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Klassik auf Brasilianisch: Liebhaber von Holz

Mit seinem Ledersessel „Mole“ wurde Sergio Rodrigues 1957 zur Ikone des brasilianischen Designs. Heute entdecken ihn grüne Trendsetter und Anhänger klassisch-moderner Möbel wieder.

Der „Mole“ machte ihn berühmt. Sergio Rodrigues entwarf diesen bequemen Ledersessel 1957 und wurde damit zur Ikone des brasilianischen Möbeldesigns. Heute gilt er neben Joaquin Tenreiro und Jose Zanine Caldas als der Vater einer eigenen brasilianischen Designsprache. Während Tenreiro mit seinen schlichten Entwürfen der Vorreiter auf der Suche nach einem nationalen Möbeldesign war und Zanina Caldas sich damit beschäftigte, dem Holz sein expressives Potenzial zu entlocken, fand Rodrigues in der Kombination von Form und Material das, was heute allgemein brasilianisches Design genannt wird.

Es ist seine Interpretation der brasilianischen Seele und der Einsatz traditioneller Materialien wie Leder, Eukalyptus- und Jacarandaholz, die Rodrigues’ Entwürfe kennzeichnen. Gerade sein souveräner Umgang mit dem Zeitgeist brachte ihm 1961 auf der Biennale in Mailand für seinen „Mole“-Sessel, der unter dem Namen „Sheriff“ vermarktet wurde, unter 400 Bewerbern aus 35 Ländern den ersten Preis ein. Das Moma in New York adelte ihn zusätzlich, indem „Mole“ in die ständige Sammlung aufgenommen wurde.

Zwar räumte Rodrigues auch in den Folgejahren noch etliche Preise und Auszeichnungen ab, aber da weder seine Heimatstadt Rio de Janeiro noch die Hauptstadt Brasilia als Design- Hotspots gelten, geriet der Meister auch bald wieder in Vergessenheit. Heute entdecken ihn Trendsetter und Fans klassisch-moderner Möbel wieder. Man findet seine markanten Sessel und Stühle in hippen Designhotels in Miami, trendigen Lofts in New York oder mondänen Apartments in London.

Sammler sind bereit, viele Tausend Euro für schöne Exemplare aus früheren Möbelkollektionen zu zahlen, und Designgurus wie Philippe Starck propagieren seine Entwürfe. Das hat wohl auch den Münchner Möbelhersteller ClassiCon dazu animiert, acht von Rodrigues’ bekanntesten Stücken wieder aufzulegen. Damit kommt auch eine neue Generation in den Genuss, diese von Bauhaus, Minimalismus, Funktionalismus, Shakerstil und organischem Design inspirierten Möbel zu besitzen.

Und obwohl Rodrigues immer schon auf handwerkliche Sorgfalt und natürliche Materialien gesetzt hat, ihm Wegwerfmöbel und schnelllebige Moden zuwider waren, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass er mit seinem Postulat der Nachhaltigkeit an der Front des neuen grünen Designs landen würde. „Mit ihren organischen Formen, mit ihren fast ausschließlich natürlichen Materialien sind seine Möbel unglaublich up to date“, sagt Alexandra Böninger von ClassiCon. „Obwohl sie überwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammen.“

Rodrigues’ Ziel sei es denn auch, Möbel zu machen, die man behält, weil sie einem ans Herz gewachsen sind. Moderne Klassiker eben, zeitlos und schön. Aber wer ist der Mann hinter diesen Entwürfen?

1927 in Rio de Janeiro geboren, studierte Sergio Rodrigues in seiner Heimatstadt Ende der vierziger Jahre Architektur, als brasilianische Architekten und Stadtplaner wie Lúcio Costa und Oscar Niemeyer große Aufmerksamkeit auf sich zogen und Niemeyer sogar als Vertreter von Le Corbusier im Planungsgremium für das Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York saß.

Rodrigues erkannte, dass zu dieser Zeit in Brasilien zwar auf die Architektur von öffentlichen und privaten Gebäuden sehr viel Wert gelegt wurde,´ Qualität und Innovation gefordert wurden, die Innenausstattung konnte dagegen diesem modernen Geist ihrer Außenhaut nicht gerecht werden. „Man setzte Möbel im Kolonialstil oder Importware ein“, erinnert er sich. „Den Möbeln fehlte diese Art der nationalen Identität, zu der die Architektur gefunden hatte.“ Diese Erkenntnis inspirierte Rodrigues schließlich 1956 Oca Industries in Ipanema zu gründen, einem der bekanntesten Stadtteile von Rio de Janeiro.

Die Marke wurde aufgrund von Rodrigues’ Arbeiten schnell zum Inbegriff für modernes brasilianisches Möbeldesign. Aber Oca war mehr als nur ein Studio für Innenarchitektur, Einrichtung und Bühnenbild. Neben einer Kunstgalerie boten die Räumlichkeiten auch eine Ausstellungsfläche für die Möbel von Sergio Rodrigues. In die Anfangsjahre von Oca fiel der Bau der neuen Hauptstadt Brasilia.

Während Lúcio Costa mit der Stadtplanung beschäftigt war, entwarf Oscar Niemeyer alle wichtigen Gebäude. „Damals hatten wir keine Zeit, um Möbel zu entwerfen. Wir nahmen Möbel, die bereits auf dem Markt waren und wählten unter ihnen aus, was der Palast brauchte“, sagt Niemeyer. „Der Designer, zu dem ich dann hauptsächlich ging und mit Entwürfen beauftragte, war Sergio Rodrigues.“ Und der widmete ihm und dem Kollegen Costa 1956 im Gegenzug jeweils ein Sitzmöbel.

Während „Lucio“ ein einfacher und dennoch eleganter Stuhl ist, der an traditionelle Bugholzmöbel erinnert, pragmatisch und klar wirkt, hat „Oscar“ fast schon etwas Gemütliches. Der sesselartige Aufbau, kombiniert mit den geschwungenen Armlehnen, suggeriert etwas mehr Ruhe und Gelassenheit. Fast so als wolle er seinen Besitzer einladen, sich eine Auszeit zu gönnen.

Obwohl nicht unerfolgreich, verließ Rodrigues Oca Industries 1968 und widmete sich fortan in seinem eigenen Studio dem Entwerfen von Möbeln für die Serienfertigung. In den letzten 50 Jahren sind so über 1200 Möbelentwürfe entstanden, wobei manche nur als Prototypen existieren. Darüber hinaus ist er auch als Architekt und Innenarchitekt tätig, entwirft Hotels, Büro- und Privathäuser. Dabei entstehen aus seiner großen Passion für Holz zum Teil hochkomplexe Holzkonstruktionen für den modularen Hausbau. Zu seinen bekanntesten Projekten zählen die Brasilianische Botschaft in Rom und das Nationaltheater in Brasilia.

Auch wenn Sergio Rodrigues mit über 80 Jahren gewiss kein junger Hüpfer mehr ist und seine innovativsten Entwürfe auch schon älter sind: Trendiger können Möbel zurzeit kaum sein. Vielleicht gerade weil sie unprätentiös, ästhetisch anspruchsvoll, unaufdringlich, natürlich und zeitlos sind.

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