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Prediger der Nachhaltigkeit: Ehrlich bleiben

Der belgische Architekt und Designer Vincent van Duysen entwirft alles, von der Türklinke über Möbel bis zum Hochhaus.

Der Antwerpener Architekt Vincent Van Duysen verbuchte seine ersten internationalen Erfolge mit Inneneinrichtungen. 2010 erschien bei Thames & Hudson in London eine luxuriöse Monografie mit einer Übersicht über seine zwanzigjährige Karriere. Inzwischen hat er auch eine ausgezeichnete Reputation als Architekt erworben. Er baut in Mailand, London, New York, Dubai und Saudi-Arabien. Aber auch für Möbel findet er immer noch Zeit. Designprojekte von ihm wurden bei B&B Italia, Pastoe, Toscoquattro und Swarovski vorgestellt.

In der Nachkriegsblüte des italienischen Designs fand es jedermann ganz normal, dass Architekten in der Design-Industrie eine führende Stellung einnahmen. Die „maestri“ des iatlienischen Designs waren fast alle Architekten. Berühmte Beispiele sind die Brüder Castiglioni, Vico Magistretti, Ettore Sottsass oder Alessandro Mendini. Auch früher war es für Architekten selbstverständlich, Möbel und Gegenstände für die Wohnung zu entwerfen. Sie dachten noch nicht wirklich darüber nach, ob diese Objekte auch dazu geeignet waren, um sie in großen Serien zu produzieren. Die Idee war vielmehr, sie in die Architektur zu integrieren, sodass sie mit ihr ein Ganzes formen würden. Der in Antwerpen geborene Architekt und Designer Henry Van de Velde, unter anderem bekannt als Direktor der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar, ging selbst so weit, dass er außer Möbeln auch Tafelsilber, Vorhänge, Teppiche und sogar die Kleider für die Dame des Hauses entwarf.

Vincent Van Duysen überlässt das Entwerfen von Kleidern gerne seinen berühmten Stadtgenossen, die einen Steinwurf von seinem eigenen Haus entfernt prächtige Showrooms haben, wie die Modedesignerin Ann Demeulenmeester und Dries Van Noten, aber abgesehen davon hat er doch deutlich einige Züge von Van de Velde. Er entwirft Sessel, Steingut und Schränke. Seine Realisierungen reichen von der Türklinke bis zum Wolkenkratzer.

Gegenwärtig werden meistens schärfere Linien zwischen dem Beruf des Architekten, des Inneneinrichters und des Möbeldesigners gezogen. Das ergibt manchmal Missverständnisse über die Position von Vincent Van Duysen. Er wird oft in der Lifestyle-Presse als Designer aufgeführt, aber diese Sicht auf seine Aktivitäten ist etwas eingeschränkt. „Als junger Architekt bin ich umgekehrt an die Arbeit gegangen. Ich habe mich erst in die Frage vertieft: Wie lebt und wohnt der Mensch in seinem Haus? Erst als ich diese Erfahrung gemacht hatte, habe ich angefangen zu bauen“, erklärt er.

Wenn er Möbel oder Objekte entwirft, verliert er nie die Beziehung zur Architektur aus dem Auge. Als Architekt vergisst er andererseits nie das Innere des Gebäudes und bleibt unter allen Umständen stark auf die Frage konzentriert, ob sich die Menschen in einem Raum wohlfühlen. Schlagwörter seines Ansatzes sind: Ruhe, Abgeklärtheit, Klarheit, Integrität, Gleichgewicht, Empfindsamkeit und unstreitig auch Luxus, Geschmack und Verfeinerung im Detail.

