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Gerd Billen, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands

© dpa

Verbraucherschützer: "Die Behörden müssen Ross und Reiter nennen"

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat angesichts des Dioxin-Skandals die "föderale Kleinstaaterei" der Kontrollbehörden kritisiert. Verbandschef Billen fordert eine "verbindliche Positivliste für alle Futtermittelbestandteile".

Reagiert die Verbraucherministerin angemessen auf den Dioxin-Skandal?

Ilse Aigner hat zwei Aufgaben. Die eine ist, dafür zu sorgen, dass die Verbraucher schnellstmöglich Klarheit und Sicherheit darüber haben, was sie noch gefahrlos einkaufen und essen können. Hier hat die Ministerin gemacht, was man machen muss: gemeinsam mit den Ländern Informationen zusammenzutragen und Listen mit den beanstandeten Produkten veröffentlichen. Das war rechtzeitig und ausreichend. Die andere Aufgabe ist es, jetzt für die richtigen Konsequenzen aus dem Skandal zu sorgen. Aus den vielen Interessengruppen und den 16 Bundesländern kommen die unterschiedlichsten Vorschläge. Hier muss die Ministerin in den nächsten Tagen und Wochen Führung übernehmen.

Welche Versäumnisse lasten Sie der Politik an?

Ich laste ihr vor allem eines an: Dass der Bund auch nach dem Gammelfleischskandal nicht mit der nötigen Kompetenz ausgestattet wurde, Anforderungen an die Qualität von Lebensmittelüberwachungen zu stellen. Wir leben inzwischen in einem globalen Markt, die Lebensmittel kommen von überall. Doch bei der Überwachung haben wir noch immer eine föderale Kleinstaaterei. Für Kontrollen sind teilweise kommunale Angestellte zuständig, die Rechtswege sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Das ist ein klares politisches Versäumnis.

Der Dioxin-Skandal ist vor allem die Folge unzureichender Kontrollen?

Es fehlte an Kontrollen, und es wurde versäumt, die Kontrollinstanzen bundeseinheitlich aufzustellen. Im Telekommunikationsmarkt käme niemand auf die Idee, lokale Behörden damit zu beauftragen - und die Überprüfung in jedem Bundesland anders zu gestalten. Hier besteht mit der Bundesnetzagentur eine Behörde, die alles im Auge hat.

Die Ministerin hat an die Futtermittelindustrie appelliert, mehr Verantwortung zu übernehmen…

Für Appelle an die Industrie ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Gerade gegenüber denjenigen, die sich schon in der Vergangenheit als Achillesferse erwiesen haben - die Futtermittelindustrie mit ihren Vorlieferanten - sind jetzt klare Ansagen nötig. Die Qualitätssicherung und -kontrolle in dieser Branche scheint einfach nicht ausreichend zu sein.

Was ist nötig aus Ihrer Sicht?

Wir brauchen klare Vorschriften, was die Futtermittelindustrie zu machen und zu unterlassen hat. Natürlich hat sie die Qualität auch durch Eigenkontrollen sicherzustellen. Es muss aber auch die Pflicht geben, alle Kontrollergebnisse an die Behörden weiterzugeben. Zudem müssen beauftragte Labore dazu verpflichtet werden, Grenzwertüberschreitungen zu melden. Die staatlichen Lebensmittelbehörden müssen Ihrerseits ihre Untersuchungsergebnisse unter Nennung von Ross und Reiter veröffentlichen. Der Skandal im Skandal ist ja, dass ja auch niemandem in der Lebensmittelüberwachung etwas aufgefallen ist. Offenbar sind erhöhte Dioxinkonzentrationen ja schon seit März 2010 in die Futtermittel gelangt.

Kann Deutschland ohne die EU denn überhaupt aktiv werden?

Die Ministerin muss auf europäischer Ebene Druck machen. Wichtig wäre etwa eine verbindliche Positivliste für alle Futtermittelbestandteile. An die Qualität der Futtermittel müssen höhere Anforderungen gestellt werden. Es kann nicht sein, dass alles in die Verwertung zur Futtermittelherstellung gedrückt wird, was als Nebenprodukt aus industrieller Verarbeitung kommt. Die Anforderungen an die Futtermittel können sehr wohl im nationalen Alleingang verschärft werden.

Braucht der Bund mehr Kompetenzen?

Mehr Kompetenzen sind das eine. Das andere ist eine bessere Koordinierung und Führung bei der Überwachung.

Helfen auch schärfere Strafen?

Kriminalität und Betrug gibt es in jeder Gesellschaft. Und es gibt immer zwei Wege, dies einzudämmen. Das eine ist ein höheres Strafmaß, das sollte jetzt geprüft werden. Das andere ist, dass die Verursacher solcher Skandale die Kosten, die dadurch entstehen, übernehmen müssen. Risiko und Verantwortung gehören zusammen.

Sie fordern einen Risikofonds für die Hersteller von Futtermitteln?

Ob das eine Fondslösung für die Branche ist oder ob das Versicherungslösungen sind: Jeder Lieferant von Futtermittelkomponenten sollte künftig nachweisen müssen, dass er auch in der Lage ist, den Schaden zu bezahlen, wenn durch seine Schuld Gifte in die Nahrung gelangen.

Tragen nicht auch die Verbraucher, die immer günstigere Lebensmittel wollen, Verantwortung für die Skandale?

Der Preisdruck im Lebensmitteleinzelhandel geht zu Lasten von Qualität. Dafür sind Analogkäse und Klebeschinken warnende Beispiele aus den zurückliegenden Monaten. Etwas anderes ist es, wenn in der Futtermittelbranche gepanscht wird oder mittels krimineller Energie vergiftete Fette verwendet werden. Bei den Lebensmitteln sehen wir: teuer ist nicht immer gut, preiswert nicht automatisch schlecht. Aber eines ist klar: Dioxin hat in Lebensmitteln, egal zu welchem Preis, nichts zu suchen. Hier ist jetzt auch der Handel gefordert sicherzustellen, dass die Verbraucher wieder sorgenfrei einkaufen können.

Das Gespräch führte Rainer Woratschka.

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