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Nährwertkennzeichnung

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Nährwertkennzeichnung: Bei roter Ampel ist Zurückhaltung gefragt

Brennwert, Zucker, Fett, Ballaststoffe. Bei der Nährwertkennzeichnung auf Lebensmitteln verlieren Verbraucher schnell den Überblick. Verbände fordern ein Ampelsystem wie in Großbritannien, die Industrie will dies verhindern.

Wer beim Einkauf im Supermarkt vergleichen möchte, wie gesund oder ungesund die gewählten Lebensmittel sind, braucht viel Zeit. Ist der Joghurtdrink mit 78 Kalorien und zwei Gramm Fett gut für die Gesundheit oder soll es doch vielleicht besser der andere sein? Unterschiedliche Angaben und fehlende Richtwerte machen die Orientierung auf den ersten Blick unmöglich – es sei denn, man kennt sich aus.

Die EU-Kommission will in Kürze ihre Vorstellungen zur Kennzeichnung von Lebensmitteln präsentieren und auch die von der Bundesregierung geplanten Eckpunkte eines eigenen Systems sind mittlerweile bekannt. Als vorbildlich gilt unter Verbraucherschützern die britische Variante. Dort gibt es seit 2006 das so genannte Ampelsystem, das in rot, gelb und grün auf den entsprechenden Gehalt an Fett, Salz, Zucker und gesättigten Fettsäuren hinweist.

Selbst Kinder seien in der Lage, die bunten Symbole zu verstehen, so die einhellige Ansicht der Verbraucherverbände. Eine Kalorienbombe müsse als solche direkt erkennbar sein, fordert der Chef der Verbraucherzentralen, Gerd Billen.

Ein System, auch für Nicht-Mathematiker verständlich

Um sich derzeit einen Überblick über die Nährstoffwerte zu verschaffen, bräuchte man Rechenkünste, die einem normalen Bürger nicht zuzumuten seien, kritisiert Andreas Eickelkamp von der Verbraucherorganisation Foodwatch: „Wir fordern eine einheitliche Kennzeichnung, für die man keinen doppelten Dreisatz braucht.“ Billen sieht das ähnlich: „Das Versteckspiel und die Beliebigkeit bei der Nährstoffkennzeichnung müssen ein Ende haben“,

Die Lebensmittelverbände wollen die Ampellösung jedoch unter allen Umständen verhindern und können sich hierfür der Unterstützung der Bundesregierung sicher sein. Foodwatch veröffentlicht auf ihrer Website einen Briefwechsel zwischen dem Bundesernährungsministerium unter Horst Seehofer und dem Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde BLL, aus dem klar hervorgeht, dass die Eckpunkte in enger Abstimmung entwickelt wurden und auch die Bundesregierung ein Interesse daran hat, die „Debatte um die Ampelkennzeichnung“ zu beenden.

Einige Lebensmittelkonzerne haben bereits mit einer neuen Kennzeichnung ihrer Produkte begonnen. Sie wollen Kalorien, Fett und Zucker gut sichtbar benennen, zusätzlich wollen sie den Anteil am Tagesbedarf ausweisen. Die Verbraucherverbände kritisieren, damit würden die Unternehmen Fakten schaffen, um einer Verpflichtung zuvorzukommen.

Kritik an industriefreundlicher Lösung

Dem Verbraucher hilft das neue Modell recht wenig. Der Verband der Verbraucherzentralen kritisiert, die Regelung schaffe lediglich Verwirrung. Auch Foodwatch glaubt, dass die Tagesangaben zu industriefreundlich und schlecht vergleichbar seien. So gehe der Europäische Verband der Lebensmittelwirtschaft beispielsweise von einem Tageshöchstbedarf an Zucker von 90 Gramm aus, die Gesellschaft für Ernährung und die Welternährungsorganisation jedoch nur von 60 Gramm. Außerdem seien die Angaben für etwa eine Portion Cornflakes höchst unterschiedlich und außerdem zu knapp bemessen.

Ulrich Fegeler vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte erläutert, warum ein klares, eindeutiges System so wichtig ist: „Mangelnde und unverständliche Nährwertkennzeichnungen sind mit schuld an ernährungsbedingten Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes.“ Den meisten Verbrauchern ist nach Ansicht der Experten natürlich klar, dass ein Schokoriegel relativ viel Zucker enthält, Chips fettig und Salzstangen salzig sind. Doch gerade bei zusammengesetzten Lebensmitteln werde die Suche nach den tatsächlichen Nährwerten wegen unterschiedlichster Tabellen, Angaben und Bezugsgrößen zu einer komplizierten Lektüre.

Fast die Hälfte der Deutschen übergewichtig

Rund 37 Millionen Erwachsene und zwei Millionen Kinder sind nach Angaben des Bundesernährungsministeriums übergewichtig oder fettleibig. Das ist immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung. Mehr als jedes fünfte Kind weise zudem Symptome einer Essstörung auf. „Wenn es eine Ampelkennzeichnung gäbe, müsste ich Familien in der Praxis nicht mehr lang und breit erklären, welche Produkte tabu sind – stattdessen steht ‚Rot’ für ‚Achtung!’“, meint Fegeler.

Die ausgearbeiteten Leitlinien der Bundesregierung sollen im Frühjahr präsentiert werden. Erst dann wird der Gesetzgebungsprozess eröffnet. So lange sehen die Verbraucherverbände durchaus noch Chancen, die Ampel auch in Deutschland einzuführen. Die Briten jedenfalls haben das System gut angenommen. Über 90 Prozent bezeichneten die Kennzeichnung in einer Verbraucherbefragung im Sommer 2006 als schnell und leicht verständlich. (mit dpa)

Nicole Meßmer

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