Seine Arbeit trägt oft spartanische Züge. Er arbeitet mit maximaler Strenge, wird oft gesagt. Aber er legt auch viel Gefühl in seine Arbeit. Van Duysen hegt eine deutliche Vorliebe für natürliche Qualitätsmaterialien: ehrlich, etwas brutal und am liebsten unbehandelt, mit einer großen Taktilität. Er scheut das Ästhetische nicht. „Schön“ ist für ihn ein natürlicher Bestandteil des Wohlgefühls und der Lebenskunst, die emotionale Seite der Architektur. Auch typisch sein Sinn für Dauer und Kontinuität. Er betrachtet die Vergangenheit mit einem Augenzwinkern.

Seine besondere Laufbahn erklärt, warum er zum Beispiel zum „Designer des Jahres 2009“ auf der 20. Scènes d'Intérieur, dem exklusiven und luxuriösen Ableger des Pariser Salons Maison & Objet ausgerufen wurde. Maison & Objet ist eine französische Messe mit einer typischen französischen Interpretation der Lebenskunst und der Atmosphäre. Dass solch ein Salon Vincent Van Duysen wählt, beweist, wie stark sein Werk mit einem bestimmten Lebensstil verwoben ist.

Es ist immer noch sehr ungewöhnlich, dass ein Belgier international als Designer oder Architekt Aufsehen erregt. Belgien hat noch immer keine allzu große Reputation als Design- oder Architekturland, auch wenn einige außergewöhnliche Talente wie Vincent van Duysen und der verstorbene Maarten Van Severen (1956-2005) diese Reputation gegen Ende der 90er Jahre zum Positiven hin ändern konnten.

Großes Gefühl für Präzision

Die Handschrift des Architekten ist unverkennbar: Beistelltische "Surface".
Die Handschrift des Architekten ist unverkennbar: Beistelltische "Surface".

© Tribu

Zufällig war das allererste Interieurprojekt von Van Duysen für einen deutschen Auftraggeber. Es war eine moderne Renovierung einer authentischen spanischen Finca auf Mallorca mit maximalem Respekt vor dem ursprünglichen Geist des rustikalen Landhauses. Deutschland ist allgemein gesprochen kein so einfaches Land für Designer oder Architekten, findet er. Aber er hat die Zusammenarbeit in angenehmer Erinnerung behalten. Für einen kreativen Geist kann das deutsche Gefühl für Struktur und Disziplin sehr bereichernd wirken, sagt er mit Überzeugung. Er habe sowieso selbst ein großes Gefühl für Präzision.

Ein Teil der internationalen Lifestyle-Presse entdeckte Vincent Van Duysen während der Mailänder Möbelmesse, wo 2000 sein „Nido Chair“ bei Cappellini und 2002 sein „VVD Collection“ (Loungesessel mit einer sehr feinen Silhouette) für B&B Italia präsentiert wurden. Der Enthusiasmus steigerte sich 2003 mit seinem „Cascade Chandelier“ für Swarovski . Dieser theatralische Kronleuchter kann, wie der Name suggeriert, am besten umschrieben werden als ein beeindruckender Wasserfall von glitzernden Kristallen, die auf eine Tischoberfläche klirren. Integrierte LEDs liefern ein atemberaubendes Licht- und Reflektionsspiel.

Als junger Architekt hatte Van Duysen schon eine auffallende Vorliebe für Holz. Die Oberflächenbehandlung war dabei immer entscheidend. Er gab dem Holz mit Vorliebe einen durchlebten Charakter, was zu dem Zeitpunkt noch ungewöhnlich war. Dieses Irdische und Robuste kam an. Er passte gut zum Zeitgeist. Das erklärt vielleicht auch, warum sein „Pottery Tableware“ für das exklusive belgische Label When Objects Work (2004) viel Resonanz bekam. Der Ausgangspunkt in dem Fall war, dass er gerne auf eine interessante und zeitgenössische Art mit Keramik und Archetypen arbeiten wollte. Er wechselte seine Keramikschalen ab mit kontrastierendem Holz, sandgestrahlter Eiche, einem kleiner Seitenhieb auf Käse- und Brotbretter.

