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Endlich Durchatmen. Grüne Hügel, blaues Wasser, tief unten der Fischerhof: Flecken Zechlin zählt zu den den schönsten Orten auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte. Von wegen Mecklenburg. Das Dorf gehört ja noch zu Rheinsberg und damit zu Brandenburg. Die Ländergrenze verläuft etwas weiter nördlich, unterhalb von Canow.

© Mauritius, Catharina Lux

Ausflugsserie "Glück am Wasser" (2): Die Mecklenburger Kleinseenplatte: Und frühmorgens ein Fortissimo

Ein akrobatischer Fischadler, Maränen aus dem Wummsee, "Pomme de Meck"-Cider aus Diemitz und blaue Fluchten. Abenteuer im Seenland.

Frühmorgens um Fünf ist die Welt für Wilhelm Gehrt am allerschönsten. Was für ein herrlicher Sonnenaufgang über dem Großen Zechliner See, wenn der Himmel erst in Lila, dann tiefrot und schließlich goldgelb leuchtet und die ersten noch kühlen Strahlen das Wasser zum Glitzern bringen. Gehrt, ein kräftiger Typ, Kurzhaarschnitt, blau-weiß gestreiftes Baumwollhemd, schwarze Gummischürze, sitzt am Heck seines länglichen Fischerkahns. Leise tuckert der Motor. In den Eichen am Ufer sind die Singvögel schon beim Fortissimo. Der Fischer hält Ausschau nach seinem Freund. Da schwebt er heran, ein kräftiger Vogel. Hakenschnabel, Flügelspannweite gut 1,70 Meter, weiße Federbrust, gelbe Augen. Zum Greifen nah streicht der Fischadler übers Boot. Gehrt schleudert eine Maräne in die Luft, eine zweiten, dritte. Der Adler fängt sie im Flug. Es ist ihr Morgenritual.

Volles Netz. Fischer Wilhelm Gehrt im Boot am Großen Wummsee.
Volles Netz. Fischer Wilhelm Gehrt im Boot am Großen Wummsee.

© privat

Für den 42-jährigen Fischwirt beginnt nun der alltägliche Job. Er kontrolliert Reusen und Stellnetze, holt Aale, Zandern und kapitale Hechte heraus, wirft sie in ein Wasserbecken im Rumpf des Kahns. Wilhelm Gehrt lebt in Flecken-Zechlin am Schwarzen See. Das hübsche Dorf liegt in einer Senke, umsäumt von waldreichen Hügeln. Gehrt betreibt dort in der zweiten Generation den Fischerhof am Ufer einer stillen Bucht. Spezialität: geräucherte Maränen. „Superlecker“, schärmt Gehrt. Maränen gelten als die wohlschmeckendsten Süßwasserfische überhaupt. Man verzehrt sie bei ihm im Strandkorb vor seiner Fischgaststätte, Blick auf vier Stege, an denen Kanus und Hausboote schaukeln. Es ist einer jener malerischen Rastplätze zum Durchatmen, von denen es auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte zwischen Rheinberg und der Müritz so unglaublich viele gibt.
Mecklenburgische Kleinseenplatte? Von wegen. Eigentlich gehören ja die Seen nördlich von Rheinsberg bis kurz vor Canow, also auch der Schwarze See bei Flecken-Zechlin, noch zu Brandenburg. Aber egal, die Brandenburger haben sich mit diesem kleinen Verlust in der touristischen Nomenklatur längst abgefunden.

Blaue Stunde ...
Blaue Stunde ...

© Tsp

Wer in diesem leicht hügeligen, wasserreichen Land wandert- oder radelt, kann fast hinter jeder Wegbiegung in neue Seen springen. Wer ein Floß oder Hausboot chartert – oder lospaddelt – dem stehen hunderte Routen über Kanäle und Seen offen. Das maritime Wegenetz ist gut ausgebaut. Es gibt auch jede Menge komfortable Marinas und Campingplätze mit Anlegestellen für Wasserwanderer. Kein Problem also, über Nacht eine Bleibe zu finden. Aber es macht ja auch Spaß, mitten auf einem See oder in stillen Bucht zu ankern, wenn der Tag langsam geht und an Deck unterm Sternenhimmel die blaue Stunde beginnt.

