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Wirtschaft: Kassensturz

Für viele Menschen wird die Krankenversicherung per Gesetz am 1. Juli teurer. Damit wollen sich einige Kassen nicht abfinden

Das Wunder dauert etwas länger: Die Gesundheitsreform, so hatte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den Verbrauchern versprochen, sollte zu sinkenden Kassenbeiträgen führen. Doch trotz Praxisgebühr und höherer Zuzahlung zu Medikamenten warten viele Versicherte noch immer auf die versprochene Entlastung. Gerade einmal 30 Kassen haben seit Inkrafttreten der Gesundheitsreform am 1. Januar 2004 ihren Beitragssatz gesenkt, aber: „Ebenso viele haben ihn erhöht“, schreibt die Stiftung Warentest. 14,2 Prozent beträgt derzeit der durchschnittliche Beitragssatz – weit mehr als jene 13,6 Prozent, die die Ministerin ursprünglich angepeilt hatte.

Sonderbeitrag. Und es kommt noch schlimmer. Zum 1. Juli werden viele Menschen mehr für ihre Kasse zahlen müssen – obwohl alle Kassen per Gesetz gezwungen werden, ihre Beiträge um 0,9 Prozentpunkte zu senken. Nur: Die Senkung kommt ausschließlich den Arbeitgebern zugute. Da die Versicherten ab dem 1. Juli die Kassenausgaben für Zahnersatz und Krankengeld allein finanzieren müssen, steigt ihre Belastung unterm Strich um 0,45 Prozentpunkte.

Beitragssenkungen. Um die Grausamkeiten zu mildern, hatten viele Kassen geplant, ihre Beiträge über die 0,9 Prozentpunkte hinaus zu senken. Nach Meinung von Ulla Schmidt müssten die Beitragssätze um weitere 0,2 Prozentpunkte sinken, weil die Kassen im vergangenen Jahr Milliardengewinne gemacht haben. Doch das Bundesversicherungsamt weiß erst von zehn Kassen, die definitiv zum 1. Juli Ernst machen – meist kleine Betriebskrankenkassen, die ihren Satz um insgesamt 1,0 oder 1,3 Prozentpunkte senken. Bei den Mitgliedern schlägt sich das kaum nieder. Sie profitieren ohnehin nur von den 0,1 bis 0,4 Prozentpunkten, die jenseits der 0,9-Prozentpunkte-Grenze liegen. Bei einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro schlagen 0,1 Prozent Ermäßigung aber gerade einmal mit drei Euro zu Buche, die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber hälftig teilen.

Ob die großen Kassen Barmer Ersatzkasse, DAK, KKH oder Techniker ihre Beiträge ermäßigen, steht noch in den Sternen. Zwar hatten Barmer und DAK Beitragssenkungen angekündigt, doch nachdem die Arzneimittelausgaben im ersten Quartal dieses Jahres explodiert sind, sind die Kassen verunsichert. Entscheidungen fallen frühestens im Mai.

Hausarztmodell . „Der reine Beitragssatz ist nicht mehr so aussagekräftig wie früher“, sagt Barmer-Sprecherin Susanne Uhrig. Die Verbraucher müssten heute viel intensiver vergleichen, welche Zusatzleistungen und Rabatte die einzelnen Kassen anbieten (siehe Beitrag unten) . Beispiel Hausarztmodell: Verpflichtet man sich bei der Barmer, immer zunächst den Hausarzt aufzusuchen und seine Medikamente ausschließlich in der Hausapotheke zu holen, muss man nur einmal die Praxisgebühr zahlen. Wer in jedem Quartal zum Arzt geht, spart so 30 Euro, in der Familienversicherung addiert sich die Ersparnis auf bis zu 60 Euro im Jahr. „Das entspricht einer Beitragssenkung um 0,6 Prozentpunkte“, sagt Uhrig. Während die anderen Kassen auf regionale Hausarztmodelle setzen, bietet die Barmer seit dem 1. März dieses Programm als einzige Kasse bundesweit an – mit Erfolg. Rund 700 000 Mitglieder haben sich bereits eingeschrieben, täglich würden sich tausend Ärzte um eine Aufnahme in das Programm bewerben. Auch Fachärzte hätten ein großes Interesse daran, in das Hausarztmodell integriert zu werden, berichtet Uhrig.

Weitere Zusatzangebote. Während sich die Kassen beim Hausarztmodell unterscheiden, bieten nahezu alle Bonusprogramme an, bei denen die Teilnehmer für eine gesunde Lebensweise mit Sach- oder Geldprämien belohnt werden. Fast jedes zehnte Mitglied hat sich bei der Techniker und bei der DAK bereits für das Bonusmodell eingeschrieben. Weniger stark nachgefragt werden dagegen die privaten Zusatzversicherungen (Auslandsreise, Brillen, Zahnersatz, Krankenhaus), die von den Kassen vermittelt werden. Zwar werben Barmer und Co. gern mit den vermeintlich günstigen Sonderkonditionen, die ihre Mitglieder exklusiv bekommen, doch in Wirklichkeit fällt die Ersparnis nach Berechnungen der Stiftung Warentest oft mickrig aus. Die Versicherten können auf dem freien Markt günstigere Versicherungen bekommen. Aber: Ältere Versicherte tun sich oft schwer, bei einer privaten Versicherung eine bezahlbare Police zu erhalten. Sie profitieren von der Kooperation zwischen gesetzlicher und privater Kasse, denn viele gesetzliche Kassen vermitteln auch Tarife für Senioren.

Die richtige Kasse. Die beste Kasse zu finden, ist gar nicht so leicht. Denn die Wahl hängt von den persönlichen Lebensumständen ab. Für ältere Versicherte, die regelmäßig zum Arzt gehen, kann das Hausarztmodell durchaus interessant sein, meint Thomas Isenberg von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Chronisch kranke Menschen sollten darauf achten, ob die Kasse ein Chroniker-Programm für ihre spezielle Erkrankung anbietet. Wer Rückenprobleme hat oder auf Akupunktur steht, sollte sich informieren, ob die Kasse für die Behandlung zahlt. Für gesunde Menschen dürfte aber weiterhin der Beitrag das maßgebliche Kriterium sein. „Die billigste Kasse muss nicht die beste sein“, sagt Verbraucherschützer Isenberg, „aber sie kann es sein.“

Eine ausführliche Übersicht über die Leistungen von 162 Krankenkassen finden Sie im Mai-Heft von Finanztest.

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