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40 Tage ohne Schokolade, Alkohol und / oder Zigaretten? Am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit.

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40 Tage, 40 Nächte: Die Deutschen fasten wieder

Der eine tut's wegen Gott, der andere für die Figur. Die Fastenzeit vor Ostern gehen die Menschen sehr unterschiedlich an. Versuch einer Typologie und ein Interview mit dem Philosophie-Professors Philipp Hübl.

Laut einer von der Krankenkasse DAK-Gesundheit in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage haben 56 Prozent der Deutschen bereits mindestens einmal für mehrere Wochen gefastet. Die Ergebnisse der Umfrage sind am Montag in Hamburg vorgestellt worden. Im Jahr 2012 gaben bei der gleichen Umfrage nur 51 Prozent an, in einem solchen Zeitrahmen gefastet zu haben. Die Umfrage 2015 ergab weiter, dass jeder zehnte Deutsche noch nie gefastet hat, sich dies aber gut vorstellen könnte. Für 32 Prozent der Befragten kommt der bewusste Verzicht überhaupt nicht in Frage. 68 Prozent der Befragten 30- bis 44-Jährigen haben schon einmal gezielt verzichtet, während es in der Altersgruppe über 60 Jahre nur 45 Prozent sind. Insgesamt wurden 1008 Personen befragt.

Bei den Dingen, auf welche die Deutschen am ehesten verzichten würden, steht "Alkohol" an erster Stelle (70 Prozent der Befragten), gefolgt von "Süßigkeiten" (64 Prozent) und "Fleisch" (41 Prozent). Es folgen "Rauchen" (40 Prozent), "Fernsehen" (33 Prozent), "Handy und Computer" (27 Prozent) und "Auto" (15 Prozent).

Am liebsten und ehesten verzichten die Bayern, wie aus der Befragung hervorgeht. 61 Prozent von ihnen gaben an, schon einmal für Wochen gefastet zu haben. Am wenigsten verbreitet ist das Fasten bei Bürgern in den ostdeutschen Ländern. Hier ergab die Studie 50 Prozent Fastenerfahrung.

Einen gesundheitlichen Sinn im Fasten sehen Jüngere und insbesondere Frauen eher als Ältere und Männer. Von den 30- bis 44-Jährigen fanden 64 Prozent und von den weiblichen Befragten 62 Prozent den Verzicht auf Genussmittel sinnvoll. Nur rund 50 Prozent der 45- bis 59-Jährigen sowie aller Männer waren derselben Ansicht. Für die repräsentative Studie waren laut DAK-Angaben 1.008 Personen Anfang Februar befragt worden.

Verzicht auf Fleisch, Alkohol, Smartphone

Mit festem Verzichts-Vorsatz gehen ab Aschermittwoch (18.2.) wieder viele Menschen in die Fastenzeit bis Ostern. Im vergangenen Jahr war es bei einer Umfrage jeder Zehnte in Deutschland. Noch einmal so viele spielten zumindest mit dem Gedanken, Liebgewonnenes für 40 Tage und 40 Nächte einfach mal liegen zu lassen. Dabei kann es ums Fleisch gehen, um Schokolade oder ums Smartphone. Auch die Jugend ist der Tradition gar nicht so abgeneigt - jedoch mit ganz unterschiedlicher Motivation. Eine Typologie:

DER RELIGIÖSE ist der Klassiker. „Solche Unterbrechungszeiten gibt es ja in allen Religionen“, sagt Michael Krämer, Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Ziel sei es, etwas sein zu lassen, was einem am Herzen liege. „Was trägt mein Leben?“ - sich darüber klar zu werden, stehe für diesen Typ im Mittelpunkt. Der Verzicht auf Fleisch sei da nur der Ursprung, heute gebe es ganz viele Formen. Wichtig sei aber, dass man auf „etwas Liebgewordenes“ verzichte. Das Fasten sei heute immer auch „geistiger Aufbruch“. Und obwohl die Fastenidee schon viel älter ist, gilt Jesus als Vorbild dieses Typs: Schließlich hielt er es laut biblischer Überlieferung einst 40 Tage lang fastend in der Wüste aus.

