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Noch Stunden nach Ausbruch des Feuers, waberte dichter Qualm durch die Behindertenwerkstatt.

© dpa

Update

14 Tote in Titisee-Neustadt: Nach Brand in Behindertenwerkstatt: Trauerbeflaggung am 1. Dezember

Die Menschen in der Behindertenwerkstatt von Titisee-Neustadt waren dem Feuerinferno hilflos ausgeliefert, 14 Opfer starben. Nun gibt es eine erste konkrete Forderung, um die Sicherheit in Behinderteneinrichtungen zu verbessern.

Um die 14 Todesopfer der Brandkatastrophe in einer Behindertenwerkstatt in Titisee-Neustadt wird am 1. Dezember in ganz Baden-Württemberg getrauert. Für diesen Tag sei landesweit Trauerbeflaggung angeordnet, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Die Trauerandacht im St-Jakobus-Münster hielten der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch und der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ulrich Fischer. Anschließend sei auch eine Ansprache des Ministerpräsidenten geplant.

Am Montag waren zehn Frauen mit Handicaps im Alter von 28 bis 68 Jahren sowie drei Männer mit Behinderungen zwischen 45 und 68 Jahren ums Leben gekommen. Bei dem Brand auch eine Betreuerin (50), wie die Polizei in Freiburg am Dienstagvormittag mitteilte. „Angaben zur Unglücksursache können noch nicht genannt werden, da die akribisch geführten Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind“, hieß es in einer Mitteilung der Polizei.

Nach dem Feuer in der Behindertenwerkstatt planen Kirchen und die Gemeinde eine Trauerfeier. „Es gibt ein großes Bedürfnis der Hinterbliebenen und der Bürger, gemeinsam Abschied zu nehmen“, sagte Bürgermeister Armin Hinterseh am Dienstag. Auch die Rettungskräfte hätten diesen Wunsch geäußert. Voraussichtlich diesen Samstag werde es in Titisee-Neustadt einen ökumenischen Gottesdienst geben. Unverändert groß ist das Interesse an Hilfsangeboten. Die am Montag nach dem Brand eingerichtete Telefon-Hotline im Rathaus der 12 000 Einwohner zählenden Gemeinde werde stark nachgefragt.

Die Ermittler haben in der Nacht weiter nach der Brandursache gesucht. „Die Brandermittler der Kriminalpolizei, die Spurensicherung und Sachverständige waren in der Nacht vor Ort“, sagte am Dienstagmorgen ein Sprecher der Freiburger Polizei. Bei dem Feuer waren am Montagmittag 13 Mitarbeiter und eine Betreuerin der Einrichtung ums Leben gekommen, wie der Sprecher bestätigte. Die Zahl der Verletzten erhöhte sich nach Angaben der Polizei auf neun. Sie seien auf verschiedene Krankenhäuser verteilt worden. Einzelne unter ihnen seien dabei in Kliniken bis nach Stuttgart gebracht worden.

Am Dienstagnachmittag will die Polizei auf einer Pressekonferenz über den Stand der Ermittlungen berichten. Die Brandursache blieb zunächst weiter unklar. Caritas-Präsident Peter Neher will unterdessen die Notfallpläne auf den Prüfstand stellen. „Es ist logisch, dass nach einer solchen Katastrophe (...) sicher noch einmal alle Einsatzpläne, alle Nothilfemaßnahmen genau überprüft werden müssen“, sagte Neher am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“.

Erste Rufe nach schärferen Sicherheitsvorkehrungen gibt es bereits. Die Deutsche Hospiz Stiftung forderte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag), soziale Einrichtungen müssten innerhalb der nächsten vier Jahre mit Sprinkleranlagen ausgerüstet werden. „Was für die deutschen Flughäfen gilt, muss gerade für Einrichtungen der Pflege- und Behindertenfürsorge gelten“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Menschen mit Behinderungen hätten keine Chance, sich selbst zu retten. In der Caritas-Werkstatt in Titisee-Neustadt gab es keine Löschanlage.

