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egal Techs arbeiten mit Algorithmen und sammeln viele Fälle. Das senkt die Kosten. Verbraucher können über die Portale auch kleine Summen erstreiten.

© Getty Images/iStockphoto

Streit um Legal Techs: Wenn dein Anwalt ein Computer ist

Legal Techs wie Flightright, wenigermiete.de oder Hartz4widerspruch.de bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone. Das macht Ärger.

Jetzt, wo die Berliner Ferien bald zu Ende gehen, bekommen die Legal Techs wieder Arbeit. Ist der Flug verspätet oder fällt er aus, bieten Internetportale wie Flightright, Fairplane oder EUclaim schnelle Hilfe. Einfach die Flugdaten auf der Internetseite eingetippt, und schon Sekunden später erfährt man, ob man Geld zurückverlangen kann oder nicht. Gerne übernehmen die Anbieter auch den Service, das Geld bei der Airline einzutreiben. Das Geschäftsmodell: Fließt das Geld, verlangen sie für ihre Dienste meist zwischen 25 und 30 Prozent der eingetriebenen Summe. Geht der Kunde leer aus, muss er den Portalbetreibern nichts bezahlen.

WAS DIE PORTALE BIETEN

Was mit Flugärger begonnen hat, zieht immer weitere Kreise. Legal Techs bieten ihre Dienste inzwischen in vielen Rechtsbereichen an. Wenn der Vermieter die Miete erhöhen will oder der Arbeitgeber eine Abfindung anbietet, sind die Internetportale zur Stelle. Die Unternehmen prüfen die Fälle, meist gestützt auf automatisierte Algorithmen.

Das ist effektiv, kostengünstig und schnell. Hinzu kommt, dass die Anbieter viele ähnliche Fälle bearbeiten. Das drückt die Kosten pro Fall. Und führt dazu, dass es sich für die Portale und die Verbraucher auch lohnt, um kleinere Beträge zu streiten. Hundert Euro Entschädigung von der Airline? Für solche Summen würden die meisten Kunden nicht zum Anwalt gehen.

ARBEIT IN DER GRAUZONE

„Eine Unterstützung der Rechtsberatung durch automatisierte Datenverarbeitung kann zum Beispiel durch die damit verbundene Effizienzsteigerung für die Rechtsdurchsetzung der Verbraucherinnen und Verbraucher vorteilhaft sein“, sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums dem Tagesspiegel.

Flugärger? Damit fing das Geschäft an. Portale wie Flightright, Fairplane oder EUclaim treiben für Fluggäste Entschädigungen für Verspätungen oder Flugausfälle ein.
Flugärger? Damit fing das Geschäft an. Portale wie Flightright, Fairplane oder EUclaim treiben für Fluggäste Entschädigungen für Verspätungen oder Flugausfälle ein.

© dpa

Das Ministerium prüft derzeit, ob „zur Erleichterung einer durch automatisierte Datenverarbeitung gestützten Rechtsberatung gesetzliche Änderungen nötig sind“. Viele sind der Meinung, dass es solchen Handlungsbedarf gibt. Denn die Legal Techs bewegen sich derzeit in einer rechtlichen Grauzone.

Das Rechtsdienstleistungsgesetz ist so gestrickt, dass es außergerichtliche Rechtsberatung nur in Ausnahmefällen erlaubt. Eine dieser Ausnahmen ist die anwaltliche Tätigkeit, eine andere Ausnahme sind Inkassounternehmen. Obwohl in vielen Legal Techs auch Anwälte sind, lassen sich die Unternehmen meist als Inkassounternehmen registrieren. Denn sie arbeiten auf Erfolgshonorbasis: Geld gibt es nur, wenn auch der Kunde etwas bekommt.

Das verträgt sich aber nicht mit der Tätigkeit als Anwalt. Denn Anwälte dürfen nur in Ausnahmefällen Erfolgshonorare vereinbaren. Im Normalfall gelten das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und die Bundesrechtsanwaltsordnung.

DER DRUCK WÄCHST

Doch das Unbehagen über den Schleichweg Inkasso wächst. Denn um Forderungen für den Kunden einziehen zu können, muss das Legal Tech vorher die Rechtslage prüfen. Zudem finanzieren die Anbieter das Verfahren vor.

Der Druck, die Rechtslage zu klären, kommt gleich von verschiedenen Seiten. Zum einen von der Anwaltschaft. So hat die Rechtsanwaltskammer Berlin die LexFox GmbH (Ex-Mietright GmbH) verklagt, die das Portal wenigermiete.de betreibt. Mieter können dort unter anderem überprüfen lassen, ob der Vermieter gegen die Mietpreisbremse verstößt. Die verschiedenen Kammern des Landgerichts Berlin haben die Frage, ob LexFox legitimiert ist, sich mögliche Ansprüche von Mietern abtreten zu lassen, unterschiedlich entschieden. Der Prozess ist inzwischen beim Bundesgerichtshof anhängig. Die Verhandlung soll am 16. Oktober stattfinden.

