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Maschine statt Mensch: Legal Techs arbeiten mit Algorithmen.

© Getty Images/iStockphoto

Legal Techs: Wann der Online-Anwalt der Richtige ist - und wann nicht

Ob Mietstreit oder Flugärger, die Rechtsberatung im Internet boomt. Jetzt hat der BGH das Geschäftsmodell abgesegnet. Aber die Portale passen nicht immer.

371 Euro Monatsmiete verlangte die Wohnungsgesellschaft im Dezember 2015 für eine 56-Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Lichtenberg. Wo heute wohl Hunderte Schlange stehen würden, um sich die Wohnung zu sichern, kamen dem Mieter, der den Vertrag unterschrieben hatte, Zweifel, ob die Miete nicht zu hoch ist.

Er wandte sich an ein Internetportal, trat seine Ansprüche 2017 an den Betreiber ab. Nun hat wenigermiete.de Rechtsgeschichte geschrieben. Nicht weil das Portal eine monatliche Mietsenkung von 23,49 Euro herausgeholt hat, sondern weil es ein Grundsatzurteil für die gesamte Branche erstritten hat.

Am vergangenen Mittwoch entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass sich Mieter bei Streit mit dem Vermieter über Mieterhöhungen, Schönheitsreparaturen oder Kündigungen nicht nur von Anwälten oder Mietervereinen, sondern auch von Internetdienstleistern vertreten lassen können (Az: VIII ZR 285/18). Der Richterspruch beflügelt die boomende Branche der Legal-Tech-Start-ups und schockiert die Anwaltschaft.

Internetportale dürfen Erfolgshonorare nehmen, Anwälte nicht

Denn während für Anwalte strenge Berufsregeln gelten, können die Internetportale viel freier agieren. Sie sind rechtlich als Inkassounternehmen registriert, die Zulassung erfolgt über Gerichte und nicht über die Rechtsanwaltskammern. Anders als Anwälte dürfen die Internetfirmen auf Erfolgsbasis arbeiten.

Das macht sie attraktiv für Verbraucher. Denn diese zahlen nur dann, wenn die Online-Rechtsdienstleister Erfolg haben. Zwar ziehen diese für ihre Mühe zwischen 20 bis 35 Prozent ab, aber vielen Verbrauchern ist das egal. Sie sind froh, dass überhaupt Geld fließt. Viele hätten ohne die Internetportale ihre Ansprüche wahrscheinlich ganz verfallen lassen.

Onlineportale dürfen Mieter bei Streit mit dem Vermieter vertreten, hat der Bundesgerichtshof entschieden.
Onlineportale dürfen Mieter bei Streit mit dem Vermieter vertreten, hat der Bundesgerichtshof entschieden.

© dpa

Bis zum BGH-Urteil war jedoch unklar gewesen, ob die Legal Techs, die inzwischen in fast allen Rechtsbereichen unterwegs sind, nicht unzulässige Rechtsberatung betreiben. Ein Damoklesschwert, das auch über den Zehntausenden VW-Dieseleigentümern geschwebt hatte, die über den Prozessfinanzierer Myright Schadensersatz von VW verlangen.

Gesellschaften betreiben mehrere Portale

Der Markt wächst. Legal Techs prüfen mit Hilfe von Algorithmen, ob Menschen Ansprüche haben, wenn sie mit der Bahn gestrandet sind, eine teure Wohnung gemietet oder ihren Job verloren haben. Viele Gesellschaften betreiben gleich mehrere Portale. Die Düsseldorfer Right Now GmbH hat etwa drei Verkehrsplattformen: Geld-fuer-Flug.de (für Flugpassagiere), Bahn-Buddy.de (Bahnreisende) und Unfallzahlung24.de (Autofahrer, die in einen Unfall verwickelt waren). Zur Berliner Lexfox gehören nicht nur wenigermiete.de sondern auch weniger-internetkosten.de und mehrabfindung.de.

Wann sollte man ein Portal einschalten?

Dabei ginge es manchmal auch ohne, sagen Verbraucherschützer. „Wenn der Schaffner den Bahnkunden schon das Formular in die Hand drückt, kann man es auch schnell selbst ausfüllen und sich sein Geld – in voller Höhe – direkt nach Ende der Reise im Bahncenter abholen“, meint Petra Hegemann von der Verbraucherzentrale (VZ) Berlin.

In anderen Rechtsgebieten, etwa im Mietrecht, könne ein Legal Tech dagegen sinnvoll sein. „Allerdings taugen diese Angebote immer nur für Standardfälle“, warnt Hegemann.

