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Versicherungen: Jede Minute zählt

Seit Jahresanfang gilt das neue Versicherungsrecht - aber nicht für jeden. Versicherer argumentierten zum Beispiel, dass über 30 Jahre laufende Versicherungen zum Jahresende ausgelaufen waren, nicht am 1.1. Sie versuchten, sich um höhere Leistungen zu drücken.

Das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist erst seit wenigen Wochen in Kraft, und schon gibt es Streit. Der dreht sich darum, ob Lebensversicherungen, die am 1. Januar dieses Jahres fällig wurden, nach dem neuen Gesetz abgerechnet werden müssen oder nicht. Was akademisch klingt, hat handfeste finanzielle Konsequenzen. Bei einer Lebensversicherung, die über 100000 Euro abgeschlossen wurde und 30 Jahre läuft, kann der Unterschied nach Angaben der Allianz Lebensversicherung gut 2000 Euro ausmachen.

Das Problem: Das neue VVG verpflichtet die Versicherer, die Kunden bei Vertragsende an den stillen Reserven zu beteiligen. Stille Reserven entstehen, wenn Wertpapiere oder Immobilien einen höheren Wert haben als in der Bilanz ausgewiesen. Nach dem neuen Gesetz wird den Kunden die Hälfte der stillen Reserven ausgezahlt, die mit ihren Beiträgen erwirtschaftet worden sind. Die andere Hälfte bleibt im Unternehmen.

Ob es stille Reserven gibt und wie hoch sie sind, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Während die Aachen-Münchener so gut wie keine Reserven hat, sind es beim Branchenführer, der Allianz Leben, 13 Milliarden Euro. Sechs davon müssten die Stuttgarter rechnerisch an die Kunden ausgeben. Das will der Versicherer jetzt auch tun.

Am Jahresanfang hatte die Allianz ihre Kunden noch abblitzen lassen. Der Versicherer war der Meinung, dass die Verträge, die vor 20 oder 30 Jahren am 1. Januar 1988 oder 1978 abgeschlossen worden sind, nicht am 1. Januar 2008 abgelaufen sind, sondern schon am 31. Dezember 2007. Damit würde aber das neue VVG für diese Policen nicht gelten. Beschwerden betroffener Kunden beim Ombudsmann für das Versicherungswesen hatten keinen Erfolg. Doch vor wenigen Tagen begann sich das Blatt zu wenden. Versicherungsombudsmann Wolfgang Römer sprach von einer „Panne“. Die Schlichtungsstelle hätte gar keine Entscheidung fällen dürfen, sagte Römer dem Tagesspiegel. Auch Verbraucherschützer liefen Sturm. „Die Versicherer müssen die Kunden an den stillen Reserven beteiligen“, kritisierte Torsten Rudnik vom Bund der Versicherten.

Die Allianz Lebensversicherung reagierte. Sie zahlt den betroffenen Kunden jetzt doch einen Anteil an den stillen Reserven. „Aus Kulanz“, betont Unternehmenssprecher Eckhard Marten und räumt ein, „die Formulierung war missverständlich“. Betroffen sind allein beim Marktführer rund 30 000 Verträge, die zum 1. Januar 2008 beendet worden sind. Der Nachschlag an die Kunden kostet das Unternehmen nach eigenen Angaben einen zweistelligen Millionenbetrag.

Die Branche verhält sich unterschiedlich. Während die Huk Coburg und die Axa betroffene Kunden an den stillen Reserven beteiligen, hat die Debeka betroffene Lebensversicherungsverträge bereits am 21. Dezember ausgezahlt, ohne die Versicherten nach dem neuen Recht an den stillen Reserven zu beteiligen. Dennoch sieht Debeka-Sprecher Gerd Benner darin kein Problem: „Jeder Kunde bekommt bei uns eine Mindestbeteiligung an den stillen Reserven“, sagte Benner dem Tagesspiegel. „Für die Kunden würde auch nach dem neuen Recht nicht mehr herauskommen.“

Für Verbraucher ist die Lage derzeit unübersichtlich. Versicherungskunden, deren Lebensversicherung zum 1. Januar dieses Jahres ausgelaufen ist, sollten ihre Abrechnung daher auf jeden Fall genau prüfen, raten Verbraucherschützer. „Jeder Verbraucher sollte sich an seinen Versicherer wenden, wenn die Beteiligung an den stillen Reserven nicht ausgewiesen ist“, rät Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten.

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