährdeten Mitarbeiterinnen, Lehrenden und Studierenden geschützt haben, doch blicken wir auf den Fotografien dieser Zeit denselben maskentragenden Menschen in ihr halbverdecktes Antlitz. Es ist eine eigentümlich emphatische Begegnung über die Zeiten hinweg.

Auf alten Fotos: dieselben maskentragenden Menschen

Der Begriff der Krise machte zu Beginn der Pandemie an der Schule schnell die Runde. Ein Studium außerhalb der Überäume, Werkstätten, Studios und Ateliers, ohne den Kontakt zwischen Studierenden und Lehrenden, bleibt anämisch und defizitär. Der Transfer in digitale Lehr- und Lernformate war für viele ungewohnt oder schlichtweg unmöglich, die erprobte Lehrdidaktik hinfällig, die technische Ausrüstung oftmals mangelhaft.

Für Studierende, aber auch viele Lehrende, sind ökonomische Herausforderungen durch den Wegfall von Einnahmemöglichkeiten zu meistern. 

Lockerung in Sicht. Seit Ende April dürfen Studierende unter strengen Hygieneauflagen wieder in die Gebäude der UdK Berlin, zum Beispiel für Abschlussprüfungen, zur Arbeit in Werkstätten oder Ateliers oder zum Üben ihrer Instrumente.
Lockerung in Sicht. Seit Ende April dürfen Studierende unter strengen Hygieneauflagen wieder in die Gebäude der UdK Berlin, zum Beispiel für Abschlussprüfungen, zur Arbeit in Werkstätten oder Ateliers oder zum Üben ihrer Instrumente.

© Nikolaus Brade

Auch bleibt das Arbeiten im Homeoffice und eine gleichzeitige familiäre Betreuungssituation für die Hochschulmitglieder kompliziert und spannungsreich. Den Wunsch nach einer baldigen Rückkehr zur Normalität hat die Hochschulleitung von vielen Stimmen oft vernommen.

Die letzten Wochen haben partiell für Linderung gesorgt, lockerten sich doch Stück für Stück die Einschränkungen hin zu einem der Normalität ähnlicher werdenden Zustand. Doch bleibt die Aussicht auf das Wintersemester noch unklar. 

Es wird wohl eine Mischung aus analogen und digitalen Lernformaten werden. Kreativität, Durchhaltewillen und gemeinsame Anstrengung aller Hochschulmitglieder sind weiterhin gefragt.

Eine Zeitenwende zeichnet sich ab

Die pandemiebedingte Verengung künstlerischer Praxis – mit noch offenem Ausgang – geht einher mit einer Verschärfung der komplexen geopolitischen Lage, die neue Formen von ziviler Selbstbestimmung entstehen lässt und gesellschaftliche Transformationsprozesse einläutet. 

Medial beschleunigt entwickeln sich globale Bewegungen, die nun von Staat, Industrie und Gesellschaft ein entschiedenes Handeln fordern, um die drängenden Probleme unserer Zeit konsequent anzugehen.

Klimawandel, Antirassismus, Post- und Transhumanismus sind schon jetzt Teil eines Thementableaus künstlerischer Hochschulen, die sich den Belangen einer modernen Gesellschaft im Dienste ihrer eigenen Relevanz nicht verschließen dürfen. 

Die virale Verbreitung und mediale Rezeption der Covid-19-Pandemie gliedert sich in diese globalen Prozesse ein. Die Überblendung der Vorkommnisse zueinander erzeugt den Vorschein einer sich abzeichnenden Zeitenwende, deren Kontur im Augenblick noch unscharf ist und die uns in Verunsicherung zurücklässt.

Die Künste entziehen sich der Vereinnahmung durch Krisen

Die Vergangenheit lehrt uns, dass es den Künsten zu eigen ist, sich einer Vereinnahmung durch Krisen beständig entziehen zu können. Ausweichbewegungen, Anpassung und Improvisation sind Instrumente des Kunstwollens, das nun im digitalen Medium seinen neuen Eingriffsort findet.

Viel wurde in den letzten Monaten an der UdK Berlin erreicht, es ist der Beginn der Digitalisierung einer künstlerischen Universität im Zeitraffer. Über Fakultäten und Statusgruppen hinweg diskutieren Hochschulmitglieder in offenen Gruppen die Idee einer künstlerischen und kritischen Mediennutzung, des Datenschutzes und der Didaktik. 

Wir konzipieren neue künstlerische und gestalterische Projektformate, entwickeln diese weiter und stellen mittel- und langfristige strategische Überlegungen an. 

