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Von TISCH zu TISCH: First Floor

Gateau von Gänseleber mit Pfirsich

Das Palace am Europa-Center ist eine ausgesprochene Rarität: ein großes Luxushotel in Privatbesitz, unabhängig von allen großen Ketten, Mitglied nur bei „Leading Hotels“, dem anspruchsvollen weltweiten Marketing-Verbund. Der legendäre Direktor Karl Stiehle, vermutlich der letzte Berliner Renaissancemensch, hatte früh erkannt, wie wichtig gute Küche ist, um einem teuren Hotel ein Alleinstellungsmerkmal anzuheften, und er gründete deshalb das großzügige First Floor schon 1991 und damit lange, bevor alle Berliner Top-Hotels das Thema für sich entdeckten. Ein Pionier.

Das Hotel hat diesen Kurs unter Stiehles Nachfolger Kurt Lehrke eisern gehalten, allerdings ist noch unklar, was dessen plötzlicher Ausstieg jetzt bedeuten könnte. Er hat jedenfalls noch einen Nachfolger für den offenbar ausgebrannten Küchenchef Matthias Buchholz gefunden: Matthias Diether, den ehemaligen Souschef des dreibesternten Wolfsburger Aqua.

Dass so einer sehr gut kochen kann – geschenkt. Er hat nur das Problem aller Nachfolger: Soll er dort anfangen, wo der Vorgänger aufgehört hat, oder gleich die Revolution starten? Die konservative Kundschaft des First Floor und der hohe Stammgastanteil haben offenbar den Ausschlag dafür gegeben, dass Diether erst einmal ähnlich weitermacht, mit vielen Luxusprodukten und einer Stilistik, die sich zwischen französischer Neoklassik und dem Mittelmeer bewegt.

Eine Neuerung ist deutlich: Statt der oft etwas ziellosen Üppigkeit aus Buchholz’ Zeit gibt es nun feinziselierte Konstruktionen äußerster handwerklicher Präzision – es steht sogar ausdrücklich ein Amuse-bouche-Menü auf der Karte (vier Gänge 78, acht 112 Euro). Was kommt, ist generell klug dimensioniert, acht Gänge lassen sich gut bewältigen, sie fallen aber auch nicht so klein aus, dass gleich mit dem ersten Bissen alles weg ist. Allerdings haben mich die Proportionen nicht immer überzeugt, zum Beispiel bei der Tarte von der Jakobsmuschel mit Hummerbiskuit und Passionsfruchtschaum, denn das war eher eine (köstliche) Passionsfruchtsuppe mit einer keksigen Insel und sehr wenig Jakobsmuscheln, die so kaum eine Chance hatten, sich auf der Zunge zu entfalten.

Diether kocht noch mit angezogener Handbremse, oft hochdekorativ und belebend wie beim Gateau von Gänseleber mit Pfirsich oder der Königskrabbe auf zwei Arten mit Mango. Den betont undeftigen Wolfsbarsch verbandelt er mit Spitzkohl und Blutwurst, subtil, aber mangels frischer Elemente ein wenig zu breit angelegt. Selbst wenn man nicht der aktuellen Küchenideologie folgt, die immer die ganze Spannbreite von süß und sauer, weich und knusprig, scharf und mild auf einem Teller fordert, ist hier noch Platz für Detailarbeit erkennbar. Das galt auch für das brave Kalbsfilet „Rossini Art“ mit Morcheln und Trüffeln.

Puristischer und damit zukunftsträchtiger schien mir das geschmorte Wollschwein „Berliner Art“, gut ausbalanciert mit Äpfeln und Zwiebeln, aber fern jeder überzogenen Deftigkeit. Wie ein perfektionierter 90er-Jahre-Klassiker wirkte dagegen die mit einem Petersilienpüree überzogene Taubenbrust mit Portwein-Schalottenconfit und einer mit etwas Gänseleber angereicherten „Sauce Riche“, nicht zukunftsweisend, aber köstlich ohne Diskussion. Die Patisserie wagt sich ein wenig mutiger hervor als früher und raut die süße Konvention durch Essigkaramell zu Rhabarber und Vanilleeis oder Estragon zu Ananas und akkuraten Valrhona-Variationen angenehm auf.

An dieser Stelle folgt das unweigerliche Loblied auf den perfekten Service von Jerk Martin Riese und den Weinkeller, der von Gunnar Tietz, dem besten Sommelier der Stadt, beispielhaft weiterentwickelt wird. Tietz hat neben den Klassikern alles, was in der Szene diskutiert wird, er vernachlässigt auch Übersee nicht und schöpft aus dem Vollen, wenn der Gast ihm die Begleitung glasweise überlässt. Natürlich ist das teuer, aber es gibt durchaus ein paar andere Restaurants in der Stadt, in denen mit viel weniger Gnade zugeschlagen wird. Das First Floor spielt also weiterhin oben mit.

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