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Konzerne wie Amazon sammeln derzeit große Summen über Anleihen bei Anlegern ein.

© picture alliance / dpa

Geld anlegen in Zeiten von Corona: Lohnen sich Firmenanleihen?

Unternehmen sammeln derzeit enorm hohe Summen ein. Die Notenbanken helfen mit riesigen Kaufprogrammen. Was das für Anleger bedeutet.

Bitte anschnallen – lautete die Devise für alle, die in den vergangenen Monaten Unternehmensanleihen im Depot hatten. Die Schuldpapiere nahezu aller Unternehmen sind seit März Achterbahn gefahren. Hatte die Corona-Pandemie die Renditen und Zinsen auch stabiler Unternehmen bei fallenden Kursen im März zunächst drastisch explodieren lassen, setzten die Bond-Achterbahnen ab 18. März zur Gegenbewegung an – am Tag, als zunächst die Europäische Zentralbank ihre erstes Hilfspaket über eine Dreiviertelbillion Euro vorstellte. Weil die meisten großen Notenbanken ebenfalls Käufe von Unternehmensanleihen in ihre billionenschweren Pandemie-Pakete einbauten, setzten massive Käufe ein: Die Kurse stiegen, die Renditen stürzten wieder ab. Risiken wie die steigende Verschuldung vieler Unternehmen oder das nach dem Ende des Lockdowns nur zäh anlaufende Geschäft werden zur Seite gewischt: Seit der zweiten Märzhälfte steigt der Risikoappetit von Anleihe-Käufern wieder massiv.

Auch für die kommenden Monate erwarten viele Analysten gute Chancen bei Unternehmensanleihen. „Sofern es nicht zu einer zweiten Lockdown-Welle kommt, sollten dank sinkender Risikoprämien vor allem die Kurse von Unternehmensanleihen im Investment-Grade-Segment weiter steigen“, sagt Marco Stöckle, Experte für Unternehmensanleihen bei der Commerzbank. Dass Anleger zumindest bis zum Jahresende mit Anleihen von Unternehmen mit guter Bonität Geld verdienen könnten, glaubt auch Alex Pelteshki vom Vermögensverwalter Kames Capital. „2020 könnte das Jahr der Unternehmensanleihe werden“, sagt der Fondsmanager. Auch die DWS, Fondsgesellschaft aus dem Verbund der Deutschen Bank, hält einen Blick auf Firmenanleihen für richtig. Gerade für Anleihen guter Bonität in Euro sieht die Fondsgesellschaft aktuell „ein sehr gutes Verhältnis von erwartetem Ertrag zu erwartetem Risiko“.

Risikofaktor bleibe das Coronavirus. Sollte es zu einer zweiten Welle oder gar zu einem zweiten Shutdown kommen, so Stöckle, dann sei mit drastischen Szenarien zu rechnen, die sich entsprechend auf Firmenbonds und deren Kurse auswirken würden.

Welche Folgen die lockere Geldpolitik hat

Seit November 2019 kauft die EZB im Rahmen ihres erneuerten Kaufprogramms Unternehmensanleihen. Schon im Vorfeld waren die Risikoprämien, die Investoren für ihr Geld verlangten, auf langjährige Tiefs, bisweilen sogar Allzeittiefs abgesackt. Die Lufthansa etwa konnte im September 2019 eine Anleihe begeben, die mit einem Zinskupon von nur 0,25 Prozent ausgestattet war. Viele Unternehmen konnten sogar Minuszinsen durchsetzen. Nachdem die Pandemie die Lufthansa-Flotte auf den Boden gezwungen hatte, stürzte das Papier von einem Kurs bei 100,6 auf 72 ab, bei einer parallel rapide steigenden Rendite. Am 18. März dann die Wende, also exakt an jedem Tag, als die EZB ihr neues Kaufprogramm über 740 Milliarden Euro aus dem Köcher zog. Die Anleihe stieg in der Folge um 28 Prozent auf jetzt 93. Dass das Unternehmen Staatshilfe benötigte, in der Bonität von S&P auf Ramsch abgestuft wurde und aus dem Dax fliegt, ficht die Anleger nicht an. Die Anleihe, die in der ersten Märzhälfte niemand haben wollte, wurde wieder massiv gekauft, die Rendite fiel auf 2,12 Prozent.