Es gilt, die digitalen Möglichkeiten von Archiv und Bibliothek im Dienste künstlerischer und gestalterischer Lehre zu gestalten und an der Identität einer medial erweiterten, durchlässigeren und weltoffeneren Universität zu arbeiten.

Digitalisierung im Zeitraffer

Das digitale Medium wird als erweitertes Territorium künstlerischen Handelns verstanden, nicht in Ablösung seiner Traditionen, sondern als ein neuer Experimentalraum, aus dem eine eigenständige, mit dem tradierten Wissen rückgekoppelte Form künstlerischen Ausdrucks erwachsen soll.

Bei dieser Unternehmung lohnt auch der Blick in die eigene Institutionsgeschichte, denn es finden sich bemerkenswerte Parallelitäten zur Gegenwart. So wurde im Jahr 1928 eine neue Einrichtung an einer der Vorgängerinstitutionen der heutigen UdK Berlin ins Leben gerufen: die Rundfunkversuchsstelle, angegliedert an die Hochschule für Musik, ehemals beheimatet im UdK-Standort Fasanenstraße.

Der Archivar der UdK Berlin Dr. Dietmar Schenk beschreibt in seinem Buch über die Hochschule für Musik zu Berlin die Aktivitäten dieser Einrichtung in anschaulicher Form. 

So hatte es sich die Versuchsstelle seinerzeit zur Aufgabe gemacht, eine „künstlerisch-wissenschaftliche Erprobung der damals neuen Speicher- und Reproduktionstechniken von Grammophon, Rundfunk und Tonfilm“ anzugehen. 

„Laboratorium für neue Töne“

Im so genannten „Laboratorium für neue Töne“ wurde an elektronischen Instrumenten wie dem Trautonium gearbeitet und dafür komponiert, konzeptionell angeleitet unter anderem von Ferrrucio Busonis „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“. Es war ein Labor für die elektronische Musik einer noch jungen Moderne.

Auch eine progressive Kunstdidaktik fand in diesen Medien durchaus ihren Widerhall, so lesen wir unter anderem über „Röntgentonfilme, in denen die Funktionen der Stimmorgane hör- und sichtbar gemacht werden sollten“. 

Ebenso hatte die Rundfunkversuchsstelle zeitweilig einen eigenen Radiosender, der seinen Beitrag für eine „drahtlose Hochschule für Musik und Rundfunkkunst“ mit angeschlossen „drahtlosem Studium“ leisten sollte. Es waren visionäre Ideen, die das Ziel verfolgten, die Eintrittsschwellen der klassischen Kunstausbildung zu senken und sie dadurch einer breiteren Bevölkerungsgruppe zugängig zu machen. 

Die nationalsozialistische Machtübernahme setzte dem kleinen experimentellen Institut jedoch schnell ein Ende, es wurde bereits im Jahr 1935 wieder abgewickelt.

Der Blick zurück offenbart Verwandtschaft im Denken

Die Geschichte der kurzlebigen Rundfunkversuchsstelle zeigt die Bedeutung der eigenen Institutionsgeschichte für die Gegenwart auf. Wir erkennen erstaunliche Verwandtschaften im Denken und künstlerischen Handeln der damaligen Protagonisten, es offenbart sich aber auch die enorme Fragilität experimenteller, radikal-künstlerischer Unternehmungen im Antlitz der gesellschaftlichen und politischen Bedingungen.

Im Wirken von Paul Hindemith, Oskar Fischinger, Max Butting und anderen ist ein ernsthaftes Bestreben zu erkennen, das neu zu schaffende künstlerische Werk in Bezug zu seinen zeitgeschichtlichen technischen Bedingungen zu setzen, die ihrerseits die Vorstellungen von Raum, Zeit und Material erweitern sollten. 

Diese wiederkehrende Bezüglichkeit von Technik und künstlerischer Praxis löst in der Folge ein beständiges Nachdenken über die grundlegenden Bedingungen in den jeweiligen Künsten aus, die dann neu konzipiert, montiert oder grundlegend verändert werden.

Die letzten Monate haben uns durch die Krise wieder an die Ursprünge künstlerischer Lehre geführt, und wir werden die Bedeutung von Raum, menschlicher Interaktion und Material neu zu schätzen lernen. 

Zugleich haben wir den Türspalt zu einer neuen Welt geöffnet, welche die Kontur des Digitalen trägt. Sie als eigensinniges und experimentelles Medium der Künste zu entwickeln, erscheint auch nach diesem Sommer noch ein lohnenswertes Projekt zu bleiben.

Nobert Palz

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