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„Unsere Konzerte sind Party“: der WAYS-Chor

© Hannes Zappe

Singende Stadt: Berlins Chöre laufen in der Adventszeit zu großer Form auf

Vom Weihnachtsoratorium bis zum arabischen Rap – die Chorszene der Hauptstadt ist äußerst vielfältig. Wir haben drei Ensembles besucht, die zu Weihnachten ein buntes Programm bieten.

Stand:

Was schenkt man einem Chor zu Weihnachten? Am besten ein paar Tenöre, womöglich mit Schleifchen am Kragen. Auch drei, vier neue Bässe würden Freude auslösen, denn fast überall mangelt es an: Männern.

„Frauen sind viel aktiver, besonders im fortgeschrittenen Alter“, hat Gerhard Schwab, Geschäftsführer des Berliner Chorverbands, beobachtet. Wenn Männer das gemeinschaftliche Singen aber erst mal ausprobierten, dann seien sie „genauso begeistert“.

Berlin, die singende Stadt

Also drehen wir die Aufforderung um: Man schenke nicht dem Chor einen Mann, sondern dem Mann einen Chor. Jetzt in der Weihnachtszeit ist die beste Gelegenheit, sich mit männlichen und weiblichen Freunden verschiedene Chöre anzuschauen und vielleicht einen Gutschein für eine Mitgliedschaft zu verschenken.

Frauen sind viel aktiver, besonders im fortgeschrittenen Alter.

Gerhard Schwab, Geschäftsführer des Berliner Chorverbands

Allein auf der Seite des Berliner Chorverbands sind für den Dezember 38 Konzerte aufgelistet, hinzu kommen viele Weihnachtskonzerte von Eltern-, Lehrer-, Kinder-, Kirchen- oder privaten Chören, die nicht Mitglieder des Verbands sind. Berlin, die singende Stadt! Einige Einblicke in eine äußerst vielfältige Szene.


Polnische Weihnachtslieder beim Studiochor Berlin

Überall wird in diesen Tagen heftig geprobt. Zum Beispiel in der Aula der Friedensburg-Oberschule in Charlottenburg: Hier trifft sich dienstagabends der Studiochor Berlin, ein traditionsreicher Amateurchor, 1969 gegründet.

Der Studiochor Berlin beim Auftritt in der Philharmonie

© Héloise Willand

Stimmbildnerin Sofia Prokimnova macht zuerst einige Lockerungs- und Einsing-Übungen mit den gut 20 Sängerinnen und Sängern: Einatmen mit erhobenen Armen, Ausatmen und Arme sinken lassen, einfache Tonfolgen auf du-du-du und mjammjam, „schickt den Klang in die Nase!“

Der Alltag fällt ab, die Stimmen werden warm und bereit für Bóg się rodzi und Gdy sie Chrystus rodzi: polnische Weihnachtslieder, sogenannte Kolenden. Chorleiter Patrick Orlich ist es ein Herzensanliegen, „Polen stärker im Kulturbetrieb zu verankern“. Er hat selbst polnische Wurzeln und findet es schade, dass viele Deutsche so wenig über das Nachbarland wissen.

Patrick Orlich leitet den Studiochor Berlin.

© Dirk Junghanns

„Singt erstmal alles auf nonono“, sagt Gastdirigentin Felicitas Froebe: Die Melodien und Einsätze lassen sich auch ohne Sprache üben. Dann liest Patrick Orlich die polnischen Texte mit den Sängern zusammen laut vor, mancher schreibt sie sich in Lautschrift auf, und es erklingt ein besonders schönes Arrangement. Über das Singen entsteht Verbundenheit mit anderen Kulturen, bei Sängern wie Zuhörern.

Bei den beiden Weihnachtskonzerten des Studiochors wird, mit Orchesterbegleitung, auch das Oratorio de Noël von Camille Saint-Saëns zu hören sein, ein romantisches Werk, das der französische Komponist 1858 mit 23 Jahren schrieb.

Berühmte Bühne: der Studiochor Berlin in der Philharmonie

© Héloise Willand

„Beginnt mit einem glitzernden Piano, wie eine Weihnachtskugel, die das Kerzenlicht reflektiert“, sagt Felicitas Froebe, die mit ihren 21 Jahren schon sehr souverän agiert. Dass die präzise Arbeit lohnt – „Takt 35, hier am besten gar nicht atmen“ – merkt man am Gesamtklang.


Arabische Strophen beim Begegnungschor

Wer sagt, dass Polnisch eine Herausforderung ist? Arabisch ist auch eine. Seit zehn Jahren gibt es den „Begegnungschor“, der als deutsch-syrischer Chor gegründet wurde: Neumitglieder mussten immer einen Partner oder eine Partnerin aus der jeweils anderen Kultur mitbringen.