Auch an dem Kreuzfahrtunternehmen Carnival sind viele Anleger über Anleihen beteiligt.
Auch an dem Kreuzfahrtunternehmen Carnival sind viele Anleger über Anleihen beteiligt.

© imago images/osnapix

Wie groß der Einfluss der Notenbank auf den Markt ist, zeigen die Zahlen. Im Rahmen des regulären Kaufprogramms „Corporate Sector Purchase Programme“ (CSPP) hielt das Euro-System per 5. Juni Unternehmensanleihen im Gegenwert von 214,8 Milliarden Euro, 31 Prozent davon in französischen Firmenbonds, 24 Prozent in deutschen, elf Prozent in italienischen und zehn Prozent in spanischen. 43 Prozent hatten ein Rating von BBB+ oder schlechter, besaßen also ein „moderates Kreditrisiko“. Hinzu kommen etwa 10,6 Milliarden Euro, die die EZB zwischen März und Mai über ihr Pandemie-Notfallprogramm in Firmenbonds gesteckt hat. Das Programm soll bis mindestens Juni 2021 laufen, die Rückflüsse aus getilgten Anleihen sollen sogar bis „mindestens“ Ende 2022 stets neu investiert werden. Der Markt für jene Firmenanleihen, die die EZB kaufen kann, die also liquide und mit einigermaßen guter Bonität ausgestattet sind („Investment Grade“), liegt aber nur bei etwa 1100 Milliarden Euro. Damit hält die Notenbank derzeit bereits etwa ein Fünftel aller Anleihen, die sie theoretisch kaufen könnte.

Unternehmen beschaffen sich Rekordsummen

Allerdings: Die Summe ausstehender Schulden steigt. In den vergangenen Wochen haben sich Unternehmen weltweit Rekordsummen beschafft. Allein in Europa besorgten sich Unternehmen in diesem Jahr bereits knapp 1000 Milliarden Euro frisches Geld, das waren 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Aktuell steht der Markt für Firmenanleihen in Europa insgesamt bei einem Volumen von 2400 Milliarden Euro. In den USA sind die Neuemissionen von Corporate Bonds sogar um mehr als 70 Prozent gestiegen.

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Die massive Nachfrage von Profis, Privatanlegern und zusätzlich den Notenbanken konnte damit sogar ein drastisch gestiegenes Angebot aufsaugen. Insgesamt bedeutet dies, dass die Zinsen für Unternehmen nach dem Wunsch der Notenbanken in der Summe tief bleiben, unabhängig von den wirtschaftlichen Fakten. „Die EZB verzerrt mit ihren Kaufprogrammen die Preise“, sagt Anleihe-Experte Marco Stöckle. Normalerweise gehen deutlich steigende Verschuldungen bei abgeschwächtem Geschäft mit steigenden Zinsen einher, denn für ein steigendes Risiko verlangen Investoren auch einen höheren Ausgleich über den Zins.

Siemens konnte zeitweise Anleihen mit Minuszins platzieren.
Siemens konnte zeitweise Anleihen mit Minuszins platzieren.

© imago/photothek

Allerdings: Ein leichter Zinsanstieg ist dennoch feststellbar. Siemens beispielsweise hatte im September 2019 zwei Bonds mit zwei und fünf Jahren auf den Markt gebracht und sich Milliarden zu Rekord-Minuszinsen zwischen -0,315 und -0,207 gesichert. Bei einer neuen Emission im Februar schrumpften die Negativzinsen bei einer dreijährigen Anleihe auf -0,145 Prozent. Bei der aktuellen Runde musste Siemens bereits 0,25 Prozent für zwei Jahre und 0,375 Prozent für sechs Jahre herausrücken.