Manchmal gibt es für die Verbraucher günstigere Alternativen: Bei Reise- und Flugärger hilft etwa die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr kostenlos.
Manchmal gibt es für die Verbraucher günstigere Alternativen: Bei Reise- und Flugärger hilft etwa die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr kostenlos.

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Bei komplizierteren Problemen oder wenn es nicht nur um eine, sondern vielleicht um mehrere Forderungen gehe, könne ein Anwalt die bessere Adresse sein. Das Problem: Rechtsanwälte müssen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abrechnen und haben keinen Spielraum.

Bei kleinen Forderungen kann die Anwaltsgebühr daher unverhältnismäßig hoch sein. Rechtsberatung zu den meisten verbraucherrechtlichen Fragen erhalten Berliner allerdings auch bei der VZ. Und bei Streit mit Airlines, der Bahn, Fernbus-, Nahverkehrsunternehmen oder Reiseveranstaltern hilft die in Berlin ansässige Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr kostenlos.

Verbraucherschützer fordern Regeln für Legal Techs

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) fordert eine Regulierung für die Legal Techs. „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, der Elemente des Anwaltsrechts auf diese Unternehmen überträgt. Dazu gehört die Verschwiegenheitspflicht, die finanzielle Unabhängigkeit der Portale und der Ausschluss von Interessenkonflikten“, meint Referent Florian Stößel.

Handlungsbedarf sieht Stößel auch bei den Informationspflichten. Verbraucher müssten wissen, worauf sie sich einlassen. „Welche Leistung bekommen sie und was kostet sie das? Solche Informationen müssen auf der Webseite klar genannt werden und leicht zu finden sein“, heute ist das nicht immer so. Im Bundesjustizministerium weist man darauf hin, dass Legal Tech-Anbieter, die als Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registriert sind, bereits jetzt verschiedenen rechtlichen Anforderungen nach dem RDG unterliegen. Das Ministerium prüfe das Urteil des BGH nun „auf etwaigen gesetzgeberischen Handlungsbedarf“, sagte ein Sprecher auf Anfrage.

Flugverspätungen und -ausfälle: Damit haben die Legal Techs begonnen.
Flugverspätungen und -ausfälle: Damit haben die Legal Techs begonnen.

© imago/STPP

Welche Angebote es gibt

Legal Techs gibt es inzwischen für viele Rechtsbereiche, hier nur einige Beispiele:
Flugverspätung: Legal Techs wie Flightright.de, Euclaim.de, Refund.me, Fairplane.de, Geld-fuer-Flug.de oder Flug-verspaetet.de verlangen Entschädigungen für Flugausfälle oder für Flugverspätungen ab drei Stunden.
Glücksspiel-Verluste: Wer online Geld verzockt hat (etwa mit Sportwetten, im Casino, beim Pokern), hat laut wirholendeingeld.de einen Erstattungsanspruch – und zwar gegen Banken oder Zahlungsdienstleister, über die Geld zum Anbieter transferiert wurde. Denn verbotenes Glücksspiel sei so erst möglich gemacht worden.
Hohe Miete: Mieter können bei wenigermiete.de, prüfen lassen, ob bei ihrem Vertrag gegen die Mietpreisbremse verstoßen wurde. Das Portal prüft auch Ansprüche auf Mietminderung, Mieterhöhungen und Wohnungskündigungen.
Dieselgate: myRight.de, Verbraucherritter.de oder Rechtecheck.de unterstützen Eigentümer von Dieselfahrzeugen dabei, Schadensersatz geltend zu machen, wenn bei den Abgaswerten manipuliert
wurde.
Hartz4-Bezieher: Bei hartz4widerspruch.de kann man Bescheide kostenlos prüfen lassen. Werden Fehler entdeckt, ergeht ein Widerspruch. Bekommt der Hartz4-Bezieher dadurch mehr Leistungen, muss er davon nichts an den Rechtsdienstleister abgeben. Das Legal Tech hat in diesem Fall einen Honoraranspruch gegen die Arbeitsagentur.
Bahnkunden: Bei Verspätungen von mehr als 60 Minuten haben Bahnkunden einen Entschädigungsanspruch. Bahn-buddy.de oder Lametrain.de helfen, diesen einzufordern. Man kann sich allerdings auch an die
Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr in Berlin wenden, wenn die Bahn nicht zahlen will. Die Stelle arbeitet für die Verbraucher kostenlos.
Verkehrsunfälle: Unfallzahlung24.de hilft geschädigten Autofahrern, Geld von der gegnerischen Versicherung zu holen. Weitere Legal Techs gibt es zu Abfindungen oder Bußgeldern.

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