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Vor allem in Indien. Gläubige Hindus in Muradabad im indischen Uttar Pradesh bei einer Kundgebung. Am Wachstum der Weltbevölkerung hat das Land großen Anteil. Foto: dpa

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Indien wird bald mehr Menschen zählen als China und zur größten Nation der Welt aufsteigen

Mindestens vier Kinder wünscht sich Lakshmi. Am liebsten Söhne, sagt die 23-Jährige. Sie lebt in einem der besseren Armenviertel Delhis, nicht weit von einer der klimagekühlten Shoppingmalls, in der sich Indiens aufstrebende Mittelschicht ihre Freizeit vertreibt. Kinder sind die Seele einer Familie, meint Lakshmi. Doch in einem Land wie Indien, wo es kein wirkliches soziales Netz gibt, sind Kinder noch mehr: die Alterssicherung der Armen. Das gilt in Indien vor allem für die Söhne. Mädchen gehören mit der Heirat zur Familie des Mannes. Von Verhütung weiß Lakshmi nicht allzu viel. Und sie wird verlegen, wenn man sie danach fragt. Im prüden Indien werden solche Themen weiter tabuisiert.

Während in vielen Ländern dieser Welt die Bevölkerung schrumpft, wächst sie in Indien weiter. Die neueste Volkszählung ergab zwar, dass der Anstieg sich abgeschwächt hat, doch die Bevölkerungsexplosion ist noch lange nicht gestoppt. Auf dem Subkontinent leben nun 1,21 Milliarden Einwohner. Rund 17 Prozent oder 181 Millionen mehr als noch 2001. In spätestens 25, 30 Jahren werde Indien den alten Rivalen China überholen und zur größten Nation der Welt aufsteigen, sagen Statistiker. Dabei wird Indien schon heute der Menschenmassen kaum Herr. Und der Politik fehlen wirksame Konzepte, um das Wachstum schnell zu stoppen.

Die schiere Masse der Inder zählt natürlich auch zu den Pfunden, mit denen die aufstrebende Wirtschaftsmacht wuchern kann. Das Land verfügt über einen beispiellosen Pool an jungen Menschen, die buchstäblich nach Arbeit hungern, nach qualifizierter ebenso wie nach unqualifizierter. Zugleich bietet es auch einen der größten Konsumentenmärkte der Welt und ist damit für die globalen Konzerne hoch attraktiv. Doch die Bevölkerungsexplosion hat auch ihre Kehrseite: Es fehlt an allen Ecken und Enden, um das Riesenvolk zu versorgen. Es gibt nicht genug Jobs, nicht genug Strom, nicht genug Wasser. Selbst in der Hauptstadt Delhi sind Stromausfälle weiter Alltag. Und in den heißen Sommermonaten tröpfelt es in einigen Vierteln über Tage nur noch aus dem Wasserhahn.

Einerseits gehört das Land politisch und ökonomisch zu den aufgehenden Sternen an Asiens Himmel. Andererseits wirkt es bisweilen wie eine Titanic mit ein, zwei Milliarden Passagieren an Bord. Obgleich die Wirtschaft seit Jahren um satte acht bis neun Prozent wächst, schafft es Indien nicht, seine Bevölkerung satt zu bekommen. Laut Statistiken sterben jeden Tag auf dem Subkontinent beinahe 5000 Kinder an Hunger und seinen Folgen. Die Städte sind übervoll und platzen aus allen Nähten. Auch die Umwelt ächzt unter der Last. Die Riesenbevölkerung produziert riesige Müllberge, die irgendwo entsorgt werden müssen. Weil immer mehr Inder Autos kaufen und immer mehr Fabriken entstehen, nimmt die Luftverschmutzung vor allem in den Metropolen dramatisch zu. Die Hauptstadt Delhi müsste eigentlich immer wieder über Tage evakuiert werden, so hoch sind die Werte.

Indiens Bevölkerungspolitik greife nicht ausreichend, meinen Experten. Sie forderten mutigere Initiativen. Während China eine rigide Ein-Kind-Politik verfolgt, setzt das demokratische Indien auf vergleichsweise sanfte Methoden, um die Geburtenzahlen zu mindern. Abtreibungen sind in Indien legal und in Staatshospitälern sogar kostenlos. Doch vor allem Sterilisationen werden zur Geburtenkontrolle genutzt. Und gerade dieses Thema ist in Indien ein hochsensibles Feld. Das hat historische Gründe. In den 70er Jahren unter den Notstandsgesetzen gab es massenhaft Zwangssterilisationen. Damals karrten übereifrige Gesundheitsbeamte ganze Busladungen voller Menschen zu Sterilisationskliniken. Und auf dem Lande wurden Analphabeten ohne ihr Wissen und ohne ihre Einwilligung in Regierungskrankenhäusern sterilisiert.

Experten sind sich einig, dass Frauen eine Schlüsselrolle dabei spielen, das Bevölkerungswachstum in Indien zu bremsen – Frauen wie Lakshmi.

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