DER NARZISST will es sich vor allem immer wieder selbst zeigen. Die Fastenzeit ist dafür eine willkommene Gelegenheit. „Für viele geht es darum, sich selbst etwas zu beweisen“, sagt Werner Gross vom Psychologischen Forum Offenbach (PFO). „Ich bin in der Lage, mich gegen die Überflutungen des Alltags wehren zu können“, beschreibt Gross den Narzissten unter den Fasten-Typen. Dieser habe ein Verlangen danach, seine Selbstdisziplin zu prüfen. Er kann auch ohne das alles leben. „Ich schaffe das!“

DER GESUNDHEITSBEWUSSTE ist laut Umfragen unter den Fastenden in der Mehrheit. Jeder zweite gibt an, aus gesundheitlichen Gründen zu verzichten - meist auf Alkohol oder Süßes. Auch die Fastenkurse der Katholischen Kirche in Stuttgart würden zu 50 Prozent aus gesundheitlichen Gründen gebucht, heißt es dort. Die Fastenzeit und das Verzichten auf Kalorienbomben passe ja auch aus anderen Gründen perfekt in die Jahreszeit, sagt Gross. „Um in den Bikini zu passen.“

DER INKONSEQUENTE: Er nimmt sich ganz viel vor, ähnlich wie zum Jahreswechsel, schafft es aber bei weitem nicht - und belügt sich bis Ostern selbst. Laut Umfrage ist der Anteil dieses Typs aber angeblich recht klein: Von denen, die schon einmal einen Fasten-Versuch gestartet haben, sind die meisten nach eigenen Worten glatt oder so einigermaßen durchgekommen: 44 Prozent blieben eisern, 42 Prozent wurden zwar schwach, hielten danach aber durch. 14 Prozent brachen ab.

DER STILLE: Ist es klug, sein Fasten an die große Glocke zu hängen? „Das kann aber auch schiefgehen. Und dann heißt es: Du bekommst ja nicht mal das hin“, warnt Gross. Es könnte also ratsam sein, in aller Stille zu verzichten. Muss ja keiner wissen. Auf der anderen Seite könne die große Glocke aber auch helfen, so Gross. „Der Vorteil ist: Man bekommt Hilfe durch die soziale Kontrolle.“ Und schaffe es dann vielleicht leichter, die 40 Tage durchzuhalten.

DER FASTENHASSER: Verzichtet auf nix, ist stolz drauf - und erzählt das überall rum. Auch das könne ein Statement unserer Zeit sein, sagen Experten. Psychologe Gross etwa sagt zum Fasten allgemein: „Die Menschen sind heute viel mehr von außen gelenkt. Und von der Frage: Wie wirke ich nach außen?“ Sich zum Fasten zu positionieren - egal ob nun pro oder kontra - sei für immer mehr Menschen auch eine grundsätzliche Entscheidung: „Es geht vielfach auch um die Frage: Lebe ich oder lasse ich mich leben?“

DER TRENDSETTER: Verzichtet nie auf Essen, aber auf Handy & Co. Wie weit verbreitet diese wohl modernste Form des Fastens ist, lässt sich aber nicht klären. Vielleicht liegt es nur an den inzwischen weit verbreiteten Flatrates fürs Telefonieren oder fürs Internet-Surfen, aber auch die Deutsche Telekom hat keinerlei Hinweise darauf, dass etwa der Smartphone-Gebrauch in den Wochen vor Ostern zurückgeht. Knappe Antwort aus der Zentrale in Bonn: „Gott sei Dank nein.“

Interview mit dem Philosophen Philipp Hübl

Aus Sicht des Philosophie-Professors Philipp Hübl geht es auch um das richtige Nutzen von Zeit. Manche Menschen verzichten in der Fastenzeit auf Gaumenfreuden. Andere wollen bewusster leben - sie lassen vielleicht das Handy aus oder das Auto stehen. Philosoph Philipp Hübl von der Stuttgarter Universität beschreibt im Interview der Deutschen Presse-Agentur, was Verzicht mit Glück zu tun hat.

