zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Jubel und Frust bestimmen den Preis

Wie Erwartungen an der Börse Kurse machen

Es klingt paradox, da meldet ein Unternehmen nach Börsenschluss gute Zahlen für das abgelaufene Quartal – und bricht am nächsten Morgen auf dem Parkett gnadenlos ein. Ein anderes Unternehmen hingegen enttäuscht mit einem Gewinnrückgang – und trotzdem honorieren die Börsianer das mit einem Kurssprung. Ist die Börse verrückt oder gibt es hinter den Zahlen eine andere Wahrheit?

Kleinanleger schauen in der laufenden Berichtssaison ebenso wie Anlageprofis gerne auf die Zahlen der Unternehmen. Doch viele verstehen nicht, warum das Ergebnis sich nicht ebenso in den Kursen widerspiegelt. „Die entscheidende Frage bei der Bewertung der Zahlen ist: Was erwartet der Markt?“, sagt Emil Heppel. Der Analyst von der Landesbank Berlin ist für den US-Markt zuständig und schaut dort seit Tagen gespannt auf die Nachrichten aus den Unternehmen.

Dabei zeigen einige Meldungen kuriose Wirkung auf die Aktienkurse. Der US-Computerhersteller IBM meldet für das vierte Quartal 2006 einen Gewinnanstieg von über 40 Prozent, dennoch sinkt die Aktie am nächsten Morgen drastisch. Andersherum Yahoo. Das Internetportal musste seinen Anteilseignern einen Gewinneinbruch um 61 Prozent mitteilen, die Aktie stieg tags darauf trotzdem zunächst um fast vier Prozent.

Kleinanleger mit wenig Erfahrung mögen dies für paradox halten, doch die Ergebnisse der Vergangenheit sind immer nur die halbe Wahrheit für die Börse. „Es hängt davon ab, ob die Erwartungen der Analysten getroffen wurden oder die Ergebnisse deutlich unter oder über der Schätzung liegen“, erklärt Heppel. „Viel wichtiger ist der Ausblick“, sagt der Analyst. Es kann also sein, dass ein Unternehmen gute Zahlen präsentiert und dennoch wegen schwacher Erwartungen mit Kursabschlägen bestraft wird – so wie bei IBM. Andererseits können mäßige Zahlen, die unter den Erwartungen liegen, gut aufgenommen werden, wenn der Ausblick überraschend ist.

„Regeln dafür aufzustellen, geht aber nicht“, sagt Helmut Henschel. Der Analyst beschäftigt sich als Hirnforscher mit neuronalen Vorgängen bei der Aktienanalyse. „Wir nennen das Illusion der Kontrolle. Im Nachhinein wird eine Erklärung gesucht, um daraus zu lernen.“ Doch das scheitere an anderen Faktoren. „Es kommen gruppendynamische Prozesse an der Börse hinzu, die eine Entwicklung nicht vorhersehbar machen“, sagt Henschel. Das Zauberwort heißt Unsicherheit. „Man beobachtet den anderen und fühlt sich gut, wenn man Ähnliches gedacht hat.“ Analysten müssten kommunizieren, das führe zu einem Selbstverstärkungsprozess, erklärt Henschel. „Man setzt eine Meldung in die Welt, und nach drei Runden kommt sie wieder bei einem selbst an. Das bestärkt unsere Meinung dann noch.“ Diese verstärkenden Trends können an der Börse erhebliche Auswirkungen haben. „Der objektiv beste Weg ist, in die andere Richtung zu gehen, wenn Dinge extrem werden. An der Börse hat das Mehrwert“, sagt Henschel.

Die Reaktion ist auch nicht bei allen Branchen gleich. „Im Internet- und Computerbereich erwarten Analysten zweistellige Wachstumsraten, wenn die nicht kommen, kann ein Kurs auch mal schnell zehn Prozent einbrechen“, sagt Emil Heppel. „Da darf dann bei den Ergebnissen nichts anbrennen.“ An der Börse wird die Zukunft gehandelt, Prognosen bestimmen den Preis. Zum Berichtszeitpunkt hat der Kurs einer Aktie die Erwartungen der Analysten schon vorweggenommen. Die Zahlen werden nur zur Bestätigung oder Korrektur genutzt.

Doch auch das Marktumfeld entscheidet über die Wirkung der Zahlen. Wenn die Aktien am Gesamtmarkt über längere Zeit gestiegen sind und viele Anleger einen Rückschlag erwarten, dann werden schlechte Nachrichten sensibler aufgenommen. Dagegen können schlechte Nachrichten in einer guten Stimmung an der Börse schon mal kompensiert werden. „Wenn jedoch der Markt träge ist, dann steigt die Aktie auch bei guten Nachrichten nicht“, erklärt Heppel.

In der aktuellen Berichtssaison pendeln die Kurse stärker als früher. Heppel empfiehlt Anlegern deshalb, sich noch ein wenig zurückzuhalten. „Ich würde genau hinschauen. In der Vergangenheit haben sich die Kurse in der Berichtssaison nicht so stark bewegt.“ Außerdem haben sich die konjunkturellen Aussichten verbessert. „Das könnte wieder Schwung bringen, wenn die Erwartungen getroffen werden und die Ausblicke gut sind.“

Ingo Wolff

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false