Das Weihnachtskonzert des Begegnungschors in der Gedächtniskirche im Jahr 2024

© Begegnungschor e.V.

Diese Regel wurde vor Kurzem aufgehoben: „Viele ehemalige syrische Mitglieder sind in Berlin angekommen, leben ihr Leben, sind weggezogen oder haben keine Zeit mehr für den Chor“, erzählt Sophie-Leonie Kmiecik.

Also wirkt der Chor, wie bei der Probe in einer Schulaula in Berlin-Mitte deutlich wird, nicht mehr ganz so durchmischt wie zu Beginn. „Aber das Orientalische bleibt“: Chorleiter Omar Znkawan, selbst aus Syrien geflohen, studiert außer deutschen und englischen auch arabische, türkische und ukrainische Lieder ein, mit viel Spaß und Bewegung und meist einem Lachen im Gesicht.

Bei Konzerten treten die Sänger gemeinsam mit einer kleinen Band auf, die von dem Geiger Mazen Bou Asi geleitet wird und die, dank Oud und Percussion, orientalisch klingt. Bint el Shalabya von Fairuz: ein Lieblingslied für alle. Und das Glanzstück Die Gedanken sind frei! als witzig-energiegeladener Rap hat hier eine arabische Strophe, ebenso wie das Weihnachtslied Gloria in excelsis deo. Auf dem Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt werden sie am 12. Dezember zu hören sein.

Mit Spaß und Band-Begleitung: der Begegnungschor bei einer Probe

© Begegnungschor e.V.


Soul und Gospel beim WAYS-Chor

Der Chorleiter des WAYS-Chors, der in einem Nachbarschaftszentrum in Tempelhof probt, stammt aus einem Land mit besonders reicher Chortradition: Gunars Kalnins ist Lette. Die Arrangements der Soul-, Pop-, Gospellieder für seine „Waysies“ schreibt der drahtige 44-Jährige mit Cap selbst.

„Er lebt die Musik, das ist ansteckend“, sagt Sängerin Iris, und Sopranistin Nadia ergänzt: „Er kitzelt den perfekten Sound aus uns raus, ist streng und perfektionistisch, deswegen klingen wir am Ende so gut, dass wir selbst überrascht sind!“ 36 Mitglieder hat der Chor im Moment, darunter jedoch, siehe oben, nur drei Männer.

Go, tell it on the mountains, Stille Nacht, Heilige Nacht: Gerade erst haben die „Waysies“ bei einem dreitägigen Chorwochenende für ihren Weihnachtsauftritt geprobt. Dieser Chor, sagt Gunars Kalnins, sei wie eine Familie, einen „incredible sense of community“ stellt er fest. „Unsere Konzerte sind Party“, schwärmt Sängerin Iris. Wer eins erleben möchte, hat dazu am 13. Dezember auf der „Chor Open Stage“ in Weißensee Gelegenheit.

Der Berliner Ways-Chor mit Chorleiter Gunars Kalnins

© Berthold Baldus

Die Chor Open Stage, bei der sechs Chöre an einem Abend auftreten, ist eins der Formate, die der Berliner Chorverband anbietet. Im nächsten Jahr feiert der Verband, der rund 290 Chöre mit 11.000 Sängerinnen und Sängern aus ganz Berlin vereinigt, 125-jähriges Bestehen.

Und plant, ganz unbescheiden, einen Weltrekord: „Wir wollen 125 Stunden durchgängig Chöre auf die Bühne bringen“, sagt Geschäftsführer Gerhard Schwab. Mindestens 200 Chöre von überall her sollen im Atze-Musiktheater in Wedding vom 21. bis zum 26. September Tag und Nacht singen, 140 Anmeldungen seien bereits eingegangen.

Das gemeinschaftliche Singen ist, so Gerhard Schwab, eines der schönsten Hobbys, entspannend, gesellig und lebensverlängernd. Auch über 90-Jährige singen noch mit. „Wenn alte Menschen auf die Bühne gehen, verändern sie sich, blühen auf“, hat Schwab beobachtet.

Peter Krellmann kann das bestätigen. Schon seit 52 Jahren singt er im Studiochor Berlin, 82 Jahre ist er alt und noch immer stimmstark. Beim „Konditorengesangsverein“ hat er mit 15 Jahren mal angefangen, den gibt es schon lange nicht mehr. Aber Krellmann ist der lebende Beweis für Gerhard Schwabs These: Wer das gemeinschaftliche Singen schon als Kind oder Jugendlicher kennengelernt hat, findet, gegebenenfalls nach einer berufsbedingten Unterbrechung, auch wieder dorthin zurück. Männer ebenso wie Frauen.

Und mancher kommt auf den Geschmack, wenn – wie bei vielen Chorkonzerten in diesen Tagen – gemeinsam mit dem Publikum gesungen wird, deutsch, polnisch, englisch, arabisch oder schlicht: weihnachtlich.

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