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Dagmar Simon ist Leiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

© WZB/David Ausserhofer

Sind Universitäten unregierbar?: Gesucht wird ein „Manager inter pares“

Der Fall Martin Lohse an der Humboldt-Uni verweist auf deutsche Defizite beim modernen Hochschulmanagement, sagt die Hochschulforscherin Dagmar Simon vom WZB.

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur (Un)regierbarkeit von Universitäten. Hier finden Sie die übrigen Debattenbeiträge.

Der Würzburger Wissenschaftler Martin Lohse sollte zum neuen Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität gewählt werden – so war der Plan. Sowohl für die Universität als auch die Senatsverwaltung kam in der vergangenen Woche eine böse Überraschung: die Absage des designierten Kandidaten. Es ist nun kein völlig neuer Vorgang, dass an Hochschulen Berufungen sei es nun von international herausragenden Professorinnen und Professoren oder eben auch von Präsidenten in letzter Sekunde scheitern.

Süffisanter Rat des abgesprungenen Kandidaten

Interessant ist Lohses Begründung, die auf bestehende Verwaltungsdefizite an der Humboldt-Universität rekurriert und ihr süffisanterweise auch noch rät, über die Verfassung und Struktur nachzudenken – die HU hat beispielsweise keinen Kanzler.

Wofür steht dieser Fall im goldenen Zeitalter von Exzellenz, Profilbildung, international leuchtenden Universitäts-Türmen und neuen Managementsystemen? Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein Spätentwickler bei der Umsetzung des New Public Management-Modells an den Hochschulen, also einer gestärkten internen Hierarchie, Schwächung des Kollegialitätsprinzips, verstärkter Außensteuerung und der Einführung moderner Managementsysteme mit Anreiz-, Sanktions- und Bewertungsinstrumenten.

... und sehr selten die Präsidentin!

Die Umsetzung wurde eher moderat gestaltet. Im Zuge dessen konnten die Bundesländer eigene Wege einer Hochschulgovernance gehen, die sich in den sehr unterschiedlichen Landeshochschulgesetzen niederschlagen und die  im Vergleich zu den amerikanischen Universitäten die schwache Position eines Präsidenten oder Rektors gestärkt haben. Der Präsident (und sehr selten die Präsidentin!) versteht sich traditionell als „Primus inter Pares“, also als Erster unter Gleichen (der Professorenschaft). 

Hier hören aber die Gemeinsamkeiten auch schon auf: Bei einer Gegenüberstellung der Landeshochschulgesetze sieht  man am einen Ende ein Hierarchie-Modell in Hessen und Saarland. Hier verfügt die Hochschulleitung gegenüber dem Hochschulrat und dem Senat über beachtliche Kompetenzen und vor allem über eine Vetoposition. Am anderen Ende steht das „Kollegialmodell“, u.a. in Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und  Berlin, das sich nach wie vor durch eine starke Selbstverwaltung auszeichnet und dem traditionellen Leitungsmodell nahe kommt, wie es der Hochschulforscher Otto Hüther herausgearbeitet hat.

Beim Präsidium haben die Gremien eine starke Vetoposition

Allen gemeinsam ist, dass gerade bei der Besetzung der Hochschulleitung die akademischen Selbstverwaltungsgremien eine starke Vetoposition haben. Das „Kollegialmodell“ spricht nicht gerade für eine sehr attraktive Leitungsaufgabe an einer Berliner Hochschule, wenn man gestalten und nicht nur moderieren will. Diese Gründe greifen aber zu kurz. Insgesamt zeigt sich, dass zwar nach der Einführung von New Public Management nie eine Steuerungseuphorie an den deutschen Hochschulen ausgebrochen ist, eher ein vorsichtiger Steuerungsoptimismus. Damit ist es nun auch schon wieder nahezu vorbei.

Eine Untersuchung von Kollegen der Universität Bochum zeigt, dass selbst im Zeitraum von vier Jahren die potentiellen Träger einer Steuerungsphilosophie , also Kanzler, Dekane, Rektoren und Präsidenten weniger denn je von einer Wirkung beispielsweise von Leistungsvereinbarungen in der Universität überzeugt sind.

Forschungscluster als Universitätmarke

Ernüchterung ist eingekehrt. Auch bei den zarten Pflänzchen einer horizontalen Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft via Profilbildung sowie einer vertikalen via Exzellenz(-Initiative) zeigt sich, dass viele Universitäten ganz ähnliche Strategien verfolgen: den Aufbau von interdisziplinären Forschungszentrum oder Forschungsclustern - frei nach den amerikanischen Center for advanced Studies-Modell als „Universitätsmarke“. Die sind leicht intern durchzusetzen und tun vor allem dem zentralen Steuerungsinstitutionen, den Fakultäten und damit den Disziplinen, nicht weh. Also findet mehr Angleichung und Kopieren denn Ausdifferenzieren statt.

Da soll es noch attraktiv sein, die Leitung zu übernehmen?

Darüber hinaus werden formale Managementsysteme häufig in ihrer Wirkung überschätzt. Denn das Gegengewicht der Urteile von Fachkollegen und –kolleginnen hat durch die Vervielfachung von Peer-Review-basierten Evaluationen im Wissenschaftssystem an Bedeutung gewonnen. Und in dieser Situation soll es sehr attraktiv sein, eine Leitungsfunktion an der Hochschule wahrzunehmen? Was heißt eigentlich eine Funktion, es geht doch mindestens um die des Managers,  Unternehmers,  Moderators, Facilitators,  verbeamteten Professors, Fachkollegen – am besten alles zusammen.

Hinzu kommt, dass veränderte gesellschaftliche Erwartungen an die Hochschule – nämlich ihr Verhältnis zur Gesellschaft neu zu definieren, nicht an die diffuse Gesamtorganisation Hochschule gerichtet werden können, hierfür dient als Adressat der Präsident oder Rektor.

Rein unternehmerische Uni-Manager will nicht einmal die Politik

So verstehen sich auch im 21. Jahrhundert die meisten Hochschulleitungen eher traditionell, kombiniert mit neuen Gestaltungsoptionen, die in der Regel in kollegialen Konsultationen mit der Professorenschaft ausgeübt werden. Ein weiteres Dilemma verbürgt sich hinter den neueren Entwicklungen: Wieviel Differenzierung, Profile und vielleicht auch unterschiedliche Hochschultypen wie etwa die Professional Schools in den USA verträgt das deutsche Wissenschaftssystem, wohin soll die Reise gehen? Diese unklare Situation macht für Hochschulpräsidenten, die vorrangig ihre Einrichtungen am der neuen Exzellenzwährung ausrichten müssen, den Job nicht gerade leichter.  Und im Übrigen: rein unternehmerische Manager als Hochschulpräsidenten will nicht einmal die Wissenschaftspolitik.

Apropros Absage von Martin Lohse: Es wird spekuliert, dass er zu guten Konditionen Vorstandsvorsitzender am Max-Delbrück-Centrum im Buch werden wird. An diesen Spekulationen kann und will ich mich nicht beteiligen, nur eins ist klar: Dort würde er über wirkungsmächtigere Steuerungsinstrumente verfügen.

Dr. Dagmar Simon ist Leiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Soeben erschien ein von ihr mitherausgegebenes Buch über "Die Responsivität der Wissenschaft. Wissenschaftliches Handeln in Zeiten neuer Wissenschaftspolitik".

Dagmar Simon

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