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Ganz im Stil der Sixties: Serie "S1" von Peter Maly für Tecta, 1967.

© Promo/Tecta

Designgeschichte: Natürlich Quadrat

Der Designer Peter Maly über die ausgewogene Elementarform und deren Einfluss auf Künstler, Architekten und sein eigenes Werk.

Eine wunderbare Form, das Quadrat! Für mich ist sie eine der reinsten und klarsten Formen: ohne Richtungsbetonung und dadurch von vollkommener Ausgewogenheit! Das Quadrat steht für Standhaftigkeit, Festigkeit und Ruhe. Diese vier gleichen Seiten, die im rechten Winkel zueinander stehen, umfassen eine Fläche von größter Ausgewogenheit. Denken Sie an die Klarheit eines Schachbrettes, das aus 64 Quadraten besteht.

Viele Künstler und Architekten liebten diese Form, der russische Maler Malevich hat sie unsterblich gemacht mit seinem berühmtesten Bild, dem „schwarzen Quadrat auf weißem Grund“, das 1915 für eine Sensation sorgte: den Beginn einer neuen Kunstrichtung der Avantgarde, des Suprematismus. Der Maler Josef Albers hat mit seiner „Homage to the Square“ dem Quadrat ein Denkmal gesetzt – mit immer gleichen, drei bis vier ineinander geschachtelten quadratischen Farbflächen, bei denen sich nur die Farben veränderten.

In der Architektur gibt es glühende Verfechter der Gestaltung mit Quadraten – so ist da vor allem Oswald Ungers zu nennen, der Architekt der Hamburger Galerie der Gegenwart. Neben vielen anderen Bauten hat er hier in größter Konsequenz gezeigt, dass es möglich ist, auf einem (natürlich) quadratischen Grundriss ein wunderbar harmonisches Gebäude zu gestalten, bei dem wirklich alles – von den Fenstern und Fassadenplatten bis zu den Fußbodenaufteilungen und den Wandkacheln – dieser einen Form folgt.

Eckige Elemente statt Jugendstil-Ranken

Auch bei der Gestaltung von Möbeln gab es bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert zwei bedeutende Persönlichkeiten, die das Quadrat immer wieder in ihre Entwürfe einfließen ließen. Da ist einmal der schottische Architekt und Designer Charles Rennie Mackintosh, einer der führenden Vertreter des Art Nouveau, der auch bis in die Moderne hinein Bedeutung behalten hat. In seinen berühmten Entwürfen ersetzte er die Jugendstil-Ranken auf das Eleganteste durch quadratisch geformte Elemente.

Und dann ist da noch Josef Hoffmann aus Wien. Auch er war seiner Zeit weit voraus. Sehr viele seiner Entwürfe sind durch das Quadrat geprägt – so stark, dass die spöttischen Wiener ihm den Spitznamen „Quadratl-Hoffmann“ gaben. Diese beiden berühmten Gestalter haben auf mich zeitweise sehr großen Einfluss gehabt. Ich bewundere sie sehr, und meine Liebe zum Quadrat habe ich zu großen Teilen ihnen zu verdanken.

Schon bei meinen allerersten Entwürfen wird diese Faszination sichtbar. So war mein erstes Möbel eine Kommode aus der Serie "S1", die nicht nur knallrot lackiert war, sondern auch in neun quadratische Schubkastenfronten unterteilt war, von denen die mittlere pinkfarbig hervorstach und mit einem grünen Fragezeichen gekrönt war. Es waren eben die Sixties! Zeitgleich kam auch mein allererster Sitzmöbel-Entwurf auf den Markt, der Sessel „Trinom“. Auch der huldigte dem Quadrat, basierte er doch auf dieser Form, allerdings mit abgerundeten Ecken. Ein weiterer meiner Entwürfe aus dieser Zeit war der Tisch „M70“, dessen Unterkonstruktion aus gegossenem Metall bestand. Auf verblüffende Art wurde hier mit dem Motiv des Quadrates gespielt: Aus einer Vielzahl von Quadraten mit drei unterschiedlichen Größen entwickelte ich eine Struktur, die in drei Stufen nach oben hin immer leichter und offener wurde.

Auch in meine Innenarchitektur floss die starke Form ein

Ein kontrastreicher Einsatz des Quadrates folgte beim Entwurf des Vitrinen-Programms in den achtziger Jahren, das den bezeichnenden Namen „Quadrat“ erhielt: Vor schwarzem Korpus entfaltete sich die Schönheit der filigranen Kirschbaum-Rahmen, welche die Glasflächen umfassten und gliederten. Hier wurde das Quadrat zum Gestaltungsmotiv und Namensgeber des ganzen Möbelprogrammes. Aber auch in meine Innenarchitektur floss die starke Form ein und schmückt eine gewundene Treppe im Privathaus Lübke, dem Domizil des damaligen Interlübke-Geschäftsführers. Es war eine Spezialanfertigung, die in feinster und aufwendigster Handwerksarbeit aus Ahornholz ausgeführt wurde.

