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Panorama: 16 Jahre Haft für deutschen Thyssen-Manager

In einem italienischen Werk waren sieben Arbeiter verbrannt, weil Löscheinrichtungen versagten – die Justiz spricht von Vorsatz

Mitten in der Nacht bricht im Turiner Stahlwerk von Thyssen-Krupp ein Feuer aus. Dramatisch scheint das Ereignis im Dezember 2007 zunächst nicht; kleinere Brände kommen beim Umgang mit flüssigem Stahl hin und wieder vor. Aber in Turin, an der „Linie 5“, gibt es keine automatische Löscheinrichtung. Drei von fünf Feuerlöschern sind leer, die Wasserleitungen kaputt. Die acht Arbeiter versuchen, die Flammen mit allen Mitteln zu bekämpfen – da birst eine Hydraulikleitung. Öl schießt mit einem Druck von 140 bar heraus. Eine Wolke aus Feuer explodiert in der Halle, insgesamt sieben Arbeiter werden getötet. Retten kann sich nur einer in der Gruppe.

Gut drei Jahre danach ist jetzt Harald Espenhahn, der deutsche Chef des Thyssen-Werks, zu sechzehneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Ein Turiner Schwurgericht befand ihn der vorsätzlichen Tötung schuldig. Weitere fünf Manager des Konzerns müssen für zehn bis dreizehn Jahre ins Gefängnis.

Die Republik Italien ist laut Verfassung „auf Arbeit gegründet“. Deshalb und wegen einer traditionell kommunistisch geprägten Gewerkschaftskultur, die den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital weiterhin als Daseinsgrundlage betrachtet, herrscht in Italien gegenüber Arbeitsunfällen eine sehr viel höhere Sensibilität als in Deutschland.

Weil der Unfall bei Thyssen einer der schwersten in der jüngeren Geschichte Italiens war, hat er ganz Italien entsprechend aufgewühlt – und wurde probeweise auch zum Schüren antideutscher Polemik verwendet. „Die Fabrik der Deutschen“, so heißt auch der Dokumentarfilm zum Unfall, der für Furore sorgte.

Die extreme Härte des Urteils gegenüber den Thyssen-Managern ist aber selbst für Italien ohne Beispiel. Normalerweise werden Manager bei Arbeitsunfällen wegen „fahrlässiger“ Tötung belangt; Anklage und Urteil wegen „vorsätzlicher“ Tötung gab es noch nie. „Wenn es bei diesem Delikt keine Absicht gab, dann gibt es nirgendwo Absicht“, sagten die Staatsanwälte, und das Gericht, das den Strafanträgen der Ankläger in vollem Umfang folgte, in einem Fall sogar noch verschärfte, schloss sich dieser Darstellung an.

114 Sicherheitsbestimmungen, so stellte sich in dem zweijährigen Prozess heraus, waren an der „Linie 5“ nicht eingehalten worden. Die Unternehmensleitung wusste davon und hat damit – laut Urteil – die Arbeiter in den Tod geschickt. Das Turiner Werk sollte in wenigen Monaten geschlossen werden und ins mittelitalienische Terni umziehen; die Installation der vorgeschriebenen Sicherheitseinrichtungen war merkwürdigerweise auf die Zeit nach dem Umzug verschoben – obwohl Harald Espenhahn aus der deutschen Konzernzentrale das nötige Geld bekommen hatte: Im Sommer zuvor hatte es in einem Krefelder Stahlwerk gebrannt. Thyssen-Krupp hatte daraufhin, von der Versicherung unter schweren finanziellen Druck gesetzt, die Sicherheitslage in allen Werken verbessern wollen.

Lediglich in Turin unterblieben die Nachbesserungen. Das Einzige, was die Chefs der „heruntergekommenen Fabrik“ laut Staatsanwaltschaft machten: Sie ernannten einen der Arbeiter zum Brandschutzbeauftragten – allerdings ohne jegliche Schulung und ohne Ausrüstung. Zwei Tage danach war der Mann zusammen mit sechs weiteren Arbeitern verbrannt. Während ThyssenKrupp das Urteil als „unverständlich und unerklärlich“ geißelt, sprechen Politiker und Gewerkschafter in Italien von einer „historischen“ Entscheidung und einem „Qualitätssprung in der Rechtsprechung“. Die Staatsanwälte sagen, das Urteil „gebe allen Arbeitern Hoffnung und den Unternehmern zu denken“.

Sämtliche Medien Italiens begrüßen das Urteil; für den Ton, den sie anschlagen, ist die eigentlich zur Nüchternheit verpflichtete Nachrichtenagentur ANSA ein Beispiel. Sie schrieb kurz vor dem Urteil, zur Einstimmung gewissermaßen: „Die Richter müssen kapieren, dass Firmenchefs sich in richtiggehende Killer verwandeln können, wenn sie auf Sicherheitsmaßnahmen verzichten.“

Die Verteidiger von Thyssen-Krupp wollen nach diesem erstinstanzlichen Urteil in die Revision gehen, auch wenn sie – wie einer gleich nach dem Urteil von Turin sagte – „nicht glauben, dass wir noch mehr erreichen können“.

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