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Weil die Zukunft aus der Vergangenheit kommt. Ein junger Südafrikaner posiert in Pretoria vor einem Foto von Nelson Mandela.

© AFP

95. Geburtstag von Nelson Mandela: Streit am Sterbebett

Seit sechs Wochen ringt Nelson Mandela nun schon mit seinem Tod. Zu Tausenden sind die Südafrikaner vor sein Krankenhaus in Pretoria gekommen, um Abschied von ihm zu nehmen. Zugleich ist ein unwürdiger Streit entstanden – um Geld, seine Grabstätte, sein politisches Erbe. Morgen begeht er seinen 95. Geburtstag.

Lewis Tshabalala hat bereits Geburtstag gefeiert. „Ich fühle mich wie ein junger Mann“, sagt der 78-Jährige, als ihm Schauspieler Lehasa Moloi aus der populären Fernsehserie „Rockville“ mit scharfer Klinge zunächst das ergraute Barthaar und dann auch noch die buschigen Augenbrauen stutzt. „Meinen Bart hat mir noch keiner geschnitten – und jetzt tut es gleich eine solche Berühmtheit.“ Der alte Mann stammt aus dem Township Soweto, am vergangenen Wochenende hatten die Pensionäre aus dem Altenheim Itlhokomeleng mit den Schauspielern ihren Spaß, die für die alten Leute grillten und ihnen sogar eine Maniküre verpassten.

Die Aktion in dem Johannesburger Township ist nur eine von hunderten Veranstaltungen, mit denen Südafrika in dieser Woche seinen Volkshelden Nelson Mandela zu seinem 95. Geburtstag ehrt. Im ganzen Land wollen einfache und prominente Bürger vor allem am Donnerstag mindestens 67 Minuten ihrer Zeit für das Gemeinwohl zur Verfügung stellen – zur Erinnerung an die 67 Jahre, die Nelson Mandela selbst seit dem Eintritt in die Politik im Jahre 1942 in den Dienst der Gesellschaft gestellt hat. „Unser Ziel ist es, Mandelas Vermächtnis zu ehren und wie er Gutes zu tun, um damit das Leben anderer Menschen zu berühren“, sagt Zelda la Grange, die jahrelang für Südafrikas großen Versöhner als persönliche Assistentin arbeitete.

„Wir lieben dich, Vater“

Gerade weil Mandela wie kein anderer die Einheit des Landes nach der Apartheid symbolisiert, empfinden es viele Südafrikaner als angenehme Pflicht, sich an den Aktionen zu beteiligen und in den Schulen beim Malern oder den Suppenküchen beim Kochen zu helfen. Doch Südafrika geht dem nationalen Feiertag mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn Nelson Mandela ringt seit sechs Wochen mit dem Tod.

Zu Tausenden sind sie in den letzten sechs Wochen hierher gepilgert, vor den Krankenhauseingang in Pretoria. Schulklassen, Kirchenchöre, Fußballvereine, aber auch politische Opponenten singen und beten für den großen Versöhner – oder nehmen einfach nur still Abschied von ihm. Dutzende harren Tag und Nacht aus, direkt vor dem hohen Eisenzaun, um, wie etwa eine Gesangsgruppe aus Kanada, dem Volkshelden ein vorzeitiges Geburtstagsständchen zu bringen. Auf einer Strecke von etwa 20 Metern schmücken Sträuße aus Proteen, der südafrikanischen Nationalblume, bunte Kindermalereien, Pappherzen und andere Basteleien den scharf bewachten Klinikzaun. „Wir lieben dich, Tata (Vater)“, steht auf vielen der Plakate. Bereits am Sonnabend, dem letzten Tag der südafrikanischen Winterferien, hatte eine Schulklasse aus dem Township Shoshanguve hier 95 bunte Luftballons in den wolkenlosen Himmel über der Landeshauptstadt steigen lassen, um Mandela gute Besserung zu wünschen und ihm für die von ihm gelebte Versöhnung zu danken. „Für mich bleibt er der Mann, der wie kein anderer für unsere Freiheit gekämpft hat“, sagt Karabo Mongatane. Doch nicht nur für Südafrika, sondern für den Kontinent, ja, die ganze Welt habe er mit seinem Eintreten für Frieden und Versöhnung Großes geleistet, sagt der Politikstudent, der auch morgen am eigentlichen Geburtstag des großen Mannes wiederkommen will.