Bei meinem Ausflug ins Art déco durfte das Quadrat auch nicht fehlen – hier spielt es seine Rolle als wirkungsvolles Ornament für den Singulärschrank „Facades“ in Form von schwarz-weißen Intarsienreihen, die die Außenkanten der Türen akzentuierten. Es waren übrigens keine Drehtüren, sie wurden vielmehr zu den Seiten hin verschoben. Geöffnet bildeten sie so ein flächiges Passepartout, das die nun sichtbar gewordenen offenen Fächer wirkungsvoll einfasste.

Das Programm „Menos": Beweis für die Langlebigkeit geometrischer Formen

Nach dieser für mich sehr kurzen Art-déco-Periode kehrte ich jedoch reumütig zurück zu den Wurzeln meiner Arbeit – den Grundsätzen und Formen des Bauhauses. Es entstand neben anderen sehr klar gezeichneten Produkten ein Möbelsystem, das bis heute seine Gültigkeit nicht verloren hat: das Programm „Menos“. Es wurde eines meiner erfolgreichsten und langlebigsten Produkte, das seit 1996 bis heute produziert wird. Das schönste und beliebteste Teil der ganzen Kollektion ist – wie sollte es anders sein – eine großformatige quadratische Kommode, deren Front im strengen Raster in 16 gleich große quadratische Teilfronten aufgeteilt ist. Sie scheint mir ein Beweis zu sein für meine oft geäußerte Theorie von der Langlebigkeit geometrischer Formen. Die Leuchte „Screen“ ist ein weiterer Beweis für die vielseitigen Möglichkeiten des Quadrates: Hier krönt es als leuchtender Kopf auf filigranen Stäben diese Leuchte.

Einen ganz anderen Einsatz geometrischer Formen zeigt mein Entwurf „Circo“. Bei diesem runden Sessel wurde die halbrunde Lehne mit Baumwollgurten beflochten. Besonders schön ist die Wirkung, wenn man schwarze und weiße Gurte benutzt, denn bei der Überschneidung des Flechtens ergibt sich eine schachbrettartige Wirkung. Man kann aber auch eine Zielflagge darin sehen, wie man sie vom Autorennen kennt. So hat es jedenfalls der Fotograf Jaques Schumacher gesehen, der diesen Sessel inszenierte. Ich habe mich damals auch sehr eingehend mit dem Bereich Textildesign beschäftigt und dabei entdeckt, dass auch Teppiche geometrisch gestaltet werden können. Die so entstandenen 20 seriellen, meist quadratischen Motive wirken fast wie Bilder einer Ausstellung. Die Wollflächen werden dabei durch Leder- und Edelstahlintarsien konturiert. Bei einigen Exemplaren sind sogar einzelne Teilbereiche in Seide ausgeführt, um den Glanzgrad dieses edlen Materials zu nutzen.

Aber auch Accessoires-Elemente können bei mir zum Quadrat werden. Etwa eine asiatisch inspirierte Box aus Holz, versehen mit einem Metallsteckverschluss aus poliertem Aluminium, der ein zeichenhaftes Kreuz auf kreisförmigen Grund bildet und so ein fast magisches Flair ausstrahlt.

Die Quadratur des Flügels

Und auch Musikinstrumente können das Quadratmotiv tragen – auf jeden Fall wenn sie von mir entworfen werden: Bei dem 1997 entwickelten Flügel „Vivace“ wurde die geschwungene Kante des Korpus mit einer Intarsie betont. Sie besteht aus einer langen Reihe von polierten Edelstahlquadraten, die in die Holzoberfläche eingelassen wurden. Eine Besonderheit ist das 213 mal 213 Zentimeter große Regal „Lines“, das ich 2008 für ligne roset entwarf, denn „es tanzt aus dem Rahmen“. Das ist ganz wörtlich gemeint, denn innerhalb des breiten Außenrahmens, der konsequent meiner klaren Quadrat-Philosophie folgt, geht es im Inneren sehr munter zu: Statt eines zu erwartenden Quadratrasters kreuzen und überschneiden sich die Linien des Regals ziemlich anarchisch! Gerade diese Spannung zwischen außen und innen hat mich gereizt, wobei ich behaupte, dass es am Schluss trotzdem ein quadratisches Regal geblieben ist.

Bei dem 2015 neu überarbeiteten „Menos“- Programm wurde das Quadrat nun sogar zum Maß für alle Kommoden. Alle Fronten sind in Quadrate aufgeteilt, hinter denen sich die unterschiedlichen Funktionen verbergen: breite und schmale Schubkästen, Auszüge und Einlegeböden hinter Türen, die aus vier Quadraten zusammengefügt sind.

Zum Schluss noch eine letzte Anwendung des geliebten Quadrates: Anlässlich meiner Ausstellung 2002 im Kunstgewerbemuseum Berlin entwarf das Berliner Grafikstudio Ott+Stein ein Plakat, das meine wichtigsten Arbeiten zeigte, sie hatten diese in Form eines auf die Spitze gestellten Quadrates angeordnet. Sie werden es nicht glauben – die Grafiker haben das spontan so gestaltet. Es schien mir ein Beweis dafür, dass das Quadrat wohl eine wichtige Rolle in meinem Arbeiten gespielt haben muss. Aber natürlich muss ich am Schluss darauf hinweisen, dass mein Werk nicht nur aus lauter Quadraten besteht – schließlich gibt es ja auch noch die wundervolle Form des Kreises ... Aber davon ein anderes Mal!

Peter Maly

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