Auch VW musste in die Tasche greifen: Anfang April konnte der Autokonzern Anleger mit einem Zins von 3,1 Prozent für fünf Jahre ins Boot holen. Inzwischen steht die Rendite nach rasch steigenden Kursen wieder bei 1,156 Prozent. Vor der Coronakrise bewegte sich eine VW-Anleihe mit Restlaufzeiten von sechs Jahren bei Renditen deutlich unter einem Prozent. In der Krise stieg sie rasch und steil um ganze zwei Prozentpunkte – um nach Ankündigung des EZB-Kaufprogramms wieder drastisch zu fallen.

Die US-Notenbank kauft auch Papiere mit schlechtem Rating

Auch die US-Notenbank Fed stützt die Wirtschaft erstmals über den Kauf von Unternehmensanleihen. Bisher kaufte sie vor allem börsengehandelte Indexfonds, also ETF für Corporate Bonds, wie Unternehmensanleihen im englischsprachigen Raum heißen. Anders als die EZB schließt die Fed auch sogenannte „fallen angels“ in ihr Kaufprogramm ein, also Unternehmen, die bis zum 22. März noch ein Rating im Investment Grade hatten, dann jedoch von einer Rating-Agentur abgestuft wurden. Dies führte auch bei US-Corporates mit schlechterem Rating zu einer deutlichen Entspannung, die Risikoaufschläge gingen zurück.

Boeing etwa wird derzeit mit BBB- bewertet, steht damit eine Stufe über Junk-Niveau, konnte sich aber über sieben Anleihen gerade problemlos 45 Milliarden Dollar beschaffen – mit Zinskupons, die zwischen 4,5 Prozent für drei Jahre und 5,93 Prozent für 40 Jahre liegen. Die Anleger rissen sich zuletzt um die Papiere: Das 40 Jahre laufende Papier ist inzwischen auf 120 Prozent gestiegen. Wer jetzt einsteigt, erhält zwar einen Zinskupon von knapp sechs Prozent, doch die Rendite ist wegen des gestiegenen Kurses auf 4,8 Prozent gefallen.

Auch Carnival, das größte Kreuzfahrtunternehmen weltweit, zu dem auch Aida, Costa und Cunard gehören, hat derzeit keine Kunden und keine Einkünfte, aber 104 Schiffe und laut Bank of America eine monatliche Cashburn-Rate von gut einer Milliarde Dollar. Eine 2013 emittierte und bis Oktober laufende Anleihe mit einem Zinskupon von 3,95 Prozent fiel seit 5. März wie ein Stein von 101,65 auf 78,9.

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Als die US-Notenbank ihre Kaufprogramme bekannt gab, fanden Investoren auch wieder Gefallen an Carnival, auch wenn Moody’s die Bonität des Unternehmens und seiner Anleihen im Mai auf „Junk“ gesetzt hatte. Die Anleihe von Carnival schoss wieder auf einen Kurs von 98,6 hoch. Allerdings: Für eine im April emittierte neue Anleihe, die bis 2023 läuft, musste Carnival einen Zinskupon von 11,5 Prozent bieten. Doch auch hier ist die Rendite nach Käufen auf 7,5 Prozent gefallen.

Dass auch Unternehmen mit schwacher Bonität und unsicherem Ausblick weiter Anleger finden, halten die meisten Experten für wahrscheinlich. Allerdings sei zu erwarten, sagt Stöckle, dass sich die Renditeabstände zwischen hohem und niedrigem Risiko wieder etwas stärker an den Realitäten orientieren könnten. Auch rechnet er mit einem Anstieg von Rating-Abstufungen und auch Zahlungsausfällen. Während in den vergangenen zwölf Monaten in Europa nur 2,5 Prozent aller Anleihen unter Investment Grade ausgefallen seien, könnte dieser Prozentsatz in den kommenden zwölf Monaten auf 8,5 Prozent steigen.

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