Der Pflegeexperte der Union im Bundestag, Willi Zylajew, wies Forderungen nach schärferen Vorgaben zurück. „Die Brandschutzvorschriften für Pflege- und Behinderteneinrichtungen sind ausgesprochen hoch, somit absolut ausreichend und werden meist auch korrekt eingehalten“, sagte Zylajew der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Gleichwohl mahnte der CDU-Politiker im Fall des Brandes in der Werkstatt eine „sofortige und rückhaltlose“ Aufklärung an.

Es war kurz vor 14 Uhr am Montag, als eine Zeugin einen Knall in der Montageabteilung der Behindertenwerkstatt hörte. Eine andere Zeugin läuft daraufhin zur Rückseite des Gebäudes, sieht Menschen an den Fenstern. Qualm dringt aus dem Gebäude. Um 13 Uhr 58 geht der Alarm bei der Feuerwehr im Hochschwarzwald ein. Ein Großeinsatz von Feuerwehr, Polizei und Rettungskräften läuft an – es wird der größte Rettungseinsatz, den die Gemeinde Titisee-Neustadt je erlebt hat.

Lange hatten sie diesen Tag ersehnt. Es hätte der Start in die Adventszeit werden sollen für die Caritas-Leute von Neustadt und ihre behinderten Schützlinge. Um 8 Uhr öffnete der Weihnachtsmarkt. Die Behinderten wollten das verkaufen, was sie in den vergangenen Wochen und Monaten gefertigt haben: Holz-Nikoläuse, Weihnachtssterne oder Blumenvasen. Doch es wurde für viele zu einem Tag der Verzweiflung, von Trauma und Tod.

An der Rückseite des 1979 gebauten Gebäudes, dort wo es Stunden später immer noch aus schwarzen Fensterhöhlen durch zerbrochene Scheiben qualmt, war der Arbeitsplatz der geistig und mehrfach behinderten Menschen. Hier haben sie Produkte auch für andere Weihnachtsmärkte hergestellt, auch angelieferte Fremdware verpackt. Hier nahm das Unglück seinen Lauf.

Dichter schwarzer Rauch empfängt die Feuerwehrleute auf der Hochparterre-Etage. Mit schwerem Atemschutzgerät tasten sie sich durch die Finsternis, etwa 20 Mann. Sie haben Wärmebildkameras dabei, um eventuelle Opfer zu finden. Selbst an einem verrauchten Brandherd, erklärt Kreisbrandmeister Alexander Widmaier später, reagieren diese Kameras noch auf Körperwärme und helfen Ohnmächtige aufzuspüren.

Kurz nachdem um 13 Uhr 58 die Leitstelle durch den Brandmelder alarmiert worden war, häufen sich die telefonischen Alarm- und Hilferufe aus der Neustädter Nachbarschaft. Noch vor dem Eintreffen wissen die Einsatzleiter, dass dies kein normaler Brand sein würde, und stufen die Katastrophenlage hoch. „Als wir eintrafen“, sagt Widmaier, „sahen wir hilfesuchende Menschen an den Fenstern.“ Einige schrien, berichtet eine Augenzeugin. Fenster stehen offen oder sind zerbrochen. Mit tragbaren Leitern können rasch Menschen aus dem Hochparterre von außen gerettet werden, andere durch den Flur und die Eingangstür.

Vier Atemzüge reichen, um das Leben zu verlieren.

Doch für 14 der Menschen, die die Helfer suchen, kommt jede Hilfe zu spät. Dreizehn Menschen mit Behinderung, die in der Caritaswerkstätte gearbeitet haben, und eine Betreuerin überleben diese Katastrophe nicht. Die Kohlenmonoxidkonzentration in dem etwa hundert Quadratmeter großen Raum ist tödlich, zur Ohnmacht braucht es nur Sekunden, der Tod kommt binnen Minuten. Aber viele der Menschen, die zu diesem Zeitpunkt in den Caritaswerkstätten sind, können sich retten und taumeln ins nasskalte Freie. Andere werden von den Einsatzkräften gerettet, teils auf Rollstühlen, auch auf Tragen.

