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Wahlkampfbeobachter (22): Wie Zwergparteien um Wähler kämpfen

Zur Bundestagswahl treten 34 Parteien an. Die meisten von ihnen sind Winzlinge und werden ohnehin kein Mandat erringen. Warum tun sie sich das dann trotzdem an? Aus Ehrgeiz? Fanatismus? Masochismus? Eine Spurensuche im politischen Nanobereich.

Eine Verkehrsinsel in Berlin-Friedrichshain, mittags 12 Uhr. Benjamin Richter, hellgrüner Turban, entlädt seinen Rucksack – Quark, Käse, Milch, eine Packung Cashewkerne. „Mein Frühstück.“ Der 30-jährige Philosophiestudent, selbst ernannter Feminist, muss sich erst einmal stärken. Er soll für ein Wahlplakat der Bergpartei Modell sitzen. Auf seiner khakifarbenen Jacke der Schweizer Armee steht „Deserteur“.

Richter, der sich selbst nur „Beni“ nennt, ist Generalsekretär und einziger Direktkandidat der Bergpartei. Die 200-Mitglieder-Truppe ist nur in diesem Kreis wählbar und auch nur mit der Erststimme. Damit ist sie die kleinste der 34 zur Bundestagswahl zugelassenen Parteien. Ihr Motto: Spaß, Party und Kunst. 2005 hatten Künstler einen Berg vor dem Palast der Republik errichtet, um gegen den Abriss zu protestieren. Daher der Name der Partei.

Das Wahlplakat wird nicht geklebt, sondern gemalt: Acryl auf Holzfaserplatte. Um das zu bezahlen, steuert der extra einbestellte Künstler etwas bei, und Richter knapst bei seinem BAföG ab.

Am 22. September treten zahlreiche Zwergparteien an. In den Bundestag kommen sie aber nicht – die Fünf-Prozent-Hürde verhindert das. Wozu dann das alles? Warum investieren ihre Vertreter so viel Zeit und Geld, wenn sie ohnehin chancenlos sind?

Der Göttinger Politikwissenschaftler Stephan Klecha sagt, oft gehe es diesen gar nicht um das Mandat. Viele hoffen darauf, sich über die Wahlkampfkostenerstattung langfristig zu konsolidieren. Für die Bergpartei ist selbst das utopisch.

Hochspezialisierte Parteien wie die Familien- oder Rentnerpartei zeigen aber im Idealfall an, welche Themen im politischen Spektrum unterrepräsentiert sind, sagt Klecha. „Sie hoffen, dass ihre Stimme Gehör findet.“

Manfred Link, Chef des rentenpolitischen Bündnisses 21/RRP, ist überzeugt, dass genau das nicht klappt: „Für die Kanzlerkandidaten gab es das TV-Duell, für FDP, Grüne und Linke den Dreikampf – und für die ganz kleinen?“ Als die Moderatorin Maybrit Illner mal wieder über die Rente diskutieren ließ, schrieb er dem ZDF einen wütenden Brief: Repräsentanten kleinerer Parteien würden niemals zu derartigen Veranstaltungen eingeladen. „Eine Verschwendung von Fernsehgebühren“ findet Link das.

Immerhin: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen allen Parteien vor der Bundestagswahl einen kostenfreien Sendeplatz für Werbung einräumen. Die Produktion des Videos bezahlte das Bündnis aus Spendengeldern. „Danach gingen die Zugriffe auf Youtube um 6000 nach oben“, freut sich Link. Niedlich, wenn man bedenkt, dass es 61,8 Millionen Wahlberechtigte gibt.

Manchmal brennen die Parteiaktivisten so sehr für ihr Projekt, dass das für Außenstehende kaum nachvollziehbar ist. Link etwa machte noch als Rentner sein Diplom in Politikwissenschaften. Wenn die Seminare überfüllt waren, räumte er immer wieder seinen Platz für andere Studenten.

Eine Journalistin hatte noch eine andere Theorie, warum sich die Exoten das antun: Sie fragte den Bundesvorsitzenden der Partei der Nichtwähler, Werner Peters, einmal, ob er Klassensprecher gewesen sei. Schließlich seien das alle Chefs von Kleinparteien gewesen.

Dabei müsste Peters – auch ein Rentner – eigentlich der FDP zu Füßen liegen. Die Liberalen schenkten dem Kölner Hotelbesitzer 2010 die reduzierte Mehrwertsteuer. Auf die Frage, warum er danach nicht der FDP beigetreten sei, antwortet Peters: „Ich bitte Sie! Ich kann doch noch unterscheiden zwischen Politik und irgendwelchen beruflichen Interessen.“ Die Nichtwähler-Partei des Autors und Politikberaters tritt das erste Mal seit 1998 im Bund an, allerdings nur in Nordrhein-Westfalen.

„Die Demokratie festigt sich nur, wenn sie sich verändert“, sagt der 70-Jährige; er zählt seine Forderungen auf: mehr Direktdemokratie, eine Begrenzung der Mandatsdauer sowie die Abschaffung von Fraktionszwang und Koalitionsverträgen. Peters will den rund 30 Prozent regelmäßigen Nichtwählern eine Stimme geben.

Damit konkurriert er direkt mit der Partei NEIN!-Idee. Die versteht sich als dauerhafte Opposition auf dem Stimmzettel – statt einer Wahlverweigerung oder eines ungültigen Stimmzettels. „Die sind sogar ganz sympathisch“, sagt Peters, „vielleicht ist es sogar sinnvoll, sich mit denen zusammenzuschließen“.

Die vielen Fusionen, Neu- und Umbenennungen im politischen Nanobereich zeigen, dass es einigen tatsächlich eher um die Sache denn um die Organisationsstruktur geht. Parteienforscher Klecha sagt, bei links- oder rechtsextremen Sektiererparteien wie DKP, MLPD, NPD oder Republikaner sei das anders: Hier gehe es um Ideologie. „Diese Parteien glauben, dass sie später einmal die große Massenpartei werden.“

Die Berliner Bergpartei ist übrigens auch aus einer Fusion entstanden. Jan Theiler war Chef der Überpartei. Er nennt sich „Realdadaist“, Künstlername: „Pastor Leumund“. 2005 schloss er sich mit Richters Bergpartei zusammen.

Aber wozu das Ganze? Theiler, auf dessen schwarzem Kapuzenpulli bunte Farbkleckse glänzen, räumt ein: „Uns geht’s eigentlich gar nicht darum, gewählt zu werden.“ Er zeigt auf das Wahlplakat: „Viel schöner ist es doch, dass ich meine Meinung auf dieser riesigen analogen Werbefläche kundtun kann.“

Das Bild, das noch nicht ganz fertig ist, soll ein Statement zum bevorstehenden Syrienkrieg der USA werden, das Motto: Yes, we can’t. „Sowas wollte ich schon immer mal machen. Aber das darf man nur als Partei.“

Und welche Partei werden die beiden wählen? Theiler will es nicht verraten, Richter zuckt die Schultern. Der Direktkandidat wohnt in Pankow, „im falschen Bezirk.“ Dort kann er nicht einmal sich selbst die Erststimme geben.

Petra Sorge

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