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In einem Tunnel auf dem Weg zur Loveparade in Duisburg kam es zu einer Massenpanik..

© dpa

Loveparade in Duisburg: Internet-User hatten vor Massenpanik gewarnt

Chronik einer angekündigten Katastrophe: Bereits Tage vor der Loveparade hatten Anwohner und Fans im Internet auf die Risiken des eingezäunten Geländes aufmerksam gemacht.

Von Maris Hubschmid

19 Tote und hunderte Verletzte - es ist die traurige Bilanz einer Party, die im Zeichen der Liebe hatte stehen sollen. Schrecklich ist auch die Erkenntnis, dass die Tragödie von Duisburg möglicherweise vermeidbar gewesen wäre. Nicht nur, dass Veranstalter, Polizei und Ämter die Panik im Tunnel hätten vorhersehen können: Selbst bei Laien hatten nach Bekanntwerden der Festival-Eckdaten schon Tage vor dem Unglück die Alarmglocken geklingelt. In Internetforen diskutierten Duisburger und Loveparade-Fans die Verantwortungslosigkeit des Unternehmens, rieten von einem Besuch der Parade ab. Sie warnten vor Chaos und Toten. Stadt und Organisatoren nahmen davon keine Notiz.

„230.000 qm für sagen wir mal 460.000 Menschen, das ergibt genau einen halben Quadratmeter pro Person“, schreibt eine Nutzerin des Nachrichtenportals „Der Westen“ , das am Dienstag vergangener Woche über Beschaffenheit und Größe des ausgesuchten Geländes berichtet hatte. Bühnen, Getränke- und Essensstände noch nicht einmal mit eingerechnet, sei man dann doch bereits zusammengepfercht wie Sardinen in der Dose. „Wenn da aus irgendeinem Grund dann eine Panik ausbricht, gibt es Tote“. So eine Menge auf eingezäuntem Raum, das könne einfach nicht gut gehen, schlussfolgert die Kommentatorin. Ihre Meinung wird von zahlreichen anderen geteilt. „Wissen die Verantwortlichen, was sie da tun?“, fragt ein User namens Benno am Abend des 20. Juli. „Wenn in solchen Menschenmengen bei dem beschränkten Raum mal eine unkontrollierte Bewegung entsteht, dann gibt es Tote und Verletzte zuhauf.“ Wie konkret die Vorhersagen der besorgten Menschen sind, erscheint nach der Katastrophe wie eine böse Ironie des Schicksals.

„Wenn die Zugänge nach 500.000 Besuchern gesperrt werden, werden die 400.000 darüber hinaus angereisten Loveparadler mit Sicherheit nicht still und gelassen abwarten, bis sie auch mal auf die Partymeile kommen, sondern versuchen, irgendwie das Gelände zu stürmen“, prognostiziert ein Mann, der ursprünglich selber vorgehabt hatte, nach Duisburg zu fahren. Später tut er im Forum seinen Entschluss Kund: „Ich habe mir das nochmal überlegt mit der LP dieses Jahr... Ich bleibe lieber zuhause.“ Gerade die Gefahr des Tunnels als Nadelöhr ist für die meisten Diskussionsbeteiligten offensichtlich: „Der einzige Zugang liegt in einem Tunnel, ist maximal 15 Meter breit und besteht aus Kopfsteinpflaster“, informiert eine Anwohnerin die Auswärtigen im Chat. Sie appelliert an alle Zweifelnden: „Bleibt zuhause!“

Der Tunnel mache das Areal zu einer riesigen Falle, schreibt ein anderer. „Einmal drin, kommst du nie wieder raus.“ Erschreckend hellseherisch wirkt der Kommentar eines Nutzers namens „klotsche“: „Sehe ich das richtig, dass die versuchen 1 Million Menschen über die einspurige(!) TUNNELSTRAßE(!) Karl-Lehr-Straße mit zwei kleinen Trampelpfaden hoch zum Veranstaltungsgelände zu führen? Also in meinen Augen is das ne Falle. Das kann doch nie und nimmer gut gehen. Wer in Essen und Dortmund dabei war, weiß, wie groß das Gedränge schon auf recht weitläufigen Zugangswegen war. Das war ne Katastrophe und die wollen ernsthaft den Zugang über nen einspurigen TUNNEL leiten? Ich fass es nicht!!!! Ich seh' schon Tote wenn nach der Abschlusskundgebung alle auf einmal über diese mickrige Straße das Gelände verlassen wollen.“

Den Link zur Seite mit Klotsches eindringlichem Weckruf schicken viele Internetnutzer derzeit per Mail an Freunde und Bekannte. Über das Internetportal Twitter läuft die Mitteilung: „Klotsche, Duisburger, Vasa49, Lover P - man hätte auf Euch hören sollen.“ Im Internetnetzwerk „Facebook“, wo sich seit Tagen ebenfalls diverse Mitglieder über Planung und Verlauf der Veranstaltung austauschen, haben Trauernde ein digitales Kondolenzbuch eingerichtet. 15 551 Nutzer hatten sich bis Montagmittag angeschlossen. Einige Besucher der Parade haben ihre Amateuraufnahmen der Massenpanik inzwischen auf der Videoplattform „Youtube“ online gestellt. In zahlreichen Kommentaren äußern Internetnutzer dazu ihre Fassungslosigkeit.

Weitere warnende Stimmen, die vor Veranstaltungsbeginn bei „Der Westen“ zu lesen waren: „Ich bin überzeugt, dass es eskalieren wird“/ „So viele Menschen durch den langen Tunnel und einen einzigen Zugang schleusen zu wollen, ist unverantwortlich“/ „Mein gesunder Menschenverstand rät mir, das Spektakel lieber vor dem heimischen Fernseher zu genießen“/ „Habe den Platz heute Morgen vom Zug aus gesehen. Sieht viel zu klein und sehr uneben aus.“

Zwei User berichteten gar, von in die Organisationspläne eingeweihten Sicherheitskräften vor einem Besuch der Loveparade gewarnt worden zu sein. Ein Polizist soll seinen Kindern im Hinblick auf den drohenden Platzmangel eine Teilnahme an der Parade strengstens verboten haben. Ein Feuerwehrmann warnte seinen Nachbarn: „Gehen Sie da bloß nicht hin. Ich habe noch nie eine schlechter organisierte Veranstaltung gesehen. Mir wird ganz schlecht, wenn ich bloß daran denke.“

Weshalb derartige Befürchtungen nur im privaten Umfeld geäußert wurden, bleibt aus heutiger Sicht ein Rätsel. Am Tag nach der Katastrophe herrscht im Chat tiefe Betroffenheit. Niemand ist dort stolz darauf, Recht behalten zu haben. Die Menschen sprechen den Angehörigen der Opfer ihr Beileid aus, lediglich eine Nutzerin schreibt auf, was im Forum wohl alle denken: „Ich wünschte, die Toten hätten gewusst, was wir geahnt haben. Hätten Sie das hier nur gelesen.“

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