Zwischen „ernst“ und „kritisch, aber stabil“

Mandelas Weggefährten sprechen schon lange von Abschied. Wie beispielsweise George Bizos. Er hatte Mandela 1948 das erste Mal beim Jurastudium in Johannesburg getroffen und ihn 15 Jahre später im Hochverratsprozess verteidigt. Als einer von ganz wenigen durfte er Mandela auf der Sträflingsinsel Robben Island und danach auch auf dem Festland regelmäßig besuchen. Doch Bizos will Mandela jetzt nicht mehr besuchen. „Was kann ich denn noch tun? Ihn ein letztes Mal anschauen und versuchen, mit aller Kraft meine Tränen zurückzuhalten? Nein, das möchte ich nicht.“

Das Privatkrankenhaus liegt nur knapp einen Kilometer vom Regierungssitz entfernt, vor dem Nelson Mandela vor fast 20 Jahren zum ersten schwarzen Präsidenten des früheren Apartheidstaates vereidigt worden war. Und wenn es das Schicksal so will, wird er dort auch seinen Geburtstag verbringen, angeschlossen an eine Herz-Lungen-Maschine, die ihm beim Atmen hilft.

Sein Gesundheitszustand schwankt zwischen „ernst“, „kritisch“ „sehr kritisch“ und „kritisch, aber stabil“. Zuletzt soll er sich „leicht gebessert“ haben. „Er ist sicherlich ein sehr kranker Mann“, sagt Denis Goldberg, ein anderer alter Mitstreiter, der Mandela vor zwei Wochen für eine knappe halbe Stunde besuchte. „Es ging ihm jedoch weit besser, als ich es mir nach all den Berichten vorgestellt habe“, sagte Goldberg anschließend. Zwar habe Mandela wegen eines Schlauches in Mund und Nase nicht sprechen können, doch habe er auf seine Worte und alte Anekdoten erkennbar reagiert. „Ich finde die vielen uninformierten Spekulationen einfach unerträglich“, sagte Goldberg. Einem Besuch hatte er nur unter der Bedingung zugestimmt, dass er anschließend auch offen über Mandelas Zustand sprechen dürfe. „Wir können im ANC nicht ständig Transparenz predigen und dann permanent Geheimniskrämerei betreiben“, sagte Goldberg.

Von einer Rückkehr nach Hause, die Mandelas Amtsnachfolger Thabo Mbeki Anfang der Woche ins Gespräch gebracht hat, kann jedoch keine Rede sein. Nach dem vierten Krankenhausaufenthalt binnen sechs Monaten ist wohl kaum noch mit einer durchgreifenden Erholung des Patienten zu rechnen. Die Menschen in Südafrika hoffen, dass ihm das Schicksal von Israels früherem Ministerpräsidenten Ariel Scharon (85) erspart bleibt. Scharon wird seit einem Schlaganfall vor siebeneinhalb Jahren im Wachkoma gehalten.

"Ihr könnt meinen Namen kennedysieren, aber nicht disneysieren"

Der Kult um seine Person war Nelson Mandela schon immer unangenehm. „Es widert ihn an, überall sein Gesicht sehen zu müssen“, hat der „Guardian“ mal einen Vertrauten zitiert. Mandela selbst hatte schon vor längerer Zeit gemahnt: „Ihr könnt meinen Namen kennedysieren, aber nicht disneysieren.“ Ausgerechnet sein letzter, quälend langer Abschied, über den er nun nicht mehr selbst entscheiden kann, scheint nun so zu werden, wie Mandela es gewiss nie gewollt hätte. Überschattet von einem erbitterten Familienstreit um seinen materiellen Nachlass auf der einen Seite und von der politischen Vereinnahmung durch seinen ANC auf der anderen hat ein peinliches Gezerre um sein Erbe begonnen.

