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Wirtschaft: Stumme Schreianzeige

Das Testurteil: 9 Punkte 0 Punkte: Hände weg und alle Bekannten warnen, 5 Punkte: Noch mal drüber schlafen, 10 Punkte: Sofort kaufen testet ein Babyphon Vor gut 30 Jahren, brauchten meine Eltern nur ihr Radio einzuschalten, wenn sie wissen wollten ob ihr Baby – also ich – noch munter und am Leben ist. Dazu hatte sich mein Vater kurzerhand einen Mini- Radiosender besorgt.

Das Testurteil: 9 Punkte 0 Punkte: Hände weg und alle Bekannten warnen, 5 Punkte: Noch mal drüber schlafen, 10 Punkte: Sofort kaufen

testet ein Babyphon Vor gut 30 Jahren, brauchten meine Eltern nur ihr Radio einzuschalten, wenn sie wissen wollten ob ihr Baby – also ich – noch munter und am Leben ist. Dazu hatte sich mein Vater kurzerhand einen Mini- Radiosender besorgt. Einschalten, ausrichten, fertig! Schon sendete der Apparat des Nachts mein Gebrabbel auf dem elektrischen Strahl durch unser Dorf, mit zwei Kilometern Reichweite, genau auf der Frequenz zwischen WDR2 und Deutschlandfunk – und meine Eltern waren beruhigt.

Das ist heute undenkbar. Die zarten Kinder von heute würden in eine sofortige Elektrosmogstarre verfallen, würden sie nur für Sekunden den Wellen einer solchen Gerätschaft ausgesetzt. Glauben zumindest moderne, besorgte Mütter und Väter. Als solche will man ja auch gelten, deshalb griffen meine Frau und ich zu einem Philips-Babyphon mit dem wunderbar poetischen Namen SBCSC 477/84. Das sei quasi der Mercedes unter den Babyphonen, empfahl uns die Reklame. Denn es sendet digital, genau wie ein schnurloses Telefon. Der Vorteil: keine bösen Strahlen am Ohr des Kindes. Und kein irritierendes Gebrabbel fremder Stimmen am Ohr der Eltern. Denn das kann angeblich passieren, wenn so ein Ding mit herkömmlicher Funktechnik auf demselben Kanal sendet wie das babyphonende Nachbarskind. Oder gar wie der heimwärts steuernde Fernfahrer mit per Funk bekundetem Schnitzelhunger. Heillose Verwirrung bei den lauschenden Müttern und Vätern wäre die Folge.

Die ist bislang ausgeblieben, Philips sei Dank. Das Genöle, Genöckel und Geschrei, das per Lautsprecher in reinstem Klang zu uns dringt, entstammt zweifellos dem Stimmorgan unseres Babys. Angenehm überraschte uns die einfache Bedienung des Geräts, das mit nur vier Knöpfen und einer sehr übersichtlichen Anleitung auskommt. Schließlich sind komplizierte Kompendien das Letzte, wofür man als Eltern Nerven hat, wenn der Nachwuchs ins Bett soll. Sogar die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wird erleichtert. Ist man auf einer Party, kann man zwar nicht hören, ob das Kind den Schlaf verweigert. Man kann es aber sehen – per Schreianzeige. Je nervöser die fünf Lampen flackern, desto lauter der Protest. Hübsch anzusehen ist der Apparat außerdem. Einen Punktabzug gibt es nur für den recht hohen Preis von rund 134 Euro.

Ihr Babyphon der ersten Stunde konnten mir meine Eltern leider nicht borgen. Sie mussten es eines Tages rasch verschwinden lassen, als die Rundfunkaufsicht begonnen hatte, nach einem illegalen Piratensender zu fahnden. Sinnloses Babygebrabbel sei den Hörern in unserem Dorf nicht zuzumuten, hieß es.

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