"Im Traum gesehen. Das Haus am See", es steht in Diemitz

„Im Traum gesehn. Das Haus am See“, singt Peter Fox, Frontmann der Reggae-Gruppe Seeed. Am Ufer des Vilzsees im Dorf Diemitz, knapp hinter der märkischen Grenze, haben sich Heike und Tobias Müller-Deku diesen Traum verwirklicht. Sanft fällt ihr Garten vom Wohnhaus zum Ufer ab, alte Obstbäume stehen auf der Wiese. Beide sind Berliner, wohnen in Moabit, doch 2002 haben sie sich in Diemitz verliebt. Heike, eine schlanke Mitfünfzigerin, dunkle, kurze Haare, aufmerksamer Blick, arbeitet als Architektin. Er ist Anwalt, ein schlanker Typ, Lächeln in den Augen. Sie kauften das Gehöft aus dem 19. Jahrhundert an der Diemitzer Dorfstraße, restaurierten es sorgsam – seither ist Diemitz ihr zweiter Zuhause und weit mehr als ein schönes Ferienziel.

Zweites Zuhause. Die Berliner Heike und Tobias Müller-Deku im Garten in Diemitz
Zweites Zuhause. Die Berliner Heike und Tobias Müller-Deku im Garten in Diemitz

© privat

Das hat mit den Besonderheiten des Dorfes, mit dessen engagierten Bewohnern und mit der Begeisterung von Heike und Tobias Müller-Deku für die Seenplatte zu tun. Mitten in Diemitz steht die barocke, 1765 erbaute Backsteinkirche, Arg heruntergekommen war sie bis vor einigen Jahren. Aber dann gründeten mehr als 50 Diemitzer gemeinsam mit dem Berliner Paar einen Förderverein, sammelten Zuschüsse, Stiftungsgelde und private Spenden ein. Schließlich bekam ihr kleines Gotteshaus neue Biberschwänze aufs Dach, wurde saniert, verputz und im Inneren wieder hergerichtet bis zur bemalten Decke, an der Sonne, Mond und Sterne leuchten.

Vor der Kirche steigt das Dorffest mit Tanzboden und Puppentheater

Längst hat das neue Gemeinschaftsgefühl im Dorf noch weitaus mehr in Schwung gebracht. Im Juli wird vor der Kirche Dorffest gefeiert, mit Tanzboden und Puppentheater. Hinter der Bühne spielen Diemitzer mit, zumal sie in den Geschichten selbst vorkommen, vom Töpfer bis zur Bio-Bäuerin. Zum Beispiel, wenn Gevatter Tod im Dorf Urlaub machen will und sie versuchen, den Mann mit der Sense rasch wieder los zu werden. Theaterdirektoren sind Heike und Tobias Müller-Deku. Sie gestaltet die Puppen, er schreibt die Stücke.
Ein paar Schritte neben ihrem Haus am See hat im Frühjahr 2017 das Restaurant „Regulin am See“ eröffnet. Zwanzig Jahre lang stand dort der Alte Dorfkrug leer. Der Förderverein wollte das Ensemble retten, Heike Müller-Deku leitete die Sanierung, man fand einen Pächter, den Koch Manuel Regulin – der hat inzwischen schon eine Fangemeinde.

Im Cider-Fass muss es "so richtig schön rauschen"

Blick auf die Getränkekarte. „Pomme de Meck“ steht ganz oben. Es ist die neueste Leidenschaft von Tobias Müller-Deku. Er stellt im ungebauten Stall englischen Cider aus mecklenburgischen Äpfeln her. Immerhin 1800 Flaschen hat er zuletzt abgefüllt. Alles ist da, die Heckselmühle und Presse, Gärfässer, in denen Hefe zugesetzt wird, damit es nach zwei Tagen „im Fass so richtig rauscht“. Ziel: etwa acht Prozent Alkoholgehalt. Anschließend gärt der Cider in Lagerfässern nach, wird mit Apfelsirup leicht gesüßt – er soll ja nicht zu knochentrocken schmecken. Zu guter Letzt kommt noch ein Schuss Kohlensäure hinzu, bevor er pasteurisiert wird. Fertig ist das goldgelbe Getränk.

Plop, der Kronkorken fliegt vom Cider-Fläschchen. Der Abend senkt sich auf den Vilzsee, die zwei Berliner lassen die Beine am Steg baumeln, sie geraten ins Schwärmen. Über die romantische Mirower Schlossinsel und die vielen flachen Sandstrände auf der Seenplatte, ideal für Ferien mit Kindern. Über das Flüsschen der Kanu-Abenteuer, die jungen Havel im Müritz Nationalpark. Nur ein paar Meter breit mäandert sie durch Sümpfe und Auwälder, manchmal muss man im Kajak unter tief hängenden Zweigen den Kopf einziehen. Dann strömt sie überraschend hinaus zu einsamen Seen, über denen Milane und Fischadler kreisen. Deutschlands größter Nationalpark an der Müritz ist ein Stückchen Kanada in Mecklenburg. Ohnehin kommt man auf der Seenplatte selten ins Gedränge. Und wer sich nach Meer sehnt, kann an der Müritz bis zum Horizont übers Wasser schauen.