In seinem freistehenden Schrank „Totem“ für Pastoe kommen einige Charakteristika seines „Pottery Tableware“ zurück. Dieses Mal geht es nicht mehr um eine ästhetische Stapelung von Schalen sondern um Aufbewahrungselemente oder Container. Auch sorgt der Kontrast zwischen dem farbigen Rumpf des Schranks und der etwas brutaler anmutenden hölzernen Zwischenstücke für eine interessante Spannung. Hier entsteht ein schönes Bildnis, das durch geometrische Farbflächen Assoziationen zu Mondriaan aufruft.

Van Duysen bekam von Pastoe für dieses Projekt freie Hand. Er arbeitete die Idee eines frei stehenden Schrankes aus, der gut zu dem konsequenten, einfachen, calvinistischen und architektonischen Image der Firma Pastoe passen würde. Die Zwischenstücke sorgen dafür, dass die Module rotieren können, wodurch der strenge, statische Schrank einen dynamischen und wechselnden Charakter bekommt. Man wählt selbst, ob man die offenen oder geschlossenen Teile sichtbar lässt. Das spartanische System ist multifunktional. Die Module können als niedriger Beistelltisch, als Bibliothek, als Schränkchen für die Küche oder das Büro zusammengestellt und gebraucht werden, mit dazu passenden Plateaus, kleinen Schränkchen und Schubladen…

Ist es Zufall, dass Swarovski ihn zum zweiten Mal einlud, um an dem Projekt „Crystal Palace“ in Mailand teilzunehmen? Es schien ein Zeichen an der Wand zu sein. Swarovski ging die vergangenen Jahre stark mit dem sogenannten Decodesign-Trend mit. Wir kannten eine Periode von übertriebenem Glitter, Glamour, üppigem Dekor und dekadentem Materialgebrauch… Dieser wilde Trend hat nun deutlich nachgelassen. Das Publikum sehnt sich wieder nach Ehrlichkeit und Zeitlosigkeit.

Mit seiner linearen Installation „Frost“ – ganz einfache starre vertikale Formen – komt Van Duysen der neuen Mentalität perfekt entgegen. Die eher trendigen Medien, die vor einigen Jahren noch geneigt waren, ihn ein wenig links liegen zu lassen, weil er zu „minimalistisch“ war, haben ihn nun wieder entdeckt. Seine Kollektion Surface-Beistelltische für B&B Italia, seine „Neutra“- Outdoor-Kollektion für die belgische Marke Tribu, seine neue Kollektion von Objekten für When Objects Work… alle diese Projekte werden wieder geschätzt.

Die Bilanz der 20-jährigen Karriere fällt überraschend positiv aus. „Ich bin immer ein Prediger der Nachhaltigkeit gewesen. In diesem Sinne war ich einigen aktuellen Themen voraus. Ich habe niemals mit modischen, technologischen Materialien gearbeitet, sondern habe immer soliden, dauerhaften, zeitlosen Materialien den Vorzug gegeben. Es ist für mich immer eine selbstverständliche Haltung gewesen, um bewusst mit der Formgebung umzugehen und dem gesellschaftlichen und sozialen Kontext Rechnung zu tragen. Nach zwanzig Jahren stelle ich fest, dass sich meine Handschrift nicht verändert hat. Ich bin mir selbst treu geblieben. Ich bin niemals ein Spektakelarchitekt gewesen. Ich erlebe nun, dass meine Vision, meine Haltung, meine Entscheidungen gut zu den Themen und Sorgen passen, die heute wieder stark in den Vordergrund treten. Das ist keine Frage von Hellseherei. Keineswegs. Ich sehe mich selber als den Koch, der immer mit seinen frischen, ehrlichen Produkten aus der Region gearbeitet hat. Heißt es nicht: Ehrlich währt am längsten?“.

Aus dem Niederländischen von Rolf Brockschmidt

Chris Meplon

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