WAS DIE POLITIK WILL

Auch die Politik ist tätig geworden. Die FDP hat bereits im April einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Legal Techs Rechtssicherheit geben soll. Auch ganz oder teilweise automatisierte Tätigkeiten sollen danach unter das Rechtsdienstleistungsgesetz fallen. Zudem wollen die Liberalen generell die Regeln für die Anwaltschaft lockern. Die Verbote, Erfolgshonorare zu nehmen oder Prozesse vorzufinanzieren, sollen nach Vorstellung der FDP fallen.

Die Justizminister der Länder sehen das anders. Legal-Tech-Portale, die eine individualisierte rechtliche Prüfung bieten, sollen nur von Rechtsanwälten oder Rechtsanwaltsgesellschaften betrieben werden, beschlossen sie kürzlich. Für jedes Internetportal und für jedes Produkt müsse man im Einzelfall prüfen, ob die Dienstleistung eine individualisierte rechtliche Prüfung beinhalte oder nur eine schematische Rechtsanwendung darstelle.

Ob Legal Techs neue Grenzen brauchen, wird derzeit vom Bundesjustizministerium überprüft. Einen Zeitplan für konkrete Änderungen gibt es nicht. Die Diskussion über Legal Techs könnte aber möglicherweise Änderungen für die Anwaltschaft nach sich ziehen. „Die Frage, ob Änderungen im Bereich der Erfolgshonorare erforderlich sind, gehört zu dem vom Bundesjustizministerium derzeit geprüften Fragen“, heißt es im Ministerium.

Prüft, ob Reformen nötig sind: Bundesjustizministerin Lambrecht.
Prüft, ob Reformen nötig sind: Bundesjustizministerin Lambrecht.

© AFP

Unabhängig von der Debatte haben die Legal Techs immer mehr Rechtsbereiche erobert.

Flugverspätung: Legal Techs wie Flightright.de, Euclaim.de, Refund.me, Fairplane.de oder Flug-verspaetet.de kümmern sich um Entschädigungen bei Flugverspätungen ab drei Stunden. Man kann sich allerdings auch an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr in Berlin wenden. Die Stelle arbeitet für die Verbraucher kostenlos und hilft bei Ärger mit Airlines, der Bahn, Fernbussen und Anbietern im Nahverkehr.

Glücksspiel-Verluste: Wer online Geld verzockt hat (etwa mit Sportwetten, im Casino, beim Pokern), hat laut wirholendeingeld.de einen Erstattungsanspruch – und zwar gegen Banken oder Zahlungsdienstleister, über die Geld zum Anbieter transferiert wurde. Denn verbotenes Glücksspiel wurde so erst möglich. Drei Millionen Euro wurden laut wirholendeingeld.de bereits erfolgreich geltend gemacht.

Hohe Miete: Mieter können bei wenigermiete.de, prüfen lassen, ob bei ihrem Vertrag gegen die Mietpreisbremse verstoßen wurde. Wenn ja, verhandelt die Firma mit dem Vermieter und verklagt ihn notfalls. Das Portal prüft auch Ansprüche auf Mietminderung, Mieterhöhungen und Wohnungskündigungen.

Auch im Glücksspielbereich sind Legal Techs vertreten.
Auch im Glücksspielbereich sind Legal Techs vertreten.

© dpa

Dieselgate: myRight.de unterstützt Eigentümer von Dieselfahrzeugen dabei, Schadensersatz geltend zu machen, wenn bei den Abgaswerten manipuliert wurde. Allein gegen VW hat myRight 40 000 Fälle gesammelt.

Hartz4-Bezieher: Bei hartz4widerspruch.de kann man Bescheide kostenlos prüfen lassen. Werden Fehler entdeckt, ergeht ein Widerspruch. Bekommt der Hartz4-Bezieher dadurch mehr Leistungen, muss er davon nichts an den Rechtsdienstleister abgeben. Das Legal Tech hat in diesem Fall einen Honoraranspruch gegen die Arbeitsagentur.

Bahnkunden: Bei Verspätungen von mehr als 60 Minuten haben Bahnkunden einen Entschädigungsanspruch. Bahn-buddy.de bietet an, das Online-Ticket und damit den Anspruch abzukaufen; die Auszahlung erfolge innerhalb von 24 Stunden. Wie viel angeboten wird, hängt vom jeweiligen Ticket ab.

Weitere Legal Techs gibt es bereits zu Abfindungen, Bußgeldern oder Verkehrsunfällen.

Die Stiftung Warentest sieht die Entwicklung positiv und geht davon aus: „Das Angebot an Rechtsdienstleistern im Internet wird weiter wachsen.“ Sonstige Rechtsanwälte würden damit allerdings nicht überflüssig. „Sobald Fälle komplexer sind und eine Standardlösung nicht passt, stoßen die Legal Techs an ihre Grenzen“, meinen die Verbraucherschützer.

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