zum Hauptinhalt
"Teamwork zählt": Der Architekt Matteo Thun ist bescheiden.

© Nacho Allegre

Stararchitekt Matteo Thun: "Jeder kann Designer sein"

Der Italiener baut Luxushotels und Flüchtlingsunterkünfte, er entwirft Möbel und Wasserhähne. Jetzt hat er seine erste Kollektion herausgebracht.

Ein lauer Sommerabend im Berliner Bikini-Haus. Matteo Thun erscheint im tadellos sitzenden Anzug auf der Party der Firma Design Hotels. Er strahlt Ruhe und Gelassenheit aus und nimmt sich Zeit für Gespräche, bevor er ein paar Worte an die Gäste richtet. Design Hotels, ein Netzwerk unabhängiger Luxus- und Boutiquehotels, hatte den Architekten anlässlich der Veröffentlichung seines Jahrbuchs eingeladen. Thun entwarf seinerzeit das Side Hotel in Hamburg, ein Mitglied des Netzwerks. Als erstes Fünf-Sterne-Designhotel der Stadt wurde es 2001 zu einer Zeit erbaut, in der sich noch nicht jedes Flughafenhotel seines „modernen Designs“ rühmte. Aktuell ist Thun in der Hansestadt am Bau des Luxushotels The Fontenay beteiligt, das den Anspruch hat, das beste Hotel Deutschlands zu werden.

Für Design Hotels gilt der Italiener als „Influencer“, als jemand, der die Hotelarchitektur und die Designlandschaft maßgeblich beeinflusst. Davon möchte der in Mailand, Schanghai, in der Schweiz und auf Capri lebende Architekt aber nichts wissen. Auch die Ehre, die ihm das Magazin „Architektur & Wohnen“ mit der Kür zum Architekten des Jahres 2016 zuteilwerden ließ, beeindruckt Matteo Thun kaum. Für ihn ist das Zeitalter, in dem ein Designer oder Architekt mit seinem Namen für einen bestimmten Stil oder eine unverwechselbare Formsprache stand, passé.

No-Design nennt er diesen Ansatz und sagt: „Ich denke, wichtiger denn je ist gutes Teamwork.“ Wer dabei die Regie führe, sei nicht unbedingt entscheidend. Das hat Konsequenzen für seine Arbeit: „Seit 1995 signieren wir unsere Projekte nicht mehr und lassen ihre Qualität für sich sprechen.“

Der Kunde soll sein Möbel selbst gestalten

So viel Bescheidenheit ehrt Matteo Thun, und tatsächlich lässt sich nicht jedes Bauwerk sofort seinen Architekten zuordnen. Doch natürlich ist sein Name trotzdem schon lange eine Marke. Seine geschwungene Unterschrift ist das Logo seines Büros Matteo Thun & Partners. Sein neuestes Projekt trägt den Namen „Matteo Thun Atelier“. Damit folgte er dem Vorbild vieler Kollegen und brachte zur Mailänder Möbelmesse 2016 eine Eigenkollektion heraus. Sie entstand aus Thuns Begeisterung für das italienische Handwerk. „Wir wollten unsere Erfahrungen aus Architektur und Design mit dem Wissen italienischer Handwerksbetriebe zusammenbringen“, erklärt er die Idee.

Die bunten Keramikvasen stammen aus Thuns „Atelier“- Kollektion.
Die bunten Keramikvasen stammen aus Thuns „Atelier“- Kollektion.

© Marco Bertolini

Entstanden sind bunt bezogene Sessel, handgefertigte Holzstühle, Keramik aus der Toskana und mundgeblasene Vasen aus Venedig, die unter www.matteothunatelier.com erhältlich sind. Preise sucht man dort allerdings vergeblich. Oft kann der Kunde zwischen unterschiedlichen Farben, Mustern und Materialien wählen und sich so sein individuelles Produkt zusammenstellen. „Ich glaube, dass jeder Designer sein und sein Unikat selbst gestalten kann“, sagt Matteo Thun. Sein Ziel ist es, nicht nur Privatleute anzusprechen, sondern den Manufakturen auch Großaufträge, etwa von Hotels, zu verschaffen.

Die Freude am Gestalten brachte Matteo Thun – der als Matthäus Antonius Maria Graf von Thun und Hohenstein in eine Bozener Unternehmerfamilie geboren wurde – als jungen Mann dazu, Architektur zu studieren und 1975 in Florenz zu promovieren. Zwei Jahre später gründete er mit Ettore Sottsass und anderen das Büro Sottsass Associati und die Gruppe Memphis. Das Ziel der Designer-Vereinigung war es, sich von den Auftraggebern aus der Industrie zu emanzipieren und selbstbestimmt zu arbeiten. Farbenfrohe Kunststoffmöbel wurden zu einem Markenzeichen der selbsternannten Anti-Funktionalisten.

