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Mit der Abstimmung über die Reform des Bundeswahlgesetzes soll eine Verkleinerung des Parlaments nach der nächsten Bundestagswahl erreicht werden.

© dpa/Michael Kappeler

Update

Ampel setzt ihre Wahlrechtsreform um: Union spricht von Manipulation – und will das Gesetz rückgängig machen

Der Bundestag soll dauerhaft 630 Sitze haben, die Fünfprozentklausel wird verschärft. CDU und CSU kündigen an, die Reform bei der nächsten Regierungsbeteiligung zurückzunehmen.

Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP hat der Bundestag nach jahrelangem Streit die Reform des Wahlrechts beschlossen. Nach dem Gesetz der Ampel-Koalition wird der Bundestag künftig 630 Sitze haben. Eine Vergrößerung über diese Zahl hinaus ist damit weitestgehend ausgeschlossen. Derzeit hat das Parlament 736 Abgeordnete.

Nach der Ampel-Reform sind Direktmandate für Sieger und Siegerinnen in den Wahlkreisen nicht mehr garantiert. Damit sollen Überhänge vermieden werden. Ziel der Reform ist es, das Parteienverhältnis unverzerrt in die Sitzverteilung im Bundestag umzusetzen.

In der heftigen Debatte am Freitagmorgen stand allerdings eine Maßnahme im Mittelpunkt, welche die Ampel erst am vorigen Montag angekündigt und per Änderungsantrag am Mittwoch in den Innenausschuss eingebracht hatte: die Streichung der Grundmandatsklausel aus dem Wahlgesetz.

Die macht es bisher möglich, dass auch Parteien, die an der Fünfprozenthürde scheitern, in den Bundestag kommen, wenn sie mindestens drei Direktmandate erringen. 2021 nutzte diese Klausel der Linken. Die CSU hatte bei der Wahl 5,2 Prozent der Stimmen bundesweit, ist also ebenfalls am Erhalt der Klausel interessiert.

Klagen in Karlsruhe

Vor allem deswegen, aber auch wegen des Wegfalls der Direktmandatsgarantie, kündigten Unions-Fraktionschef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an, gegen das neue Wahlgesetz eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Sie warfen der Ampel-Koalition eine „Manipulation des Wahlrechts“ vor. SPD, Grünen und FDP wollten damit ihre Macht im Bundestag zementieren. Dobrindt bestätigte, dass auch die bayerische Staatsregierung gegen das Gesetz klagen wolle. Auch die Linke kündigte eine Klage an.

Merz und Dobrindt gingen aber noch einen Schritt weiter. Offenkundig für den Fall, dass der Gang nach Karlsruhe nicht erfolgreich wäre, kündigten sie an, das Gesetz bei der nächsten Regierungsbeteiligung im Bund rückgängig machen zu wollen. Man werde „jede Gelegenheit nutzen, den Beschluss vom Freitag zu korrigieren“, sagte Merz.

Die Streichung der Grundmandatsklausel würde mit Blick auf die CSU bedeuten, dass bei einem Abschneiden unter fünf Prozent der Zweitstimmen bundesweit auch sämtliche errungenen Direktmandate verfallen würden. 2021 hatte die CSU in 45 der 46 bayerischen Wahlkreise vorne gelegen.

Profitiert hätten von einem Aus der CSU vor allem SPD, Grüne und FDP, aber auch die AfD. Bayern wäre nur noch von diesen vier Parteien vertreten worden. „Die Ampel schnitzt sich ein Wahlrecht, das ausschließlich zu ihren Gunsten ist“, sagte Dobrindt, der mit Blick auf den Änderungsantrag auch von „handstreichartigen Veränderungen“ und einem „Wahlrechts-Manipulationsmurks“ sprach.

Diese Wahlrechts-Manipulation darf keine Anwendung bei einer Wahl finden.

Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ließ allerdings in der Bundestagsdebatte durchblicken, dass der Entschluss der Ampel zum Streichen der Klausel auf einen Hinweis der Union in internen Gesprächen zurückging. Demnach hatten CDU und CSU vor, ihre Klage in Karlsruhe auch mit dem Festhalten an der Grundmandatsklausel zu begründen. Laut Mützenich wollte die Koalition mit dem Streichen der Klausel das eigene Gesetz verfassungsfester machen.

Die Bitte von Merz, die Abstimmung um zwei Wochen zu verschieben, da die kurzfristig vorgelegten Änderungen erheblich seien und viel Beratungsbedarf ausgelöst hätten, wies Mützenich zurück. Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann und der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle boten der Union an, nach der Verabschiedung des Gesetzes darüber zu reden, ob und wie die Möglichkeit einer Listenverbindung das Problem der CSU lösen könnte.

Angebot einer Listenverbindung

Nach einer Karlsruher Entscheidung sind Zählgemeinschaften konkurrierender Parteien zum Zweck der Umgehung der Fünfprozenthürde zwar grundgesetzwidrig. Doch könnte sich wohl ein Weg finden lassen, der angesichts der Sondersituation bei CDU und CSU verfassungskonform wäre. Beide Parteien konkurrieren bei Wahlen nicht, die CSU hat sich selbst auf Bayern beschränkt, im Bundestag besteht seit Jahrzehnten eine Fraktionsgemeinschaft.

Tatsächlich ist es so, dass die Grundmandatsklausel im Ampel-Modell als „Systembruch“ gesehen werden kann. Entsprechend hatten sich in der Anhörung zum Gesetzentwurf auch Sachverständige geäußert, die von der Union geladen worden waren.

Ein Kernelement des Ampel-Gesetzes ist es, dass die Erststimmen keinen Einfluss mehr auf das Sitzverhältnis im Bundestag haben sollen. Dem könnte widersprechen, dass Parteien, die nach Zweitstimmen wegen der Fünfprozenthürde keinen Anspruch auf eine Vertretung haben, über drei gewonnene Direktmandate (die ja auf Erststimmen zurückgehen) dennoch einziehen.

400 Abgeordnete stimmten am Freitag für die Reform. Wie die stellvertretende Bundestagspräsidentin Aydan Özoguz (SPD) mitteilte, stimmten 261 Abgeordnete gegen den Gesetzentwurf. 23 Parlamentarier enthielten sich. In der Debatte bezeichnete der SPD-Wahlrechtsobmann Sebastian Hartmann die „überfällige“ Reform als klar und verständlich.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, warf der Ampel dagegen „Arroganz“ vor. Sie habe die Änderung kurz vor der Abstimmung einfach so „hingerotzt“. Der Bundesrat muss sich auch noch mit dem Gesetzentwurf befassen, kann ihn aber nicht aufhalten.

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