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Wirtschaft: Beraten und verkauft

Versicherungsvertreter haben keinen guten Ruf. Ein neues Gesetz nimmt sie jetzt stärker in die Pflicht

Die neue Verordnung hat einen monströsen Titel und weit reichende Konsequenzen: An diesem Dienstag tritt die neue „Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung“ in Kraft. Dahinter verbergen sich nicht nur für den Berufsstand des Versicherungsvermittlers zahlreiche Neuerungen, auch für den Kunden wird einiges anders. Besser, sagt der Gesetzgeber, der mit der Verordnung eine EU-Richtlinie umgesetzt hat. Durchwachsen, halten Verbraucherschützer dagegen – und empfehlen potenziellen Kunden, bei der Suche nach der passenden Versicherung auch weiterhin Vorsicht walten zu lassen.

QUALIFIKATION NACHWEISEN

Die wichtigste Neuerung: Jeder, der Versicherungen vermittelt, muss sich künftig bei der Industrie- und Handelskammer registrieren lassen – und dabei nachweisen, dass er über die nötige Qualifikation und Sachkenntnis verfügt. Die Registrierung sollen Vermittler künftig beim Erstkontakt mit dem Kunden unaufgefordert vorweisen, zum Beispiel durch Vorlage einer Visitenkarte, auf der die Registernummer verzeichnet ist.

Mehr Klarheit soll der Kunde auch über den genauen Status des Vermittlers erhalten – also darüber, ob er es mit einem unabhängigen Versicherungsberater, einem Makler oder einem Firmenvertreter zu tun hat. „Dem Image der Branche wird die Statusklärung sehr nützen“, glaubt Hans-Dieter Schäfer vom Bundesverband deutscher Versicherungskaufleute. Verbraucherschützer wie Lars Gatschke vom Bundesverband der deutschen Verbraucherzentralen (vzbv) kritisieren allerdings, dass der Statusnachweis „sehr formell“ gehalten sei: „Dem Kunden dürfte es schwerfallen, diese Informationen einzuordnen.“

SCHLUPFLÖCHER

Kritisiert werden auch die zahlreichen Schlupflöcher: „Das Heer der Ausnahmen wird größer sein als die Gruppe derjenigen, die sich tatsächlich registrieren lassen“, glaubt Gatschke. Nicht registrierungspflichtig sind zum Beispiel Vermittler, die nur niedrigpreisige Versicherungen als Zusatz zu einem anderen Produkt verkaufen – etwa Reisebüros, die im Nebengeschäft Reiserücktrittsversicherungen anbieten. Vom Sachkundenachweis entbunden sind bei der Registrierung zudem Versicherungsvermittler, die ihren Beruf schon vor dem Jahr 2000 ausgeübt haben, und Ein-Firmen-Agenten, denen von ihren Unternehmen „angemessene“ Berufskenntnisse bescheinigt werden.

Lilo Blunck vom Bund der Versicherten (BdV) empfiehlt deshalb, weiterhin genau nachzufragen, über welche Qualifikationen und Berufserfahrungen ein Vermittler verfügt – und vor allem, für wen er tätig ist: „Die wichtigste Frage an den Vermittler lautet: ,Wie viele Firmen vertreten Sie?’“

MILLIONENSCHADEN GEDECKT

Verbunden mit dem Registereintrag bei der IHK ist künftig auch der Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung mit einer Deckung von mindestens einer Million Euro. Damit können Kunden im Falle einer Fehlberatung auch dann noch Schadenersatz vom Vertreter erwirken, wenn dessen Versicherungsfirma insolvent ist. Dass ein wirksamerer Schutz vor Fehlberatungen dringend nottut, davon ist Lilo Blunck überzeugt: „In Deutschland werden mehr Hausrat- als Haftpflichtversicherungen verkauft, obwohl Letztere in den meisten Fällen sinnvoller wären.“

Bislang wählen manche Vertreter die Versicherung nicht so sehr nach den Bedürfnissen ihrer Kunden aus, sondern nach der Höhe der Provision. „Dafür können sie künftig haftbar gemacht werden“, sagt Verbraucherschützerin Blunck.

BESSERE BERATUNG

Um eine Fehlberatung im Nachhinein besser nachweisen zu können, schreibt die neue Verordnung auch die genaue Dokumentation des Beratungsgesprächs vor: Bevor die Versicherung abgeschlossen wird, muss der Vermittler seinem Kunden ein Protokoll vorlegen, in dem genau festgehalten ist, worüber während der Beratung gesprochen wurde. „Dieses Dokument sollte man sich sehr genau ansehen“, rät Lilo Blunck. „Und auf keinen Fall sollten sich Kunden dabei mit Formblättern oder unverständlichen Formulierungen abspeisen lassen. Stellen Sie unbedingt sicher, dass alle Aspekte des individuellen Beratungsgesprächs wiedergegeben sind.“ Wer im Zweifel ist, sollte das Protokoll von einem Spezialisten gegenlesen lassen – etwa bei einer der Verbraucherzentralen oder beim Bund der Versicherten.

Die Pflicht zur Dokumentation des Beratungsgesprächs wird von Verbraucherschützern einhellig gelobt – allerdings steckt der Teufel wie so oft im Detail.

BERATUNGSVERZICHT

Lars Gatschke vom vzbv moniert, dass der Gesetzestext die Möglichkeit eines Beratungsverzichts durch den Kunden vorsieht. Dies soll dann geschehen, wenn der Kunde bereits bestens informiert ist und die Führung und Dokumentation eines aufwendigen Beratungsgesprächs für beide Seiten zur kostspieligen Formalie würde. „Die Regelung lädt zum Missbrauch ein“, kritisiert Gatschke. „Ein geschickter Vertreter kann dem Kunden die Verzichtserklärung mit einem treuherzigen Augenaufschlag unterjubeln – ohne dass der Kunde genau weiß, worauf er da eigentlich verzichtet.“ Auch Lilo Blunck vom BdV fände es „wünschenswert, wenn die Versicherungsunternehmen von der Verzichtsoption keinen übermäßigen Gebrauch machen“. Hans-Dieter Schäfer vom Bundesverband deutscher Versicherungskaufleute kann die Skepsis der Verbraucherschützer allerdings nicht ganz nachvollziehen: „Jeder Vermittler muss seinen Kunden darauf hinweisen, dass mit dem Unterzeichnen einer Verzichtserklärung alle Schadenersatzansprüche wegfallen. Wer wäre danach noch so verrückt, so etwas zu unterzeichnen?“

Unabhängig von der neuen Verordnung raten Verbraucherschützer wie Lilo Blunck dringend davon ab, sich vorschnell dem nächstbesten Vertreter anzuvertrauen. Vorher sollten Kunden selbst klären, welche Art von Versicherung sie überhaupt bräuchten und welche Produkte günstig seien. Wer im Zweifel sei, solle sich vor dem Gang zum Vertreter qualifiziert beraten lassen – etwa bei den Verbraucherzentralen oder bei einem unabhängigen Versicherungsberater. Vor allem gelte dies, so Lilo Blunck, bei privaten Krankenversicherungen, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen.

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