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Schlau, schön, schmackhaft: Gänse haben den Forscher Konrad Lorenz beeindruckt, das US-Militär nutzt sie als „Wachtiere“. Zu Weihnachten landen sie im Backofen.

© picture alliance / dpa

Antibiotika: Gänse als riskanter Festtagsbraten

Klaus Reimer, Landestierarzt in Brandenburg, warnt: Auch Gänse und Enten bekommen Antibiotika. Die Geflügelbauern widersprechen.

Schlechte Nachrichten vor dem Fest: Nicht nur Masthähnchen bekommen Antibiotika, auch Gänse und Enten werden mit den Mitteln behandelt, sagt Klaus Reimer, der Landestierarzt von Brandenburg. Reimer ist zuständig für die Bekämpfung von Tierseuchen, den Tierschutz und die Kontrolle des Einsatzes von Arzneimitteln bei Nutztieren. „Gänse und Enten leben in der freien Natur“, betont der Tierarzt, daher sei das Krankheitsrisiko bei diesen Wassertieren höher als bei Hähnchen, die ihr kurzes Leben in Geflügelfarmen verbringen, ohne Auslauf nach draußen.

Ein noch höheres Risiko, das klingt alarmierend. Denn bei Masthähnchen werden immerhin 96,4 Prozent der Tiere mit Antibiotika behandelt, wie das nordrhein-westfälische Verbraucherministerium kürzlich in einer Studie herausgefunden hat, die nach Meinung des Ministeriums bundesweite Gültigkeit hat. „Der Einsatz von Antibiotika hat ein Ausmaß erreicht, das alarmierend ist“, kritisiert der Düsseldorfer Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne). Bis zu acht verschiedene Mittel seien eingesetzt worden, das forciere die Bildung multiresistenter Keime, gegen die Antibiotika dann nicht mehr wirken – beim Tier und beim Menschen. Und nun sollen auch noch Enten und Gänse, die Lieblingsweihnachtsvögel der Deutschen, betroffen sein.

Christine Bausemer fährt aus der Haut, wenn sie das hört. „Null Antibiotika“ hätten ihre Tiere bekommen, „niemals“, versichert die Landwirtin. In Hohengöhren bei Stendal betreibt Bausemer einen Ökogeflügelhof mit Enten und Gänsen. Zeit für lange Gespräche hat sie jetzt, kurz vor Weihnachten, nicht. „Wir schlachten gerade“, sagt sie, „draußen stehen die Leute Schlange“.

Das Problem: Verlässliche Daten über die Vergabe von Antibiotika in der Tiermast haben die Aufsichtsbehörden nicht – weder für Hähnchen noch für Enten oder Gänse. Denn derzeit werden nur die Arzneimittelmengen erfasst, die die Pharmaindustrie an die Tierärzte liefert, mehr nicht. Und selbst diese Daten stehen zwar einigen Bundesinstituten für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung, nicht aber den Ländern, die für die Lebensmittelkontrolle zuständig sind.

Aufgeschreckt durch die Studie aus Düsseldorf und eine ähnliche Untersuchung aus Niedersachsen will Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) das nun ändern. Auch die Länder sollen künftig Informationen über die Abgabemengen an Tierärzte und die Verbrauchsmengen von Antibiotika erhalten. Im Frühjahr 2012 werde man dann erstmals „auf vollständige Daten zurückgreifen und diese dann auch veröffentlichen können“, verspricht Ariane Girndt aus dem Agrarministerium. Die Arzneimittel sollen künftig bis zum Tierhalter verfolgt werden können. Dann würden nicht nur die Tierärzte auffallen, die besonders viele Medikamente verordnen, sondern auch die Halter, die auffällig viele Arzneien einsetzen – etwa weil sie mangelnde Hygiene mit der Gabe von Medikamenten ausgleichen oder mithilfe der Mittel das Wachstum ihrer Tiere beschleunigen wollen.

Auch die Standesvertretung der Tierärzte ist alarmiert. Die Bundestierärztekammer hat ein Konzept „zur Erfassung und Regulierung des Arzneimittelverbrauchs in der Nutztierhaltung“ verabschiedet, das auf weitgehende Transparenz setzt. Der Tierarzt soll die von ihm behandelten Bestände und die Mengen der Arzneimittel fortlaufend erfassen, zugleich soll jeder Tierhalter verpflichtet werden, alle Medikamente, die er bezogen hat oder die vom Arzt eingesetzt worden sind, zu melden. Aber: Nicht der Staat soll diese Daten bekommen, sondern die Tierhalter und -ärzte, die dann im Wege der Selbstregulierung Missstände abstellen sollen.

Stefan Nobis hat einen Hof mit Gänsen und Enten im Oldenburger Münsterland. Seine Tiere bekommen Medikamente, wenn sie krank sind. Das komme aber nicht oft vor. „Regen, Sturm, selbst Schnee machen der Gans nichts aus“, weiß Nobis. Mit sieben Wochen haben die Tiere ein dichtes Federkleid, das sie schützt. Gegen Antibiotika sprechen auch ökonomische Gründe: „Wenn man die Mittel gibt, muss man vier Wochen warten, bis man Enten und Gänse schlachten kann“, gibt Nobis zu bedenken, bei Hähnchen betrage die Wartezeit dagegen nur wenige Tage. Zudem seien Antibiotika zu teuer, um sie als Wachstumsförderer einzusetzen – „da nehme ich lieber hochwertigeres Futter“, sagt Nobis, „das ist unterm Strich billiger.“

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