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Computersimulation eines HI-Virus

© Getty Images/Science Photo Library RF

Wie ist die Situation bei HIV und Aids?: „Die Stigmatisierung ist immer noch enorm“

Wie weit ist die Therapie von Aids? Ist das HI-Virus für Corona-Infizierte besonders gefährlich? Ein Gespräch zum Welt-Aids-Tag mit Clara Lehmann von der Uniklinik Köln.

Von Claudia Füßler

Stand:

Frau Lehmann, die Infektsaison hat begonnen, zusätzlich zu den üblichen Viren begleitet uns nun schon seit einigen Jahren das Sars-CoV-2-Virus. Was bedeutet das für Menschen, die mit einer HIV-Infektion leben?
Eine HIV-Infektion greift das Immunsystem an. Generell gilt: Mit einer Immunschwäche sind zusätzliche Infektionen immer gefährlich, weil sie schwerer verlaufen können. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Betroffene auf der Intensivstation behandelt und womöglich sogar beatmet werden müssen. Das Risiko besteht allerdings unabhängig davon, ob es sich um Corona oder Grippe handelt. Und ganz wichtig: Anfällig sind vor allem Menschen mit HIV, die nicht medikamentös behandelt werden.

Was ist bei Betroffenen mit Therapie anders?
Wenn man gut mit sogenannten antiretroviralen Medikamenten eingestellt ist, erholt sich das Immunsystem. Die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, schwer krank zu sein, und sie sind weniger gefährdet, bei einer Infektion beispielsweise mit dem Sars-CoV-2-Virus schwer zu erkranken. Sie haben auch kein höheres Risiko, Long Covid zu entwickeln, als Menschen ohne eine HIV-Infektion.

Musste man früher täglich eine Handvoll Tabletten einnehmen, reicht heute oft eine einzige.

Clara Lehmann, Uniklinik Köln

Wie sieht eine solche Therapie aus?
Heute ist die Situation deutlich besser als noch vor drei Jahrzehnten. Musste man früher täglich eine Handvoll Tabletten einnehmen, reicht heute oft eine einzige. Allerdings ist ein hohes Maß an Selbstdisziplin gefragt, denn diese eine Tablette pro Tag muss konsequent genommen werden. Für viele ist das eine hohe psychische Belastung.

Menschen, die mit HIV leben, sind in unserer Gesellschaft nach wie vor stark stigmatisiert. Aus Angst vor Ausgrenzung versuchen viele, nicht nur die Infektion selbst vor Familie und Freundeskreis geheimzuhalten, sondern auch die regelmäßige Einnahme der Medikamente. Selbst im medizinischen Bereich erleben Betroffene immer noch Diskriminierung und werden beispielsweise als Letzte drangenommen im Wartezimmer. Eine Option, um der Stigmatisierung ein wenig entgegenzuwirken, ist neben viel Aufklärung daher auch ein HIV-Medikament, das einmal alle acht Wochen gespritzt wird, das kann sehr entlasten.

Gibt es schwere Nebenwirkungen?
Die gab es vor allem bei der ersten Generation der HIV-Medikamente, die moderneren sind sehr gut verträglich. Man muss Nieren- und Cholesterinwerte im Blick behalten, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depression und Gewichtszunahme steigt, doch alles im moderaten Bereich im Vergleich dazu, wie sehr das Medikament hilft: Es hemmt die Vermehrung des HI-Virus im Körper.

Bei vielen Patientinnen und Patienten beobachten wir auch nach zehn bis 15 Jahren eine unverändert sehr gute Wirkung ohne Hinweise auf Resistenzbildung. In Europa ist es heute praktisch nicht mehr der Fall, an HIV zu sterben – im Gegensatz zu vielen Regionen des afrikanischen Kontinents, wo der Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkter ist.

So lange man Medikamente bekommt – warum werden manche Menschen, die mit HIV leben, nicht therapiert?
Das passiert meist dann, wenn die Diagnose noch nicht gestellt wurde. Etwa, weil vielleicht Betroffene aus Scham keinen Test machen lassen oder nicht zum Arzt gehen. Auch im hausärztlichen Bereich besteht gelegentlich noch Unsicherheit im Umgang mit möglichen Warnsignalen. Bestimmte Indikatorerkrankungen können auftreten, wenn das Immunsystem schwächer wird, aber noch nicht völlig zerstört ist.

Wenn jemand beispielsweise mit einer Gürtelrose in meine Praxis kommt, empfiehlt sich auf jeden Fall ein HIV-Test. Dennoch zögern viele Ärztinnen und Ärzte, einen solchen Test anzusprechen – aus Befürchtung, die Patientinnen und Patienten könnten dies als verletzend empfinden.

Und wir sollten nicht vergessen, dass die Versorgung auf dem afrikanischen Kontinent sehr viel schlechter aussieht als in Europa, insbesondere, seit die Trump-Regierung viele internationale Programm wie UNAIDS aufgegeben hat. Dort sehen wir viele neue HIV-Infektionen, und dort sterben die Menschen noch an HIV, weil der Zugang zu Behandlung vielfach unzureichend ist.

Wie wahrscheinlich ist es, dass eine HIV-Infektion eines Tages geheilt werden kann?
Sehr – dieser Gedanke treibt unsere Forschung maßgeblich an. Denn auch wenn HIV heute als chronische Erkrankung gut behandelbar ist, schränkt sie die Lebensqualität ein. Die Stigmatisierung ist zudem, wie schon erwähnt, enorm. Es ist daher wirklich wichtig, dass wir an der Heilung forschen. Es gibt ein paar Fälle, in denen Menschen geheilt worden sind, die im Zuge einer schweren Krebserkrankung eine Immuntherapie bekommen haben. Das ist ein vielversprechender Ansatz.

Grundsätzlich kann die Heilung auf zwei Wegen erfolgen: Entweder man hat gar kein HI-Virus mehr im Körper, das wäre die sterilisierende Heilung. Oder das Immunsystem lernt, das Virus dauerhaft zu kontrollieren, ohne dass es eine medikamentöse Unterstützung braucht, das wäre eine funktionale Heilung. Ich halte es für realistisch, dass wir einen dieser Wege erfolgreich beschreiten werden. Und das ist auch meine persönliche Motivation: Wir sollten alles daran setzen, dieses Ziel zu erreichen.

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