Schmuckstück. Das Mirower Schloss auf der romantischen Insel im See.
Schmuckstück. Das Mirower Schloss auf der romantischen Insel im See.

© picture alliance / dpa

Aber nun noch ein Ausflug zu einem Gewässer, das kaum jemand kennt. Erlen und Buchen umrahmen den Großen Wummsee bei Diemitz. Stille, der Wind treibt kleine Wellen vor sich her. Nur einer fährt hier ab und zu im Boot raus: Fischer Wilhelm Gehrt. Er fängt ja nicht nur den silbrig glänzenden Schatz des Sees, er kümmert sich auch darum, dass der Fischreichtum der Region erhalten bleibt. Sechs Seen hat er rund um Flecken-Zechlin gepachtet, darunter auch den glasklaren, 40 Meter tiefen Wummsee. Maränen lieben solche Seen. Wenn sie zum Planktonfressen aufsteigen, gehen sie Gehrt ins Netz. Doch alljährlich Mitte März setzt er bis zu fünf Millionen frisch geschlüpfte Maränen im Wummsee aus. Drei Tage können sie allein von ihrem Dottersack zehren, dann brauchen sie Nahrung aus dem See. Ist es zu kühl wie in diesem Frühjahr, gibt es kaum Plankton. Die Mehrheit der Fischchen stirbt.

Bei Wilhelm Gehrt schlüpfen zehntausende Jungfische

Jahrelang bestellte Wilhelm Gehrt die Winzlinge bei Zuchtfirmen, doch inzwischen hat er eine eigene „Aquakultur“ für Hechte und Maränen aufgebaut. Er fängt die Weibchen, streift deren Laich ab – es sind jeweils mehr als zehntausend Eier – füllt diese in Spezialgläser, die von Wasser durchspült werden und wartet, bis die Jungfische schlüpfen. „Hochspannend, ist das“ sagt er. Durch die transparente Eihaut kann er beobachten, „wie die Augen der Fische langsam heranwachsen“.

Aquakultur im Fischerhof Flecken Zechlin von Wilhelm Gehrt. Temperiertes Wasser strömt durch Spezialflaschen und Wannen, in denen der Fischlaich ausgebrütet wird.
Aquakultur im Fischerhof Flecken Zechlin von Wilhelm Gehrt. Temperiertes Wasser strömt durch Spezialflaschen und Wannen, in denen der Fischlaich ausgebrütet wird.

© privat

Über die Jungfische freuen sich im übrigen auch die Eisvögel. Die kleinen kobaldblauen-orangeroten Fischjäger hocken bei Gehrt sogar auf der Dachrinne der Räucherei. Blitzschnell stürzen sie sich auf ihre Beute. Sie sind ständig im Stress. „So ein Eisvogel“, sagt Gehrt, braucht alle drei Stunden neue Nahrung“.

Die Serienkarte zur Seenplatte in Mecklenburg.
Die Serienkarte zur Seenplatte in Mecklenburg.

© Repro: Tsp

Mit unserer Serie „Glück am Wasser“ entführen wir Sie zu den sechs schönsten wasserreichen Gebieten der Region.
Zu jeder Folge liegt dem Tagesspiegel eine Ausflugskarte bei, die Sie mit Ihrer Zeitung im Abonnement erhalten oder beim Kauf des Tagesspiegels am Kiosk.

Auf jeder Karte finden Sie zur Orientierung die jeweilige Region mit den schönsten Boots-, Wander- und Radtouren entlang der Seen und Flüsse sowie Tipps zu Sehenswürdigkeiten, Marinas, Picknick- und Badeplätzen. Ergänzt wird alles durch Infos zur Anreise, Übernachtung, Gastronomie und zu Bootsverleihern.

Hier sind die Erscheinungstage:
21. April, die Havelseen
25. April, Kleinseenplatte in Mecklenburg 
28. April, Löcknitz und Unterspree
2. Mai, Anklam/Peenetal
5. Mai, Schwerin/Plau am See
9. Mai, Fürstenberg/Havel

Viel Vergnügen!

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