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Rainer Brüderle und seine FDP hoffen auf ein paar Zweitstimmen von CDU-Wählern.

© dpa

Die Wahlkampfbeobachter (33): Das Kreuz mit der Zweitstimme

In Berlin werben CDU und FDP zusammen für ein schwarz-gelbes Bündnis. Die Union im Bund hingegen fleht die Wähler an, ihre Zweitstimme am Sonntag nicht an die FDP zu verschenken. Nicht ohne Grund.

Gemeinsam sind wir stark. Im Wahlkreis Berlin-Mitte haben die Bundestagskandidaten der CDU, Philipp Lengsfeld, und der FDP, Hartmut Bade, deswegen am Mittwoch gemeinsam Wahlkampf gemacht – aus Liebe für ein schwarz-gelbes Bündnis. Warum nicht. „Teilen ist das neue Haben“, schreiben ja auch die Piraten auf ihre Wahlplakate. Lengsfeld kriegt die Erststimme, damit er es direkt in den Bundestag schafft, und Bade – bitte, bitte – ein paar Zweitstimmen von barmherzigen Christdemokraten. Was Westerwelle in seinem Bonner Wahlkreis vereinbart hat, kann hier doch nicht falsch sein.

Von wegen. Darüber könnte der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe glatt aus der Haut fahren. In der Parteizentrale ist man vier Tage vor der Wahl eh schon mächtig nervös. Schuld daran haben die Wähler. Man traut ihnen am Wahlsonntag offenbar alles zu. Da hat auch die absolute Mehrheit der bayerischen Schwesterpartei, eigentlich doch eine grundsolide positive Ansage für die Bundestagswahl, nichts ändern können. Im Gegenteil. Läuft doch, reicht doch, könnte der gemeine Wähler denken, warum noch kämpfen. Oder warum noch hingehen zum Wahllokal?

Die CDU fürchtet, ihre Anhänger könnten zu Hause bleiben

Nicht nur Generalsekretär Gröhe fürchtet deswegen, die CDU-Anhänger könnten lieber zu Hause bleiben. Gröhe kennt das Menetekel der Christdemokraten. Bei allen Bundestagswahlen der vergangenen 20 Jahre hatte die CDU ihren Höchststand in der Wählergunst vier Wochen vor der Wahl. Danach ging es immer runter; 2005 entgegen aller Prognosen so drastisch, dass sich Gerhard Schröder noch bis zur Auszählung der Überhangmandate einige Hoffnung auf einen Erfolg machen durfte.

Wahlkampfbeobachter.
Wahlkampfbeobachter.

© Cicero/Daxer

Und jetzt kommt die FDP mit ihrer Zweitstimmenkampagne noch daher, wo sie in 80 Wahlkreisen Bündnisse mit dem CDU-Kandidaten schließen will. „Wer Merkel will, wählt FDP“, hat der mit maximaler Schlitzohrigkeit gesegnete FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle scheinheilig formuliert: „Zweitstimme ist Merkel-Stimme“. Letzteres sagt zwar auch die CDU, und kann sich deswegen darüber nicht so empören, wie sie eigentlich möchte, meint das aber doch etwas anders. Und insbesondere bei dieser Wahl. „Wir haben keine Stimme zu verschenken“, sagt deshalb Gröhe, der ahnt, wie hochgefährlich dies Spiel für die CDU sein könnte.

Die Konsequenzen des neuen Wahlrechts

Das hat etwas mit der veränderten Natur der Zweitstimme zu tun. Beim Umfrageinstitut ABS Marktforschung aus Ulm, das am Mittwochabend im Auftrag einer Partei bei einer telefonischen Befragung vom Autor wissen wollte, welche Partei er wählen werde, hat sich das freilich noch nicht herumgesprochen. Die Rückfrage, ob mit Erst- oder Zweitstimme, erntete jedenfalls Verwunderung bei der erkennbar unbedarften Fragestellerin: „Äh, spielt das eine Rolle?“ Tut es, und zwar eine gewichtige. Anders gesagt: Nie zuvor war sie so wertvoll, die Zweitstimme, auch wenn sie sprachlich so unscheinbar daherkommt – als wäre sie zweitrangig. Das weiß man bei der CDU besser.

Vor allem hat sich mit dem neuen Wahlrecht die Situation grundlegend verändert. Denn die Regelung der Überhangmandate ändert sich, von denen insbesondere die CDU bislang immer profitierte: Von den 24 Überhangmandaten, die es bei der letzten Bundestagswahl 2009 gab, entfielen 21 auf die CDU und drei auf die CSU, weil beide Parteien so viele Wahlkreise direkt holten, dass dies ausgeglichen werden musste.

"Jeder kämpft für sich allein"

Damit ist nun Schluss. Die Zahl der Mandate ist erstmalig ganz allein vom Anteil der Zweitstimmen abhängig, die eine Partei erhalten hat. Wenn eine Partei mehr Wahlkreise direkt holt, als ihr nach der Zahl der Zweitstimmen zustehen, dann erhält die Partei zwar diese zusätzlichen Abgeordneten, doch die anderen Parteien im Bundestag erhalten nun Ausgleichsmandate. Das ist die Konsequenz aus dem vom Bundesverfassungsgericht erzwungenen neuen Wahlverfahren.

Die Folge: Der jetzt abgetretene Bundestag hätte nach dem neuen Zählverfahren 51 Abgeordnete mehr gehabt. Doch während die Stärke der CDU/CSU-Fraktion nahezu unverändert bleiben würde, würden die Sozialdemokraten 18 Mandate hinzugewinnen, die Grünen acht und die Linke neun Abgeordnete. Die mehrheitsverstärkende Rolle der Überhangmandate existiert also nicht mehr. Die Ansage aus der CDU-Spitze an die FDP: „Jeder kämpft für sich allein“, ist deshalb genau so gemeint und nur eine logische Konsequenz aus der neuen, unübersichtlichen Lage. Auch wenn es den Wunschpartner das parlamentarische Leben kosten könnte.

Alle weiteren Kolumnen finden Sie unter www.tagesspiegel.de/themen/wahlkampfbeobachter

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