Vor zwei Jahren hatte Enkel Mandla, der älteste männliche Nachkomme Mandelas, die Gebeine von dessen drei bereits verstorbenen Kindern in einer Nacht-undNebel-Aktion aus dem Familiengrab in Qunu nach Mvezo schaffen lassen, um das von Mandla als Häuptling regierte Dorf zu einem lukrativen Wallfahrtsort für Touristen zu machen. Nach einem Gerichtsurteil musste Mandla die Überreste dann vor zwei Wochen zurückgeben und an alter Stätte beisetzen. „Ich denke, dass die Familie trotz der jüngsten Streitereien um sein Geld und die Grabstätte weiß, dass sie womöglich schon bald eine schmerzliche Entscheidung treffen muss. Doch Mandelas Berühmtheit, aber auch die mit einem Abschalten der Geräte verbundenen gesetzlichen Grauzonen machen dies sehr schwierig“, sagt Nomboniso Gasa, eine südafrikanische Expertin für Kulturfragen.

Die meisten haben sich mit dem nahenden Tod abgefunden

Im Afrikanischen Nationalkongress (ANC), Mandelas politischer Heimat, bangt die Führung um Präsident Jacob Zuma wohl auch aus politischen Gründen um die Gesundheit des großen alten Mannes. Schließlich bietet Mandela der früheren Widerstandsbewegung eine letzte Gelegenheit, die nach 20 Jahren ANC-Herrschaft reichlich desillusionierten Anhänger noch einmal zu mobilisieren und hinter dem großen Namen zu scharen. Auch wenn bei den Wahlen im nächsten Jahr schon wegen des Mandela-Faktors ein neuerlicher ANC-Sieg als sicher gilt, hat der von Korruptionsvorwürfen belastete Zuma zuletzt stark an Unterstützung verloren – und versucht nun durch seine häufigen Krankenhausbesuche eine Nähe zu Mandela zu vermitteln, die, wie er hofft, auch politisch Früchte tragen wird.

Die Südafrikaner erinnern sich schaudernd daran, wie würdelos Präsident Jacob Zuma und einige Parteigranden nach einem der vielen Krankenhausaufenthalte den sichtlich verwirrten Mandela vor die Kameras des Staatsfernsehens gezerrt hatten, um der Nation ihren Gründervater und dessen angeblich blendende Gesundheit zu präsentieren. Selbst seine Ex-Frau Winnie Mandela zeigte sich später entsetzt und sprach davon, dass ihn der ANC wie ein Zootier vorgeführt habe.

Der ANC treibt in Kleinkriegen zermürbt dahin. Jahrelang hat Mandela die frühere Widerstandsbewegung, die stets eine breite Kirche war, kraft seiner Autorität beinahe im Alleingang zusammengehalten. Mit Mandelas Rückzug wurde sichtbar, wie dünn dieser Leim war – eine Erkenntnis, die die Lichtgestalt Mandelas lange verdeckt hatte. Der Schriftsteller William Gumede, der ein kritisches Buch über den ANC verfasst hat, sieht hinter dem ganzen Spektakel um Mandela ein klares wahltaktisches Kalkül. „Mandelas Nachfolger sind im Vergleich zu ihm politische Zwerge, die nun versuchen, sein Image für sich nutzbar zu machen“ sagt Gumede.

Die Menschen, die sich vor dem Krankenhaus versammeln, hoffen noch immer auf ein Wunder und scheinen nur schwer loslassen zu können. Aber die meisten Südafrikaner haben sich mit dem nahenden Tod des großen Friedensstifters abgefunden. Wie Desmond Tutu, Südafrikas anderer großer Friedensnobelpreisträger, wünschen sie Mandela nun vor allem ein Ende seiner Leiden.

„Der alte Mann ist auch auf seinem Krankenlager noch ein zäher Kämpfer wie in der Politik, aber er ist müde geworden“, sagt George Bizos, der alte Weggefährte. Sie sollten „Madiba“ nun seine Ruhe lassen, denn Mandela habe sein Werk verrichtet. Nach einem neuen Messias sucht das Land bislang vergeblich. „Es wird Zeit, dass Südafrika und seine Menschen endlich Verantwortung für sich selbst übernehmen.“

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Weil die Zukunft aus der Vergangenheit kommt. Ein junger Südafrikaner posiert in Pretoria vor einem Foto von Nelson Mandela.

© AFP

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