Er wehrt sich gegen eine Wegwerfgesellschaft, sein Ansatz: "Triple Zero"

1984 gründete Matteo Thun sein eigenes Büro. Er richtete den Münchner Schickimickiclub P1 ein, entwarf Hotels und Wellnessoasen wie die Therme Meran, das Fertighaus „O Sole Mio“ für den österreichischen Hersteller Griffner, aber auch Bürostühle, Porzellan, Sonnenbrillen, Teppiche, sogar ein Dusch-WC. Klingt wahllos, ist es aber nicht. Denn Thun sieht sich in erster Linie als „ganz normaler Architekt“. Zum Designer wird er, wenn es für seine Projekte relevant ist oder ihn die Entwicklung eines Produkts wirklich reizt.

Ab und zu baut er auch ein Privathaus. Sie gehören aber nicht zu seinen Favoriten, da sie „mindestens so aufwendig wie ein großes Hotel“ seien, sagt er. Auch bei Großprojekten ist er wählerisch: „Fast wöchentlich lehne ich Projekte ab, die entweder rein spekulativer Natur sind oder an Orten, die ich nicht für gut befinde, oder weil das Budget nicht stimmt.“ Außerdem müssen seine Auftraggeber seine Auffassung zum Thema Nachhaltigkeit teilen. Das gilt für den Bau und die Ausstattung, aber auch fürs Design. Seine Gebäude sollen auch noch in 50 oder 100 Jahren zeitgemäß aussehen.

Die "Chiavarina Chairs" werden in Ligurien von Hand gefertigt.
Die "Chiavarina Chairs" werden in Ligurien von Hand gefertigt.

© Marco Bertolini

Er wehrt sich gegen eine Wegwerfgesellschaft und fasst seinen Ansatz als „Triple Zero“ zusammen: „Wir verwenden Materialien aus der unmittelbaren Umgebung, um die sogenannte graue Energie auf ein Minimum zu reduzieren, also kein Marmor aus Südamerika oder andere Baustoffe, die von weit her kommen. Auch die Arbeiter kommen aus nächster Umgebung. Die zweite Null steht für null CO2. Wir verwenden Bodensonden statt Solarpaneele, von denen ich nicht viel halte, weil sie nur die Dächer verschandeln. Die dritte Null steht für null Müll, das heißt, dass sich ein Gebäude auch zurückbauen lassen muss.“ Thun ist ein Gegner von Beton. Als Baustoff verwendet er vor allem Holz, das Patina bekommt und leicht recycelt werden kann.

In München Notunterkünfte für Geflüchtete, die er entworfen hat

Und wie wohnt der Architekt privat? „Meine Häuser müssen möglichst alte Mauern haben, eine sehr gute Akustik, sehr gute hydroskopische Eigenschaften und eine angenehme Lichttemperatur“, sagt er. Luxus ist dabei Nebensache. Er besteht für Matteo Thun darin, Zeit zu haben. Er liebt Einfachheit, Subtraktion anstelle von Addition, Befreiung von Überflüssigem.

Das gilt auch für seine Hotels und ihre Wellnessbereiche. Gegen Hamams hat er eine Abneigung („Das mag in Istanbul funktionieren, aber nicht bei uns in Nordeuropa“) und Kraftmaschinen kommen ihm nicht ins Haus. „Ich mache jeden Morgen abwechselnd Yoga und Pilates. Um sich fit zu halten, braucht man nicht mehr als eine Matte und eine Sprossenwand.“ Wenn er selbst auf Reisen ist, zählen für ihn vier Dinge: schnelles Check-in, eine hervorragende Dusche, eine hervorragende Matratze, „und leise muss es sein“.

Dabei zeichnen sich seine aktuellen Projekte durch wesentlich mehr Komfort aus. Das JW Marriott Venice Resort & Spa auf einer Insel in Venedig entstand auf dem Gelände eines alten Krankenhauses und wurde zum Besten Hotel des Jahres 2015 gekürt. In Kürze eröffnet am Vierwaldstättersee in der Schweiz ein Gesundheitshotel, in dem die Gäste ihr Obst und Gemüse selber ernten und mit einem Koch zubereiten können.

Besonders am Herzen liegt ihm ein Projekt, das gerade in Bayern gebaut wird. Die von ihm entworfenen „Welcome Homes 123“ dienen als Notaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete und können dann Schritt für Schritt in Wohnheime und sogar eigene Wohnungen umgebaut werden – zum Großteil von den Bewohnern selbst. Damit möchte er ihnen eine sinnvolle Beschäftigung geben und das Gefühl, etwas beizutragen und selbst gestalten zu können. Menschen mündig zu machen und nicht zu Sklaven von Trends und Konsum, ist Matteo Thuns wichtigste Maxime. Und sie lebt er bei jedem seiner Projekte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false