Philipp Hübl
Philipp Hübl (39) ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

© dpa / Thorsten Wulff

Frage: Wieso ist Verzichten aus Ihrer Sicht aktuell in einer Gesellschaft, in der schneller Konsum und Erreichbarkeit fast rund die Uhr herrschen - gerade auch in der Fastenzeit?

Antwort: In fast allen Religionen findet man das rituelle Fasten oder andere Formen von Enthaltsamkeit. Die Idee dahinter ist immer Triebkontrolle: Folge nicht deinen unmittelbaren Impulsen - Essen, Spaß, Feiern, Sex - sondern besinne dich auf dich selbst. Warenkonsum macht zwar kurzfristig euphorisch, aber langfristig unzufrieden, wie viele Studien zeigen. Diese Einsichten sind in die populären Medien gesickert und dann schnell von der Wellness- und Esoterikwelle mitgerissen worden. Allerdings hat sich der Konsum oft nur verschoben: weg von den Dingen wie Autos und Schmuck, hin zu den Erlebnissen wie Reisen oder Musikfestivals. Waren wir früher Sklaven des Warenkonsums, dann sind wir heute Sklaven des Eventkonsums.

Frage: Was sind die Gründe für freiwilligen Verzicht, welche Motive stecken dahinter?

Antwort: Besitz belastet. Zum einen, weil man sich um sein Auto oder sein Haus kümmern muss mit Reparaturen und Versicherung. Das trägt man ständig im Hinterkopf mit und verbraucht so kognitive Ressourcen.
Zum andern haben Dinge einen „Aufforderungscharakter“, wie in der Philosophie die Phänomenologen sagen. Ein Beispiel: Das iPhone hilft mir zwar, das nächste Restaurant zu finden, aber verführt mich auch dazu, ständig das Wetter zu checken oder meine Laufgeschwindigkeit zu messen. Verzicht kann man daher als große Befreiung von solchen stillen Aufforderungen empfinden. Die Lebensberater haben also Recht, wenn sie sagen: Leben vereinfachen, Keller ausmisten, Schreibtisch aufräumen, Kleiderschrank entleeren.

Frage: Wieso wird Verzichten - etwa auf Konsum, Genüsse, TV-Konsum, Internet, Handy oder ähnliches - auch als neuer Luxus bezeichnet?

Antwort: Der Luxus liegt sicher nicht im Verzicht selbst, sondern eher umgekehrt: im richtigen Nutzen der Zeit. Unsere Lebenszeit ist unsere kostbarste Ressource, weil sie im Gegensatz zu Geld eindeutig begrenzt ist. Wenn der Film oder das Computerspiel gut waren, hat man die Zeit auch gut genutzt. Vermutlich denken wir aber öfter: Das hätte ich mir sparen können. Die Aussage „Dafür ist mir meine Zeit zu schade“ ist also zutiefst existenzialistisch - auch wenn man dabei nicht den eigenen Tod vor Augen hat.

Frage: Ist bewusstes Verzichten auch was für Sie persönlich?

Antwort: Vor einiger Zeit habe ich das Auto verkauft, das ich mir mit einem meiner Brüder geteilt habe. Das habe ich als große Befreiung empfunden. Ich fahre jetzt wieder viel mehr Fahrrad. Darauf würde ich allerdings auf keinen Fall verzichten.
Zur Person: Philipp Hübl (39) ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart. Er ist in Hannover geboren und studierte Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford. Mit seinem Buch „Folge dem weißen Kaninchen“ will er unterhaltsam in die moderne Philosophie einführen. (rok, dpa)

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