Mehrere Hubschrauber sind im Einsatz; am Boden tun 120 Feuerwehrleute aus Titisee-Neustadt, Lenzkirch und Feldberg alles, um Menschen aus der Einrichtung zu retten. Die Feuerwehrmänner waren aus benachbarten Regionen zusammengezogen worden. Eine Stunde nach dem Ausbruch des Feuers werden die Toten auf Bahren aus der Caritas-Werkstatt gebracht. Einige sollen ihren schweren Brandverletzungen erlegen sein, andere erstickten. „Bei einer starken Rauchentwicklung reichen vier Atemzüge, um das Leben zu verlieren“, hatte Ralf-Jörg Hohloch, Chef der Freiburger Feuerwehr, vor einiger Zeit erklärt. Die umliegenden Firmen räumen im Eiltempo Lagerhallen frei, werfen ihre Heizungen an, schaffen Tische und Bänke herbei. Bei Andreas Bächle, Chef einer Firma für Veranstaltungstechnik, entsteht eine Art Hauptquartier. Seine Leute kochen Tee für die Einsatzkräfte. Etwa 60 Überlebende werden in seiner Firmenhalle versorgt. Das Rote Kreuz improvisiert: Bühnenelemente werden zu Krankenligen, Mikrofonständer zu Infusionshaltern. Hier treffen am Abend auch Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident, und sein Innenminister Reinhold Gall ein, richten Worte der Bestürzung, des Beileids an die Verletzten und Angehörigen, lassen sich den Brandort zeigen und danken den Einsatzkräften.

Sie sind zusammen per Hubschrauber nach Neustadt gekommen. Als das Ausmaß der Katastrophe gegen 16 Uhr sichtbar wurde, habe man sich dazu entschlossen, berichtet ein mitgereister Regierungssprecher. „Wir wollten aber vorher sicher sein, den Einsatz nicht zu stören.“ Kretschmann hat unterwegs mit der Kanzlerin telefoniert und richtet Beileidsgrüße von ihr aus.

Feuerwehren und Technisches Hilfswerk (THW) waren die ganze Nacht mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Große Teile der Werkstatt wurden von Feuer und Rauch zerstört, sagte ein Sprecher der Caritas. Wann die Einrichtung wieder öffne, sei unklar. Angehörige und die Rettungskräfte sollen auch in den kommenden Tagen psychologisch betreut werden. Die Stadt plane eine Trauerfeier, sagte Bürgermeister Armin Hinterseh. Zudem habe sie für Angehörige ein Telefon-Hotline eingerichtet.

Aber die furchtbare Frage steht immer noch im Raum und wird vielleicht noch tagelang nicht zu beantworten sein: Was hat den Brand in der Werkstatt ausgelöst, und vor allem, was hat ihn sich so ausbreiten und tödlich werden lassen?

War es wirklich eine Explosion, wie gemutmaßt wurde? War es Gas? Ist etwas zu Bruch gegangen? Haben die Behinderten in der Holzwerkstatt etwa mit Stoffen hantiert, die brandbeschleunigend gewirkt haben? Eine Sonderermittlungsgruppe hat die ganze Nacht nach der Brandursache geforscht. Ihre Ahnungen, was es gewesen sein könnte, haben die Ermittler schon. Sie wollen sich aber nicht festlegen lassen, solange sie nicht sicher sind. „Da waren verschiedene Materialien im Einsatz, Holz, Papier, Kartonagen, mit denen gearbeitet wurde“, sagt der Feuerwehrchef von Titisee-Neustadt, Gotthard Benitz. In diesen Tagen vor dem ersten Advent galt es viel zu basteln für die Weihnachtsmärkte, auch mit Klebstoff und Farben wurde gearbeitet.

„Wir sind unendlich traurig“, sagt Egon Engler, Vorstand des Caritasverbands Freiburg-Stadt. „Unsere Gedanken und Gebete gelten den Verstorbenen und ihren Familien.“ (mit AFP,

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