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Berlin: Raus aus der Stadt

Fast 180 000 Brandenburger pendeln täglich zur Arbeit nach Berlin. Doch auch anders herum kann sich der Weg lohnen. In welchen Branchen man im Nachbarland gute Chancen hat

Wenn Oliver Summa sich morgens gegen acht Uhr aus Charlottenburg zur Arbeit aufmacht, hat er einen weiten Weg vor sich. Mit dem Fahrrad zur S-Bahnstation Savignyplatz, dann zum Hauptbahnhof und von dort mit dem Regionalexpress Richtung Wünsdorf nach Dahlewitz, einem Ortsteil von Blankenfelde-Mahlow. Von dort sind es noch einmal vier Kilometer mit dem Rad zu seinem Arbeitgeber Rolls-Royce. Eine Stunde und zehn Minuten braucht der 44-Jährige für die Strecke im Schnitt. Für den Hinweg, und dann wieder für den Rückweg. Zwischen 19 und 20 Uhr ist er zurück in Berlin.

Der Luft- und Raumfahrtingenieur, der bei dem Triebwerkhersteller als Entwicklungsingenieur tätig ist, nimmt das in Kauf – so wie etwa jeder zweite der über 2000 Mitarbeiter von Rolls-Royce. Und der Aufwand scheint sich zu lohnen: „Meine Arbeit macht mir Spaß und die Jobs, die in Berlin angeboten werden, sind für mich nicht annähernd so attraktiv“, sagt Summa. Seit 14 Jahren pendelt er nach Dahlewitz.

So wie Summa denken viele Berliner. Rund 70 000 Beschäftigte machten sich nach Angaben des Statistikamtes Berlin-Brandenburg im vorigen Jahr jeden Morgen auf den Weg nach Brandenburg. Die meisten von ihnen arbeiten in Potsdam, im Landkreis Dahme-Spreewald oder Oberhavel. Zwar ist der morgendliche Gegenstrom in die Hauptstadt mit 179 000 Pendlern deutlich größer. Die Zahl der Brandenburg-Pendler legt aber seit Jahren zu. So sind es heute 13 000 Berufstätige mehr als noch vor sieben Jahren, die täglich gen Nachbarland ziehen.

Natürlich ist der Arbeitsmarkt in Berlin mit über 1,1 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten deutlich größer als der Brandenburgs mit 757 000 Beschäftigten. Trotzdem kann sich für Berliner Arbeitsuchende der Blick über die Landesgrenze hinaus durchaus lohnen.

Zum einen liegt die Arbeitslosenzahl (Stand Juli) mit 10,5 Prozent klar unter der Berlins mit 13,5 Prozent. Zum anderen meldete die Arbeitsagentur seit Anfang des Jahres in Brandenburg rund 30 000 neue Stellen, fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Das Berliner Pendler arbeitsuchenden Brandenburgern die Jobs wegnehmen könnten, ist für den Sprecher der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg kein Thema. „Wir sind ein wirtschaftlicher Verflechtungsraum“, sagt Erik Benkendorf. Von Konkurrenz könne da keine Rede sein.

KÖCHE, PFLEGER, LEHRER GESUCHT

Besonders oft suchen Unternehmen laut Benkendorf Angestellte für Restaurants und Hotels, Mitarbeiter für den Einzelhandel und das Baugewerbe sowie für Facility-Management und die Reinigung von Gebäuden und Straßen. Einen Wachstumsmarkt sieht er außerdem im Bereich Verkehr und Lagerei: „Viele Speditions- und Logistikunternehmen finden in Berlin keinen Platz mehr und gehen raus aufs Land, weil sie dort günstig große Flächen in der Nähe der Autobahnen mieten können.“ So hätten zum Beispiel LKW-Fahrer oder Logistikfachleute im Nachbarland gute Jobaussichten.

Gute Aussichten auf eine Stelle, haben, wie in Berlin, auch Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialwesen. Neben Pflegekräften sind Ärzte stark nachgefragt. Brandenburg gilt als das Bundesland mit der niedrigsten Ärztedichte Deutschlands. Mit Zuschüssen von bis zu 50 000 Euro versuchen die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg und die Krankenkassen des Landes Mediziner ins Land zu holen (siehe Kasten).

Und der Bedarf an Fachkräften in diesen Bereichen wird weiter steigen. Bis zum Jahr 2019 gehen nach Angaben der Landesanstalt für Struktur und Arbeit (LASA) Brandenburg 50 Prozent der Real-, Volks- und Sonderschullehrer in Pension. Mehr als 2800 neue Lehrer sind dann gefragt, dazu fast 400 Gymnasiallehrer. Außerdem suchen Land und Unternehmen laut LASA in den nächsten Jahren mehr als 17 300 Bürofachkräfte, 3080 Kindergärtner, 2231 Krankenpfleger und 1918 leitende Verwaltungsangestellte. Bereits heute sind vor allem für Regionen, die außerhalb des „Berliner Speckgürtels“ liegen und nicht an das S-Bahn-Netz angeschlossen sind, dringend Mitarbeiter gesucht.

WAS FIRMEN BIETEN

In der Kleinstadt Neuruppin, 70 Kilometer nördlich von Berlin, sucht Martin Opitz für seine Firmen „Opitz Holzbau“ und „Opitz Solar“ Ingenieure und Techniker für den Bau- und Elektrobereich sowie Facharbeiter und Hilfskräfte im Bereich Solarenergie. 60 Mitarbeiter hat er, 30 weitere sucht er. Doch die findet der geschäftsführende Gesellschafter nicht, so dass er nun das Wachstum seiner Firma in Gefahr sieht.

Berliner sind ihm deshalb sehr willkommen, auch wenn sie nicht in Neuruppin sesshaft werden wollen. „Wer im Norden von Berlin wohnt, kann durchaus pendeln“, sagt Opitz. Er biete seinen Mitarbeitern rundum gute Arbeitsbedingungen. So lässt er für die Belegschaft einen Fitnessraum bauen. Wöchentlich kommt ein Masseur ins Haus.

Auch Hotels und Restaurants in den brandenburgischen Tourismusregionen versuchen durch besondere Angebote Mitarbeiter zu gewinnen. „Bessere Bezahlung, familienfreundliche Arbeitszeiten und gute Karriereaussichten sind einige Punkte, mit denen viele Arbeitgeber der Region punkten“, sagt LASA-Mitarbeiterin Sabine Löser.

Rolls-Royce in Dahlewitz hat laut Personaldirektor Stefan Meindl noch kein Problem, internationale Spitzenkräfte für sich als Arbeitgeber zu interessieren. „Rolls-Royce hat hervorragende Produkte und bietet interessante Karrieremöglichkeiten“, sagt er. Außerdem punkte das Unternehmen mit der Nähe zur Hauptstadt. Denn für die Hochqualifizierten zähle, neben dem Renommee des Arbeitgebers, eben auch die Lebensqualität und das reiche kulturelle Angebot Berlins.

Allerdings kommt der Fachkräftemangel langsam auch bei dem Triebwerkhersteller an. Es gebe erste Engpässe, besonders bei den Facharbeitern: „Die Anzahl der Bewerbungen gut qualifizierter Triebwerkmechaniker geht deutlich zurück“, sagt Meindl.

Auch für den Entwicklungsingenieur Summa war die Nähe zu Berlin ein Entscheidungskriterium für seinen Job bei Rolls-Royce. Dass er jeden Tag mit Bahn und Rad mehr als zwei Stunden Weg zurücklegen muss, sieht er pragmatisch: „Da mache ich gleich Sport und kann nach der Arbeit etwas abschalten.“

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