zum Hauptinhalt

Wirtschaft: „Ich habe schon öfter Jugendliche zur Ordnung gerufen“

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries: Zivilcourage nicht mit Heldentum gleichsetzen / Härtere Gesetze nicht nötig

Frau Zypries, haben Sie selbst schon brenzlige Situationen in Ihrem Alltag erlebt, bei denen Sie nicht wussten, ob Sie eingreifen sollen oder nicht?

Ich habe schon öfter Jugendliche in der U-Bahn zur Ordnung gerufen und dafür nicht gerade freundliche Kommentare geerntet. Aber ihre Grölereien oder Prügeleien haben sie zumindest sein lassen.

Kann man Leuten zumuten, anderen beizuspringen oder gegen Störer vorzugehen, wenn sie sich damit selbst in Gefahr bringen?

Falsch wäre es, Zivilcourage mit Heldentum gleichzusetzen. Die jüngsten Beispiele aus Hamburg und Berlin zeigen in besonders trauriger Weise, wie schlecht das Risiko des Eingreifens in brenzligen Situationen abzuschätzen ist. Deshalb lautet der erste Verhaltenstipp der Polizei für solche Situationen: „Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen.“ Man kann andere aktiv und direkt zur Mithilfe auffordern, man kann sich den Täter genau einprägen, per Handy Hilfe holen, sich um die Opfer kümmern, und man kann sich als Zeuge zur Verfügung stellen. All das ist sinnvoll.

Wie ist es mit Nachbarn, die Zeugen von Auseinandersetzungen werden, aber nichts tun? Sollte man sie bestrafen, wenn sie nicht einschreiten?

Eine Verschärfung des Strafrechts halte ich hier nicht für das Mittel der Wahl. Schon heute gibt es den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Sinnvoller scheint es mir, die Anonymität aufzubrechen, unter deren Deckmantel Beziehungstaten häufig unentdeckt bleiben. Warum also nicht die Nachbarn im Treppenhaus darauf ansprechen, dass man sich Sorgen mache, wenn es bei ihnen zu Auseinandersetzungen kommt? Das vermittelt zumindest das Gefühl, „jemand hat den Konflikt im Blick“. Oft reicht das schon aus. Wenn die Gesundheit von Beteiligten in Gefahr ist, muss man natürlich gleich die Polizei rufen.

Was ist mit Pöbeleien in Bussen oder Bahnen? Würden härtere Strafen für die Untätigen nicht dazu führen, dass sich mehr Leute einmischen?

Wir müssen erreichen, dass sich die Helfer sicherer und die Täter unsicherer fühlen. Dazu können und müssen alle beitragen, die in solchen Situationen zugegen sind. Wie gesagt – ich glaube nicht, dass der Schlüssel dafür in einer härteren Bestrafung der Untätigen liegt.

Wer hilft und dabei übers Ziel hinausschießt, muss damit rechnen, seinerseits strafrechtlich belangt zu werden. Halten Sie das für richtig? Müsste man das Strafrecht in diesem Punkt nicht mildern?

Wenn sich jemand dagegen entscheidet einzugreifen, dann doch wohl nicht aus Angst vor Bestrafung, sondern aus Angst, selbst Opfer der Gewalttätigkeit zu werden. Das Strafrecht berücksichtigt die Ausnahmesituation, in der sich Helferinnen und Helfer befinden.

Sollten öffentliche Orte noch stärker als bisher mit Kameras überwacht werden, um Übergriffe zu verhindern? Sollte mehr Polizei eingesetzt werden? Und wer soll das bezahlen?

Ganze Innenstädte per Video zu überwachen, halte ich für unverhältnismäßig. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass unser Land dadurch sicherer wird. Knotenpunkte wie Bahnhöfe oder Flughäfen zu überwachen, ist sinnvoll – aber das wird ja weitgehend schon getan. Wichtig ist, dass aufgrund der Überwachung auch eingegriffen werden kann. Im Übrigen ist es Sache der Bundesländer, über die Art und Weise von Polizeieinsätzen zu entscheiden.

Brigitte Zypries

ist seit 2002 Bundesjustizministerin. Vorher arbeitete die SPD-Politikerin als Staatssekretärin im Innenministerium. Das Interview führte Heike Jahberg.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false